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Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Wir sind frei, wenn wir wollen

Letzte Woche hat der Bundestag nicht nur die „Ehe für alle“, sondern auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, NetzDG) verabschiedet – trotz der verbreiteten Kritik daran, die die Meinungs- und Pressefreiheit bedroht sieht. Meine Haltung zum neuen Gesetz ist zwiespältig, aber vor allem frage ich mich, warum wir uns ohne Not von den sozialen Netzwerken abhängig machen, die das NetzDG regulieren soll.

Netzwerkdurchsetzungsgesetz: Wir sind frei, wenn wir wollen
Es ist wohl unstrittig, dass die sozialen Netze nicht bloß voller niedlicher Katzenfotos sind; über diese Medien wird leider auch Hass und Hetze verbreitet – auch solche, die in Deutschland strafbar ist. Insbesondere Facebook hat sich bisher als nicht übermäßig eifrig erwiesen, auf Beschwerden über solche Inhalte zu reagieren; oft findet man auch nichts zu beanstanden, obwohl die Hetze offensichtlich sein müsste. Das ist die Position des Bundesjustizministeriums, und sie deckt sich mit meinen eigenen Beobachtungen. „Da müsste man doch etwas tun!“ ist daher eine naheliegende Reaktion. Bloß was?

Das NetzDG, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, droht den großen sozialen Netzwerken (mit mehr als 2 Millionen Nutzern) Bußen von bis zu 5 Millionen Euro an, wenn sie eindeutig rechtswidrige Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden entfernen; bei weniger eindeutigen Fällen gibt man ihnen sieben Tage Zeit. Kritiker wenden dagegen ein, dass die Durchsetzung des Rechts damit privatisiert würde, während sie doch eigentlich Aufgabe der Gerichte wäre. Wenn man Unternehmen mit hohen Bußgeldern droht, besteht die Gefahr, dass sie eher zu viel als zu wenig löschen und damit die Meinungsfreiheit einschränken. Schon bisher war es ja so, dass Facebook zwar auf manchen Gebieten zu wenig tat (das US-amerikanische Konzept von „free speech“, das nicht der deutschen „Meinungsfreiheit“ entspricht, lässt noch Aufforderungen zur Gewalt zu, die hierzulande strafbar wären), aber immer dann schnell zur Tat schritt, wenn etwas zu viel nackte Haut zu sehen war. Wir erinnern uns alle daran, dass zeitweise auch Nick Uts berühmtes Foto aus dem Vietnamkrieg gesperrt war, das vor einem Napalm-Bombardement fliehende Dorfbewohner zeigt, darunter die nackte, damals 9-jährige Phan Thị Kim Phúc.

Die Lösung, auf die der Gesetzgeber verfallen ist, kann nicht befriedigen, und es ist auch fraglich, ob sie dauerhaft Bestand haben wird – sowohl das Bundesverfassungsgericht wie auch die EU könnten Einwände erheben. Aber wie genau sollte eine praktikable und rechtlich einwandfreie Alternative aussehen? Gerichtsverfahren nehmen viel Zeit in Anspruch; bis ein Urteil gefällt ist, hat sich die Sache sowieso erledigt und die sozialen Netze widmen sich längst anderen Themen, zu denen neue Hassbotschaften in den Kommentaren auftauchen. Eine Ausschaltung der Judikative durch eine Art Netzpolizei wäre aber nicht akzeptabel. Daher bin ich unschlüssig, wie ich mich zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz positionieren soll: Es ist ein schlechtes Gesetz, keine Frage, aber wie sähe ein besseres aus?

Ich meine allerdings, dass wir uns in diesem Zusammenhang noch eine andere Frage stellen müssten: Warum machen wir uns denn überhaupt von Wirtschaftsunternehmen wie Facebook abhängig? Wie kommen wir darauf, dass sich ein Unternehmen, das mit unserer Kommunikation Geld verdienen will, im Ernstfall zum Garanten der Meinungsfreiheit machen wird? Wenn ein Unternehmen Ideale opfern muss, um weiter Geld verdienen zu können, wird es das normalerweise tun. Facebook bietet seinen Nutzern den kostenlosen Zugang zu einem virtuellen Platz, auf dem diese Bilder und Texte veröffentlichen können, aber natürlich übt Facebook dort sein Hausrecht aus – auch in dem Sinne, dass sie es vermeiden, sich strafbar zu machen. Wir können nichts anderes verlangen – wir sind ja nicht einmal zahlende Kunden und müssen das Angebot so nehmen, wie es kommt. Oder eben nicht.

Aber wir sind ja nicht auf die sozialen Netze angewiesen. Als das World Wide Web in den 90er Jahren das Internet erstmals für Normalverbraucher nützlich und nutzbar machte und gleichzeitig der Internetzugang immer erschwinglicher wurde, war die Zukunftsperspektive noch eine ganz andere gewesen. Damals erwarteten ich und viele meiner Kollegen, dass künftig immer mehr Menschen eine eigene Website haben würden – einschließlich eines eigenen Domainnamens, so dass man bei Bedarf auch den Hoster wechseln könnte und weiter erreichbar bliebe. In diesen Jahren schrieb ich viele Artikel darüber, wie man sich freie Domainnamen sichert und wie man seine eigene Präsenz im Web gestaltet. Zwar habe ich selbst diverse Websites eingerichtet, für mich, für Familienmitglieder, Freunde und befreundete Institutionen, aber die meisten Menschen gingen einen anderen Weg. Statt individuell gestalteter Websites wurden erst Blogs von der Stange populär, bis sich dann die meisten mit einer eigenen Seite auf Facebook oder anderen sozialen Netzen begnügten, wo die Gestaltung vom Anbieter vorgegeben ist und die Freiheit, eigene Inhalte zu posten, recht willkürlich eingeschränkt werden kann.

Aber das Internet bietet noch immer alle Freiheiten, die es vor 20 Jahren bot. Wir können noch immer einen eigenen Platz im Web einrichten und dort im Rahmen des geltenden Rechts tun und lassen, was wir wollen. Nur ein Gericht könnte uns daran hindern, und selbst dann stünde uns der Instanzenzug offen. Eine eigene Website kostet nur wenige Euro im Monat und der Aufwand zur Einrichtung ist überschaubar. Mit einem simplen RSS-Feed, der bloß das Internet selbst und keinen zusätzlichen Betreiber braucht, können wir unsere Freunde und Fans darüber auf dem Laufenden halten, was sich bei uns und auf unserer Website tut. (Ich habe nach wie vor viele RSS-Feeds abonniert, und für viele andere News, die ich heute über Facebook bekomme, wäre ein RSS-Feed völlig ausreichend – wenn es ihn denn gäbe.)

Deswegen müssen wir die sozialen Netze nicht links liegen lassen. Wir können weiterhin auf der eigenen Facebook-Seite darauf hinweisen, wenn es neue Inhalte auf der Website gibt. So handhaben wir es ja auch bei DOCMA, denn alle wichtigen Inhalten finden Sie hier auf docma.info; unsere Facebook-Posts verlinken meist nur darauf.

Wenn wir uns einem Wirtschaftsunternehmen anvertrauen, sind wir ihm ausgeliefert, aber nichts und niemand zwingt uns, das zu tun. Höchstens unsere Bequemlichkeit …

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Desto mehr man Entscheiden will, desto mehr kann man auch missbrauchen und eher das Gegenteil bewirken. Daher sollten solche Entscheidungen wie mit der NetzDG differenzierter deklariert werden.

    Abgesehen davon, halte ich nicht wirklich viel von der Einseitigkeit der Socialmedia-Präsenz.

    So wie hier auch erwähnt wurde, ist der Freiraum sehr eingeschränkt und man hat die Leute nicht wirklich für sich Selbst aufgebaut.
    Eine eigene Webseite finde ich wesentlich besser, individueller, sicherer und langfristig Produktiver.

    Man hört oft, das hier oder dort mal willkürlich ein Account auf einer SocialMedia Plattform gelöscht wird. Besonders für diese Willkür bekannt ist Facebook.

    Ich hoffe das der Trend in Zukunft in Richtung persönliche Webseiten geht. Aber da hier viel Technologie vorhanden ist, bezüglich der Erstellung, wäre es gut, wenn einfache Baukastensysteme von Hostanbietern zur verfügung gestelt werden, um die Masse zu bedienen … ebenso auch die Möglichkeit für entsprechende Publikationsmöglichkeiten.

    Da ist man relativ begrenzt auf Google, was schon fast eine Monopolstellung hat … das gefällt mir nicht.

    Wäre gut, wenn sich Suchmaschinen auf unterschiedliche Schwerpunkte konzentrieren und auch dafür bekannt gemacht werden.

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