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Wer braucht denn noch eine Website?

Ist eine eigene Website nicht ein bisschen gestrig, wenn die Internet-Parties doch in den sozialen Medien gefeiert werden? Dabei gibt es gute Gründe, sich auch heute noch mit der Pflege einer eigenen Anlaufstelle im Internet abzumühen.

Derzeit mal wieder eine Baustelle: digicam-experts.de

Für mich stellte sich die Frage jüngst ganz konkret, weil digicam-experts.de, eine meiner Websites, langsam zerbröselte. Ich hatte sie vor mehr als 20 Jahren eingerichtet, als ich freiberuflich zu arbeiten begann und mit einem Kollegen ein Redaktionsbüro eröffnete. (Übrigens hatten wir jahrelang tatsächlich ein Büro, weil Work from Home – oder Homeoffice, wie man auf Deutsch sagt – damals noch nicht so verbreitet war wie heute.) Irgendwie musste man ja eine Präsenz im Internet haben, auf die man verweisen konnte, um die eigene Kompetenz unter Beweis zu stellen. Ich schrieb also HTML-Code, entwarf eine Gestaltung mit CSS, programmierte in PHP und JavaScript und entwickelte Datenbanken mit MySQL. Mit der Zeit kamen diverse Anbauten hinzu, und um 2005 sah die Website ganz respektabel aus. Verschiedene Open-Source-Komponenten, die ich ursprünglich verwendet hatte, warf ich ’raus und programmierte alles selbst.

Allerdings wurde die Website mit den Jahren auch immer unwichtiger. Wer ich war und was ich konnte, war schließlich in der Branche bekannt. Machen wir uns nichts vor: Viel wichtiger als eine eigene Website oder die Präsenz in Geschäftsnetzwerken wie LinkedIn oder XING sind immer noch persönliche Kontakte. Die Einnahmen, die digicam-experts.de über Werbung erzielte, erreichten nie eine nennenswerte Höhe und reichten gerade, um die Kosten des Hostings zu decken. Ein Highlight der Website war unsere Kameradatenbank, aber die habe ich schließlich an den Verlag des fotoMAGAZIN verkauft und bald nur noch auf dessen Website gepflegt.

Immerhin funktionierte digicam-experts.de noch, und nachdem ich einige ältere und schon länger nicht mehr aktualisierte Teile amputiert hatte, hätte es mit der Sparversion weiter gehen können – wenn mich der Hoster nicht zu einem Update auf eine neuere PHP-Version gedrängt hätte. Das erforderte wiederum Anpassungen beim MySQL-Code, was ich zunächst schleifen ließ, bis Ende letzten Jahres gar nichts mehr ging: Die meisten Seiten zeigten nur noch eine weiße Fläche. Ich musste etwas tun – aber was? Wiederbelebung oder Gnadenschuss, das war die Frage.

Hatte sich das Konzept einer persönlichen Website nicht längst überlebt? In den 90er Jahren dachten wir noch, dass bald jeder eine Website (oder Homepage, wie man damals sagte) haben würde, und ich schrieb im macmagazin Artikel darüber, wie man sich mit HTML und CSS eine Heimstatt im Web bauen konnte. Bald kamen dann aber Baukastensysteme wie TYPO3 und WordPress auf den Markt, die einen der Mühe enthoben, selbst Code schreiben zu müssen, wozu ja kaum jemand wirklich Lust hatte. Das war die Zeit, als jeder, der auf sich hielt, ein Blog hatte. Das Kunstwort war aus web log (also einem Logbuch im Web) über eine kreative Verschiebung der Wortgrenzen zu we blog entstanden – als Verb to blog und als zugehöriges Substantiv blog. Aber auch das blieb eine Phase, denn schließlich setzten sich soziale Medien wie Facebook, Instagram und Twitter durch, die für manche Jüngeren schon alles waren, das sie überhaupt vom Internet wahrnahmen. Wer der Welt etwas mitteilen oder zeigen wollte, tat es dort.

Und trotzdem: Wer Inhalte anzubieten hat, die einen (idealerweise bleibenden) Wert haben, tut weiterhin gut daran, sie auf der eigenen Website zu präsentieren. Die DOCMA-Site ist ein gutes Beispiel dafür: Unsere Inhalte gibt es online ausschließlich hier; Facebook nutzen wir nur, um neue Beiträge bekannter zu machen, indem wir sie von dort verlinken. Auch wenn Mark Zuckerberg das gar nicht so gern sieht, denn genauso wie Elon Musk bei X/Twitter würde er gerne verhindern, dass man sein Ökosystem überhaupt noch verlässt. Aber auf docma.info werden unsere Inhalte von Google und anderen Suchmaschinen gefunden, und anders als in der Timeline eines sozialen Mediums, in der Beiträge scheinbar verschwinden, wenn man nur mal kurz woanders hin schaut, gehen sie hier nicht verloren. Eine Website lässt sich klarer strukturieren als eine Timeline, in der alles an einem vorbei rauscht und nichts haften bleibt. Nicht zuletzt, weil einem auch werbliche Inhalte ’reingedrückt werden, die man nie aus eigenem Antrieb abonnieren würde.

Die Abteilung „Wissen“ auf digicam-experts.de

Für mich war die Sache auch klar: digicam-experts.de darf nicht sterben. Aber das bedeutete Arbeit, und zwar mehr als ich ursprünglich gedacht hatte. Nicht nur der Code dahinter war in die Jahre gekommen und musste auf eine komplett neue Basis gestellt werden – glücklicherweise hatte ich bei der Entwicklung anderer Websites in den letzten Jahren schon Vorarbeit geleistet und konnte manche Komponenten übernehmen –, auch die Gestaltung wirkte inzwischen altbacken. Die Artikel in der Abteilung „Wissen“ sagten nichts wirklich Falsches, aber manches war nicht mehr auf dem neuesten Stand oder gar nicht mehr relevant. Selbst wenn an einer Erklärung eigentlich nichts auszusetzen war, wirkten die angeführten Beispiele – Kameramodelle, Megapixelzahlen oder Bildschirmgrößen – aus der Zeit gefallen. Und das waren sie ja auch. Eine weitere Baustelle war die Bebilderung, denn aktuelle High-DPI/Retina-Bildschirme erfordern eine mindestens doppelt so hohe Auflösung der Bilddateien. Letztendlich werde ich fast alle Illustrationen neu berechnen müssen, und damit bin ich immer noch nicht fertig, auch weil ich erst einmal die hochaufgelösten Ausgangsbilder wiederfinden muss.

Falls Sie mal vorbeischauen wollen: Mit Stand von heute funktioniert zwar manches noch nicht, so die Kameradatenbank und der Schärfentiefenrechner, die beide über kurz oder lang zurückkommen werden (auf der Website des fotoMAGAZIN ist meine Kameradatenbank im letzten Jahr verschwunden, und wie die Dinge leider liegen, wird sich daran auch nichts mehr ändern), und an einigen Gestaltungsdetails arbeite ich noch. Die Wissens-Artikel habe ich aber größtenteils bereits aktualisiert, und mehr Artikel dieser Art sind in Arbeit. News, ein Blog oder Kameratests, wie es sie früher einmal gab, werden aber keine Wiederauferstehung feiern. Wie ich gelernt habe, hat es keinen Sinn, allzu großspurig aufzutreten, wenn man den erhobenen Anspruch absehbar nicht dauerhaft aufrecht erhalten kann. Meine Blog-Beiträge finden Sie weiterhin nur hier; auf meiner eigenen Website verlinke ich lediglich darauf.

Kleine Ergänzung (29.1.2024): Auch der Schärfentiefenrechner ist ist jetzt wieder online. Ich habe ihn bei dieser Gelegenheit noch etwas übersichtlicher gestaltet und aufgehübscht. Bis die Kameradatenbank wieder am Start ist, wird es aber noch einige Zeit dauern.


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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