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Mangelwirtschaft

Man mag ja über britische Supermärkte spotten, in denen leere Auslagen durch Bilder der fehlenden Lebensmittel kaschiert werden, aber auch bei uns mangelt es mittlerweile an vielen Dingen – Papier beispielsweise.

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Letztes Jahr im März: Plötzlich waren die Regale für Toilettenpapier und Küchenkrepp leergefegt.

Im März 2020 fand ich plötzlich kein Toilettenpapier mehr – in der Drogerie waren die Regale leer; auch Küchenkrepp war nicht mehr zu finden, ein besonders teures Produkt ausgenommen. Die scheinbare Verknappung ergab eigentlich keinen Sinn, denn die Industrie produzierte genug Papier für alle diesbezüglichen Bedürfnisse. Die ersten Lockdowns in der Pandemie erzeugten jedoch Panik, und manche Kunden begannen ohne Not, Vorräte für mehrere Monate zu hamstern – mit dem Ergebnis, dass für Kunden mit normalem Kaufverhalten nichts mehr übrig blieb. Es gab genug Papier, nur lagerte es nutzlos in irgendwelchen privaten Kellern. Es dauerte etliche Wochen, bis sich die Versorgungslage wieder normalisiert hatte, und noch länger, bis meine bevorzugte Marke (Goldeimer, ein Produkt von Viva con Agua, die mit dem Verkauf von Klopapier Sanitärprojekte in der Dritten Welt und mit dem Verkauf von Mineralwasser Brunnenbohrungen finanzieren) wieder verfügbar war. Alle Hersteller konkurrierten damals um die Rohstoffe und die Kleineren unter ihnen hatten das Nachsehen.

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Ein Klopapier für den guten Zweck – aber im vergangenen Jahr lange nicht zu bekommen. (Bild: Goldeimer)

War die Verknappung vor einem Jahr nur scheinbar und vor allem auf das unvernünftige Kaufverhalten einiger Kunden zurückzuführen, haben wir es mittlerweile aber mit einem echten Papiermangel zu tun – jedenfalls in Europa. Als eine Freundin von der Frankfurter Buchmesse zurückkehrte, berichtete sie mir, dass die Verknappung des Papiers für den Buchdruck das große Thema bei allen Verlagen gewesen sei. Vereinzelt würde schon überlegt, mit schmaleren Rändern mehr Text auf jeder Seite unterzubringen und so Papier zu sparen. Notfalls müsste man eben auf das eBook ausweichen – für Bibliophile wie mich keine wirkliche Lösung.

Woran liegt’s? Im Zweifelsfall ist ja immer China schuld, und in diesem Fall stimmt es sogar – zumindest ist es ein Teil der Erklärung. China hält seit einiger Zeit viele Rohstoffe zugunsten des heimischen Marktes zurück und exportiert entsprechend weniger. Das gilt für Seltene Erden (die gar nicht so selten sind, aber außerhalb Chinas kaum noch abgebaut werden), für Mineralien wie Magnesium (ein Bestandteil vielerlei Produkte, von Kameragehäusen bis zu Tabletten gegen Muskelkrämpfe), aber eben auch für Papier und den wichtigsten Rohstoff der Papierhersteller: Holz. Schuld ist aber auch Amazon, stellvertretend für viele Versandunternehmen, die immer mehr Papier für die Versandverpackung benötigen. Manche Papierhersteller haben ihre Produktion bereits komplett auf Verpackungsmaterial umgestellt, denn damit lässt sich offenbar mehr Profit als mit hochwertigem Druckpapier erwirtschaften.

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In Hamburgs HafenCity entsteht das höchste Holzhochhaus Deutschlands. (Bild: Störmer Murphy and Partners)

Durch Recycling lässt sich der Holzbedarf der Papierindustrie zwar reduzieren, aber dieses Potential ist schon weitgehend ausgereizt. Das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage auf dem Holzmarkt wird auch nicht so schnell verschwinden, denn einerseits ist die Holzwirtschaft nicht so nachhaltig, wie sie sich gerne darstellt, und andererseits steigt gleichzeitig die Nachfrage nach Holz als Baumaterial. Inzwischen werden schon Hochhäuser aus Holz gebaut, und nachdem Beton durch dessen schlechte CO₂-Bilanz in Verruf geraten ist, stoßen solche alternativen Baumaterialien auf immer größeres Interesse. Vielleicht liegt die Zukunft ja im Hanfpapier, wenn künftig mehr Hanf zur Gewinnung des wohl bald legalisierten Cannabis angebaut wird …

Dabei ist der Papiermangel noch lange nicht das einzige Problem. Der Farbhersteller AzkoNobel meldete jüngst, ihm fehle für bestimmte Blautöne ein entscheidender Farbstoff, und davon abgesehen könnten sie die Nachfrage nach manchen Wandfarben nicht befriedigen, weil ein für die Wasserfestigkeit nötiger Zusatz nicht geliefert würde, ganz zu schweigen von Stahlblech für die Farbdosen. Die Zeit des ungebremsten Wachstums scheint vorbei zu sein.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

2 Kommentare

  1. Menschen sind eben keine rationalen Lebewesen, und wenn eine irrationale Angst in Panik umschlägt, dann gibt es Panik, die sich in nicht verständlichen Handlungen äußert. Gerüchte, dass manche Produkte knapp werden, gab es schon immer, die sogenannten Sozialen Medien beschleunigen heute solche Vorgänge.
    Dass es an einigen Rohstoffen mangelt, ist jedoch ausschließlich der Gier und dem Ausnutzen der Schwachpunkte der praktisch bedingungslosen freien Marktwirtschaft ohne alle Regeln und Regulierungen geschuldet. Einerseits ist es die Gier nach mehr Gewinnen, andererseits die Gier, alles billiger einkaufen zu wollen, sowohl von Produzenten als auch von Konsumenten. Wenn eine Firma nicht billigst einkauft, ist sie weg vom Markt. Damit wanderte die Produktion in Länder, die billigst produzieren, meist mit extrem niedrigen Lohnkosten und ohne Rücksicht auf die Umwelt. Jetzt nutzen diese Firmen und Länder ihre praktischen Monopolstellungen aus, war ja in der Geschichte der Menschheit immer so.
    Das hat die Politik jahrzehntelang so unterstützt, das sind genau diese Politikerinnen und Politiker, sie die Menschen so lieben und verehren.

  2. Wer sagte mal: „Menschen denken logisch und handeln emotional!“ ?
    Dazu kommt, dass unsere Spezies die agressivste ist und immer mehr sammelt. Die Anzahl schädigt den Planeten, der sich nun wehrt. Abgesehen von diesen grossen Zusammenhägen ist es im Kleinen interessant, dass hier normales Fleisch meist zum 4fachen des Einkaufspreises verkauft wird, aber Bio zum 8fachen. Zumindest in den grossen Supermärkten. Deswegen ist Bio-Fleisch in der Produktion zwar nur geringfägig teuer, aber für den Verbraucher kostet es das Doppelte.
    Interessant auch der Luxus, Wasser nicht aus dem Hahn zu trinken, sondern aus Frankreich, Italien oder sonstwo zu importieren, wo es mit CO2 versetzt wird, das wir hier in die Luft ablassen. Oder irgendwelche Frucht- und Energie-Wasser, die zu 95 % aus Leitungswasser bestehen und so hohe Gewinne einfahren, dass man damit F1-Rennen finanzieren kann.
    Ich halte den Hype um CO2 für übertrieben, denn das Gas lässt Pflanzen besser wachsen. Problematisch ist die Wärmeabgabe von Häusern, aber auch Photovoltaik und Fahrzeugen.

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