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Raw-Dateien in Geiselhaft?

In den Debatten über die neue Lightroom-Version, die Adobe jetzt nur noch im Abo anbietet, wurden Befürchtungen laut, Adobe würde die Fotos der Anwender, beispielsweise die Raw-Dateien, in Geiselhaft nehmen, um seine Kunden auf ewig im Zwangs-Abo zu halten. Aber stimmt das überhaupt?

Manche Nutzer fühlen sich offenbar an J.R.R. Tolkiens Verse erinnert: „Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden / Ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden / Im Lande Mordor, wo die Schatten drohn.“ Aber San Jose und Hamburg (ja, auch hier arbeiten Adobe-Entwickler) liegen keineswegs im Lande Mordor. Auch wenn der Himmel über Hamburg manchmal ähnlich düster dräut.

Raw-Dateien

Was ist also dran an der Vorstellung, Adobe würde Daten des Benutzers, hat er sich erst einmal auf den Teufelspakt des Abo-Modells eingelassen, nicht mehr wieder herausrücken? Wie alle anderen Raw-Konverter tastet Lightroom die Rohdaten nicht an, sondern fügt allenfalls Metadaten hinzu. Die Raw-Dateien, die man in Lightroom importiert, bleiben daher zu anderen Anwendungen vollständig kompatibel. Wenn Sie wahlweise mit unterschiedlichen Raw-Konvertern arbeiten oder irgendwann von Lightroom zu dem Produkt eines anderen Herstellers wechseln wollen, ist das problemlos möglich. Sie müssen die Dateien auch nicht in einen proprietären Katalog verschieben oder gar auf einen Server in der Cloud laden. Zumindest dann nicht, wenn Sie mit Lightroom Classic CC arbeiten, aber das ist ja auch der neben Camera Raw einzige vollwertige Raw-Konverter Adobes – und deren einzige Software für den gesamten fotografischen Workflow.

Falls Sie zunächst ein Abo von Lightroom (und Photoshop) abschließen, dieses aber später kündigen, erlaubt Ihnen Lightroom danach nicht mehr, die Entwicklungseinstellungen zu ändern. Ihre Bilder lassen sich aber weiter verwalten und auch exportieren. In einem anderen Raw-Konverter können Sie die Dateien importieren und mit diesem auch wieder bearbeiten.

Die Entwicklung beginnt dann allerdings mit den Standardeinstellungen; die Chancen, dass ein anderer Raw-Konverter die Entwicklungseinstellungen aus Lightroom übernimmt, sind gering. Das ist nun aber nicht Adobes Schuld und wäre bei einem Wechsel etwa von Capture One zu Lightroom ganz genauso.

Lightroom speichert die Entwicklungseinstellungen im Klartext. Sofern die Dateien nicht im DNG-Format vorliegen, werden sie mit anderen Metadaten in Sidecar-Dateien im XMP-Format gespeichert. Dabei handelt es sich um Textdateien, die sich in einem beliebigen Texteditor öffnen und prinzipiell auch bearbeiten lassen.

Raw-Dateien
Lightroom speichert die Entwicklungseinstellungen im Klartext, meist in einer Sidecar-Datei im XMP-Format.

Bei Adobes eigenem DNG-Format nutzt Lightroom die Möglichkeit, die Entwicklungseinstellungen als Metadaten in die DNG-Datei selbst zu schreiben, aber es handelt sich wiederum um das gleiche Textformat.

Raw-Dateien
In DNG-Dateien speichert Lightroom die Entwicklungseinstellungen als Metadaten der Raw-Datei selbst ab; der Text ist derselbe wie der einer XMP-Datei.

Ein Hersteller, der seine Software als Alternative zu Lightroom im Markt platzieren möchte, könnte also eine Migrationsfunktion implementieren, um die von Lightroom gespeicherten Entwicklungsdaten einzulesen und in Entwicklungseinstellungen des eigenen Raw-Konverters zu übersetzen. Wenn das in der Regel nicht geschieht, dann nicht, weil Adobe dem irgendwelche Hindernisse in den Weg legte – vielmehr wäre es eine so schwierige Aufgabe, dass sie sich nur mit großem Aufwand und ohnehin nicht vollständig bewältigen ließe.

Die Einstellungen, die Sie mit den Reglern in Lightroom wählen, sind Parameter der Algorithmen, die im Raw-Konverter implementiert sind. Andere Konverter verwenden andere Algorithmen, und daher sind diese Werte nicht so einfach übertragbar. Es ist so, als würden Sie auf einem Banjo Ukulele-Akkorde spielen – auch wenn beide Zupfinstrumente vier Saiten haben, sind diese unterschiedlich gestimmt, weshalb das Ergebnis schräg klingt. Selbst scheinbar einfache Parameter wie die für den Weißabgleich gewählte Farbtemperatur werden nicht einheitlich interpretiert. Zur Schärfung setzt Adobe auf eine Mischung aus einer Unscharfmaskierung und einer Dekonvolution (der »Detail«-Regler bestimmt das Verhältnis), und wenn ein alternativer Konverter nur die Unscharfmaskierung kennt, lässt sich die Einstellung aus Lightroom nicht übersetzen. Es liegt nicht am bösen Willen der Beteiligten, dass eine Übertragung der Entwicklungseinstellungen kaum möglich ist. Auch deren Standardisierung wäre keine Lösung, denn dazu müssten auch die Algorithmen standardisiert werden, wodurch die im Interesse einer noch höheren Bildqualität wünschenswerte Weiterentwicklung der Raw-Konverter gestoppt würde.

Und trotzdem: Es gibt ihn tatsächlich, den Ring, der sie alle binden soll, und ironischerweise versprechen sich manche gerade von ihm mehr Freiheit, Flexibilität und Kompatibilität. Ich meine das DNG-Format. Wohlgemerkt: Gegen das DNG-Format als solches ist überhaupt nichts einzuwenden, und ein Hersteller, der ein neues Raw-Format sucht, sollte sich ruhig für DNG entscheiden, wie es beispielsweise Leica und Ricoh/Pentax getan haben. Problematisch ist es hingegen, andere Raw-Formate in das DNG-Format zu konvertieren.

DNG ist ein sehr mächtiges und stetig weiterentwickeltes Format, das alle nötigen Optionen besitzt, um eine Vielzahl anderer Formate in das DNG-Format zu übersetzen. Adobes Software, sei es Lightroom oder Camera Raw, kann mit solchen umgewandelten Dateien problemlos umgehen. Es gibt aber keinerlei Garantie, dass das auch ein anderer Raw-Konverter schafft. Die Hersteller von Raw-Konvertern bemühen sich, die Raw-Dateien neuer Kameramodelle möglichst zeitnah zu unterstützen, aber obwohl sie das DNG-Format meist grundsätzlich unterstützen (wie es ja die Kameras erfordern, die in diesem Format speichern), bedeutet das nicht, dass sie DNG-Dateien akzeptieren, die Lightroom oder Adobes DNG-Konverter erzeugt haben.

Falls Sie Raw-Dateien in das DNG-Format umwandeln – etwa weil Sie Dateien Ihrer neuen Kamera mit einer älteren Lightroom-Version entwickeln wollen, was nur über den Umweg einer solchen Konvertierung möglich ist –, sollten Sie dennoch auch die Originaldateien aufbewahren. Wenn Sie irgendwann zu einem anderen Raw-Konverter wechseln und dieser nicht von Adobe stammt, werden Sie diese Dateien vermutlich noch brauchen.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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2 Kommentare

  1. Zitat: „Falls Sie Raw-Dateien in das DNG-Format umwandeln … sollten Sie dennoch auch die Originaldateien aufbewahren.“

    Das ist wohl die wichtigste Aussage des Artikels, ansonsten klingt das alles nach PERSIL-Schein für Adobe, die scheinen das ja dringend nötig zu haben.

    Was mir in all den Jahren fehlt ist der Hinweis, wie denn all die RAW-Entwickler an das Dateiformat der Kamera kommen? Meines Wissens gibt darüber es keine Veröffentlichungen der Firmen. Ich habe zwar mal im Netz das Dateiformat einer CR2-Datei gesehen, doch das war meines Wissens nach keine CANON-Veröffentlichung.
    Ist das Hacken solcher Dateiformate eine zu heiße Kartoffel für Journalisten?

  2. Aufbewahung der orig. RAW Datei.
    Es gibt im DNG Converter die Möglichkeit die orig. RAW Datei einzuschliessen. Diese Datei kann man mit dem DNG Converter wieder als eigenständige Datei re-konvertieren.
    Braucht natürlich eine Mege mehr Speicherpkatz pro Datei, gibt aber Sicherheit jederzeit mit einem anderen RAW KOnverter wieder die orig. Datei bearbeiten zu können. Angeblich verweigert sich Capture One dem DNG Format?

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