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Putin, der heimliche Klimaretter

Wenn Sie den folgenden Text lesen, werden Sie ihn wahrscheinlich schrecklich zynisch finden. Und das ist er auch. Darf man das angesichts Tausender toter Zivilisten und Soldaten – auf beiden Seiten –, zerbombter Infrastruktur, der in Schutt gelegten Träume von Menschen, die sich jahrelang ihre Existenz aufgebaut haben? Da Putin mit Menschenleben und Menschenrechten so zynisch umgeht, hält Doc Baumann das für eine zumindest mögliche Reaktion. Vielleicht kann man sich Angst und Grauen so ein wenig wenig vom Leibe halten …

Putin, der heimliche Klimaretter
„Für den Anfang gar nicht schlecht, mein Sohn – aber um in meiner Liga mitzuspielen, musst halt schon noch a bisserl zulegen.“
(Montage: Doc Baumann)

Ich muss es  zugeben: Trotz der Bilder in den Druckmedien, trotz der Reportagen und Sondersendungen jeden Abend im Fernsehen – wirklich vorstellen kann ich mir das, was da gerade passiert, nicht. Ein Land ohne konkreten Anlass zu überfallen, alles zu zerstören, was einem in die Quere kommt, die ganze Welt, die eigene Bevölkerung, die eigenen Soldaten anzulügen („Wir sind doch hier im Manöver!“), das sprengt alle Grenzen. Nachdem ich in den Neunzigern versucht hatte, rivalisierende Rockerclubs an einen Tisch zu kriegen und friedliche Lösungen von Konflikten zu erreichen, würde ich das ja auch gern mit Putin machen. Aber ich fürchte, er würde mich nicht im Kreml empfangen wollen, und die NATO hielte mich wahrscheinlich auch nicht für ihren geeignetsten Unterhändler.

Lassen Sie uns also mal eine Verschwörungstheorie basteln. Man kriegt ja immer nur das mit, was auf der Oberfläche zu sehen ist. Was hinter verschlossenen Türen passiert, kann man nur ahnen oder zu rekonstruieren versuchen.

Das hat eine lange Tradition. Schon der griechische Geschichtsschreiber Thukydides hat sicherlich nicht all die geheimen Gespräche belauscht, die er in seinen Werken wiedergab. Er hat das Pferd vom Schwanz her aufgezäumt: Dies oder jenes ist geschehen – also muss dem dies oder jenes vorausgegangen sein.

Also: Putin. Wir haben – unter anderem – zwei große Probleme: Den Klimawandel wegen Erwärmung der Erde und die Waffenarsenale der Staaten, mit denen sich, wie man gerade sieht, andere bedrohen und auslöschen lassen.

Und Putin hat als geheimer Wohltäter der Menschheit nun einen Weg gefunden, wie sich beide Probleme auf einen Streich lösen lassen. Es gibt ja Überlegungen, riesige Sonnensegel im Weltall zu installieren, die das Licht und die Wärme der Sonne zurückhalten könnten. Ein gewaltiger Aufwand, kaum zu finanzieren, und möglicherweise dennoch wirkungslos.

Was also, hat sich Putin da gedacht, kann ganz schnell zum selben Ergebnis führen, aber weitaus billiger und effektiver? Schon mal was vom „nuklearen Winter“ gehört? Ich will das hier nicht ausführlich erklären, schauen Sie im Web nach. Die Idee dabei ist: Wenn eine genügend große Anzahl von Atombomben gezündet wird, steigt der von ihnen erzeugte Dreck in die Atmosphäre auf und bildet dort oben eine Staubschicht, die die Sonneneinstrahlung filtert. Licht und Wärme kommen kaum mehr durch, adé Erderwärmung!

Früher galt das als eine ungewollte und gefährliche Folge eines Atomkriegs. Heute ist der Effekt vielleicht sogar erwünscht. Wenn also Putin tatsächlich einen Atomkrieg anzetteln sollte, müssen wir fairerweise berücksichtigen, welche Hintergedanken er dabei hatte. Die Rettung unseres Planeten!

Nun gleich zum zweiten Problem: die Waffenarsenale der Staaten, insbesondere die Atomwaffen. Rund 13000 soll es weltweit geben. Ich weiß nicht, wie viele man braucht, um den nuklearen Winter in Gang zu setzen, aber es dürfte eine ansehnliche Menge sein. Man muss auch das mal positiv sehen: Jede abgeschossene Rakete und Bombe kann aus den Waffenarsenalen gestrichen werden. Je mehr explodieren, um so geringer wird die Zahl der Atombomben. Kann es einen effektiveren Weg zu Frieden und Abrüstung geben?

Zugegebenermaßen hätten diese Maßnahmen ein paar unerwünschte Begleiterscheinungen; wegen Nebenwirkungen fragen Sie den russischen Kriegsminister. Aber man kann nicht verlangen, dass jemand alle Eventualitäten berücksichtigt. Man muss Prioritäten setzen!

Was Sie da eben gelesen haben, ist natürlich so etwas wie das Pfeifen im Walde. Statt mich unter der Bettdecke oder mit ein paar Packungen Jodtabletten im Heizungskeller zu verkriechen, gebe ich meiner Angst und Wut auf diesem Wege Ausdruck. Wie kann es sein, dass ein Mann (mehr oder weniger) ein ganzes Land und danach vielleicht die ganze Welt in Schrecken versetzt? Vielleicht hat er ja falsche Schlüsse aus der Lektüre seines Vorgängers Lenin gezogen: Dessen Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ meinte nicht unbedingt, dass ein Staat, der sich schamlos imperialistisch gebärdet, damit beweist, das höchste Stadium des Kapitalismus erreicht zu haben und damit unangefochten an der Spitze zu stehen.

In Wirklichkeit ist es natürlich genau andersherum: Statt weltweiten Abrüstens, um frei werdendes Geld dafür einzusetzen, die Zukunft unseres Planeten und der folgenden Generationen zu sichern, zwingt Putin die Staaten der Welt, insbesondere den besonders klimaschädlichen Westen, nach den Ausgaben für Corona nun auch noch aufzurüsten, weil man seinen Zusicherungen nicht glauben kann. „Niemand plant, eine Mauer … nee, das war was anderes … in die Ukraine einzumarschieren.“ (Der Westen hat da seine Erfahrungen, als er seinerzeit die Sowjetunion durch gewaltiges Wettrüsten in den Bankrott trieb.)

Die 100 Milliarden, die allein die deutsche Bundesregierung jetzt draufsetzt, fehlen beim Klimaschutz, bei Schulen und Infrastruktur. Und in anderen Staaten wird es genauso sein.

Wo wir schon bei Verschwörungstheorien sind: Als Saddam Hussein damals drohte (mal abgesehen von den erlogenen US-Interpretationen ihrer Satellitenaufnahmen), dachte ich mir: Wer hat was davon? Seine Armee ist hoffnungslos unterlegen, das wird ein Blutbad. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Rüstungsfirmen. Bezahlen die den? Und so ist es diesmal ebenso. Steht Putin auf deren Gehaltslisten? 100 Milliarden zahlen die bestimmt nicht. Können die Staaten nicht zusammenlegen, um ihm mehr zu bieten? Dann kann er sich in seinen Palast zurückziehen und in Ruhe Geschichtsbücher lesen.

Apropos Geschichtsbücher: Ich meine, so toll ist die Perspektive doch eigentlich nicht, sich in denen künftiger Generationen (hoffentlich gibt’s die noch) Seite an Seite mit Typen wie Hitler aufgelistet zu sehen.

Putin als Verrückten hinzustellen, wie es westliche Staatsmänner gern tun, dürfte kaum weiterführen. Aber vielleicht gibt es in dieser Denkrichtung eine andere Alternative. Erinnern Sie sich an den vollbesetzten Germanwings-Flug 9525, der 2015 von seinem depressiven Piloten gezielt in den Alpen zum Absturz gebracht wurde? Wenn so jemand ein voll besetztes Flugzeug in Trümmer (und Leichenteile) verwandelt – vielleicht ist einem anderen gleich die ganze Welt egal, wenn er schon nicht als ihr Groß-Zar überleben kann.

Die Rüstungsausgaben des Westens sind heute schon rund fünfmal so hoch wie die Russlands. Gleichzeitig ist die Bedrohung durch Putins Imperialismus unübersehbar. Aber ist weltweites Aufrüsten – von Russland als zusätzliche Bedrohung wahrgenommen – der richtige Weg? Eine endlose Eskalationsspirale? Weit besser wäre es, die in den letzten Jahrzehnten nach und nach gekündigten Abrüstungsverträge wiederzubeleben, ja vielleicht selbst Russland irgendwann in die EU aufzunehmen. Auch wenn es im Augenblick die nächstliegende Reaktion zu sein scheint – ich kann mich weder über die 100 Milliarden Sondervermögen für die Bundeswehr freuen noch auf einen Rüstungsetat von jährlich über 60 Milliarden. Und wie schnell es mal wieder ging, diese 100 Milliarden aus dem Ärmel zu schütteln, die für die Bekämpfung der Klimakatastrophe nie aufzubringen waren.

Wie bitte … es geht nicht um die Ukraine?

Nehmen wir mal an, nicht die Ukraine sei von Russland überfallen worden, sondern Russland, von wem auch immer. (Hier geht es nicht um einen wirklichen Angreifer, sondern nur um ein Gedankenspiel.) Von China, Nord-Korea, von den USA. Zumindest im letzteren Fall würde uns natürlich die westliche Propaganda davon zu überzeugen versuchen, dass das gar kein Überfall war, sondern nur eine leider unvermeidliche Reaktion auf eine unmittelbare Bedrohung.

Aber egal, Sie sollen sich nur mal das Szenario vorstellen. Nach Manövern an der russischen Grenze setzen sich gewaltige Kolonnen in Marsch – Soldaten, Panzer, Kriegsmaschinerie. Raketen werden auf Russland abgeschossen und zerstören Städte (ich will bestimmt nichts kleinreden, aber seltsamerweise sieht man auf den Bildern in den Medien immer denselben zusammengestürzten und rauchenden Häuserblock), Flugzeuge werfen Bomben ab. Menschen sterben, leiden, fliehen oder stellen sich dem letzten Kampf.

Ich glaube nicht, dass bei einem derartigen Überfall auf Russland das Entsetzen über eine solche imperialistische Invasion in der Welt und auch im Westen weniger ausgeprägt wäre, dass weniger Menschen deswegen auf die Straßen gingen, Unterstützung organisierten oder auf Spendenkonten überwiesen. Insofern – und nur insofern – geht es hier nicht um die Ukraine und auch nicht um Russland, sondern um einen völkerrechtswidrig überfallenen Staat und einen imperialistischen Aggressor. Es sollte aber heute nicht mehr um Macht und Einflusssphären gehen (auf beiden Seiten), sondern um Menschen.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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13 Kommentare

    1. Na ja, vielleicht ist Ihnen ja aufgefallen, dass das vom Stil und der Technik her die Fälscher Stalins und am Rande auch Heartfield zitiert. Dennoch würde mich interessieren, an welchen Stellen Sie die Montage „miserabel“ finden und warum.
      Was die Bildunterschrift betrifft, die Sie nicht für kommentierungswürdig halten – da habe ich in Einleitung und Text doch eine klare Erklärung zu abgegeben. Auch in schrecklichen Zeiten wie dieser kann Satire entlarven, auch wenn sie dabei bluttriefend werden muss.

      1. Die Montage finde ich handwerklich miserabel. Die beiden Köpfe sind unterschiedlich ausgeleuchtet, der alte Kopf hat eine deutlich andere Tonwertcharakteristik.
        Es ist natürlich sehr schwierig ein neues Digitalfoto einem sehr alten Analogfoto so anzupassen, dass ein Composing glaubhaft wird. Bei Ihrem Composing sind sowohl Schärfe als auch Körnung als auch Tonwerrte/Helligkeit nicht stimmig.
        Wie sehr Sie den Gesichtsausdruck des neuen Kopfs Ihren verständlichen Intentionen vermutlich mit diversen PS-Bearbeitungsmöglichkeiten verändert haben, weiß ich natürlich nicht, doch den Gesichtsausdruck finde ich nicht gelungen. Ist allerdings für die Aussage des Composings sehr wichtig. Ein weiterer Punkt für die miserable Wertung durch mich.
        Dass unliebsam gewordene Personen immer wieder mal aus Fotos entfernt wurden, gehört zu den Seltsamkeiten von manchen Personen und Regimen, die ich nicht näher ausführen muss. Das ist ja für Interessierte und Leute die kritisch beobachten nicht neu. Auch die Wertung, die sich aus so einem Vorgehen und Verhalten unmittelbar ableitet.
        Dass in diesen Blogs Leute mit bescheidenen Fachwissen, die ich sicherlich nicht als Experten bezeichnen möchte, sich lang und breit über Themen auslassen, die laut dem Selbstverständnis von DOCMA kein Kernthema von DOCMA sein können, finde ich unverantwortlich.
        Auf der Seite https://www.docma.info/ueber-docma
        steht:
        „Das unabhängige DOCMA-Magazin (gegründet 2002) erscheint alle drei Monate und richtet sich an Fotografen, Bildbearbeiter sowie andere Medienschaffende, die wissen wollen, was mit Hilfe von Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop und Lightroom technisch machbar ist und vor allem wie es geht.“
        Ich erkenne nirgends einen Hinweise auf Kompetenzen einer Pandemiebewältigung, keinen Auftrag, Leser mit Satiren zu beglücken.
        Deswegen, und nur deswegen(!!!), lehne ich Diskussionen und Kommentare über Dinge in DOCMA ab, die nach Ihrem ausgegebenen Selbstverständnis, vorsichtig ausgedrückt, nicht zu Ihrer Kernkompetenz gehören.

    2. „Den Text darunter möchte ich in einer Bildbearbeitungszeitschrift nicht kommentieren.“ Hier sind wir ja auch nicht in einer Bildbearbeitungszeitschrift, sondern im Blog auf der DOCMA-Website. Das macht schon einen Unterschied, nicht nur weil man DOCMA am Kiosk kaufen oder abonnieren muss, während man hier kostenlos alle Blog-Artikel lesen kann. Kommentare im Blog werden zum Beispiel nicht im Heft veröffentlicht, ebensowenig wie die Blog-Artikel selbst. Wir wissen, was wir mit DOCMA erreichen wollen, und wir kennen den Sinn unseres Blogs: Hier schreiben wir im Wochenrhythmus über Themen, die uns gerade beschäftigen, und diese ergeben sich zwar oft aus dem engeren Themenspektrum von DOCMA, aber nicht immer. Wir sind alle vielseitig interessiert und unsere Blog-Beiträge spiegeln das wider.

        1. Ja, diese Kategorie von Kommentar ist unter dem Schlagwort „Schuster, bleib bei Deinem Leisten“ bekannt. Falls wir uns die Mühe machen, darauf zu reagieren, erklären wir seit Jahren, dass wir solche Ratschläge ignorieren, so gut sie auch gemeint sein mögen, und daran wird sich auch nichts ändern. Das ist ja das Schöne an einem Blog: Jeder Blogger kann selbst entscheiden, was er oder sie dort veröffentlicht, und alle anderen können selbst entscheiden, ob sie es lesen wollen.

  1. Anders als sarkastisch oder zynisch kann man mit dieser schier irrealen Situation gar nicht umgehen – als Otto oder Lieschen Normalbürger.
    Es ist einfach nicht zu fassen. Und auch ich stelle mir die Frage: „Wie kann es sein, dass ein Mann ein ganzes Land und danach vielleicht die ganze Welt in Schrecken versetzt?“
    Ja, WIE KANN ES SEIN?
    Thesen als Antwort auf diese Frage gibt es viele. Eine, die mich überzeugt hat, ist mir noch nicht begegnet.
    Ich dachte, die Welt hätte durch Hitler und Konsorten was gelernt. Falsch gedacht! Und ich befürchte, es wird ewig so weitergehen – dass irgendein geistesgestörter, machtbesessener Psychopath die Welt dominiert.
    Und ich frage erneut: WIE KANN ES SEIN?

  2. (Zitat) Vergangene Woche wird der ehemalige Direktor der Russland-Abteilung der CIA mit dem Namen George Beebe zitiert. Er sagte: „Die Wahl, vor der wir in der Ukraine standen – und ich nutze absichtlich die Vergangenheitsform – war, ob Russland sein Veto zu einer NATO-Beteiligung in der Ukraine am Verhandlungstisch oder auf dem Schlachtfeld ausüben würde. Und wir entschieden uns, dafür zu sorgen, dass das Veto auf dem Schlachtfeld ausgeübt wird, in der Hoffnung, dass Putin sich entweder zurückhält oder der Militäreinsatz scheitert.“

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