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Intelligentes Design?

Dass neue Kameramodelle oft enttäuschen, hatte ich hier schon einmal zum Thema gemacht. Die Neuerungen, die sie bringen, erfüllen dann nicht die Erwartungen der Fotografen, die ein Verbesserungspotential an ganz anderen Stellen als die Hersteller sehen. Aber wie entstehen überhaupt die Innovationen, die in den Produktankündigungen angepriesen werden?

Canon EOS 5D Mark IV: 4065 Euro und noch immer kein bewegliches Display?
Canon EOS 5D Mark IV: 4065 Euro und noch immer kein bewegliches Display?

Die photokina ist nicht mehr weit – manche munkeln, dies könnte die letzte photokina sein, also gehen Sie hin, wenn Sie können – und damit ist dies auch wieder eine der Zeiten im Jahr, in denen sich die Ankündigungen neuer Kameramodelle häufen, kulminierend voraussichtlich am 19. September 2016, dem Pressetag der Messe. Da die neue Kamerageneration versandfertig gemacht wird, arbeiten die Entwickler sicherlich bereits an den Nachfolgern, die in einem, zwei oder drei Jahren auf den Markt kommen. Aber wie muss man sich deren Arbeit vorstellen?

Kameraentwickler lassen sich höchst selten in die Karten schauen. Da es sich weit überwiegend um japanische Ingenieure handelt, kommt für einen deutschen Journalisten noch ein Sprachproblem hinzu, zumal die Gesprächspartner schnell ihre Englischkenntnisse vergessen, wenn man allzu neugierig wird. Meine Einschätzungen gehen daher weitgehend auf die Interpretation dessen zurück, was ohnehin öffentlich bekannt ist.

Die Headline dieses Beitrags spielt natürlich auf die gleichnamige Gegenposition zur Evolutionstheorie an. Auf „Intelligent Design“ berufen sich Leute, die zwar nicht als tumbe Bibelgläubige erscheinen wollen (die ernsthaft meinen, der liebe Gott hätte die Welt in sechs Tagen erschaffen), aber aus irgendwelchen Gründen Probleme mit der Vorstellung haben, das Leben sei durch eine Evolution entstanden. Hinter der Entstehung des Lebens müsse, so meinen die Vertreter dieser These, ein intelligenter Designer stehen. Tatsächlich ist es aber so, dass auch in den Fällen, in denen ganz sicher intelligente Designer am Werk sind, sich deren Produkte kaum von denen einer Evolution unterscheiden.

Für die Evolution ist es charakteristisch, dass bestimmte Features zunächst entstehen, weil sie in einer Hinsicht nützlich sind, dann aber für ganz andere Zwecke genutzt werden. So entwickelten die Saurier ein Federkleid, das sich zur Temperaturregelung eignete und vielleicht auch nützlich war, um Angehörige des anderen Geschlechts zu beeindrucken, am Ende aber einigen Arten das Fliegen erleichterte. So entwickelten sich aus einem Seitenzweig der Saurier die Vögel, als die die Dinos bis heute überlebt haben.

Ganz ähnliche Phänomene findet man in der Kameraentwicklung. Ich hatte an dieser Stelle bereits am Beispiel der Pentax K-1 beschrieben, wie Ricoh auf Basis eines beweglichen Sensors, der zunächst allein der Bildstabilisierung diente, eine Vielzahl zusätzlicher kreativer Anwendungen entwickelt hat. Ähnliches liegt auch der neuen Canon EOS 5D Mark IV zugrunde. Vor 13 Jahren führte Fuji den Sensortyp SuperCCD SR ein, bei dem zwei Fotodioden unterschiedlicher Empfindlichkeit unter derselben Mikrolinse lagen. Der Zweck dieses Designs war, mit einer Verrechnung der Signale beider Fotodioden den Dynamikumfang zu vergrößern. Dies hatte allerdings den Nachteil, dass die beiden Fotodioden nicht genau in dieselbe Richtung schauten – oder vielmehr taten sie das nur innerhalb der Schärfezone. Fujis Entwickler kamen auf die Idee, diesen Unterschied für einen Phasendetektions-Autofokus zu nutzen, und eine experimentelle Auswertung der Pixel ergab, dass eine solche Zweckentfremdung tatsächlich möglich war, auch wenn die unterschiedlich empfindlichen Fotodioden dafür nicht optimal geeignet waren. Einige Jahre später entwickelten immer mehr Hersteller Kameras, die genau dieses Prinzip für einen schnellen Autofokus ohne dedizierten AF-Sensor nutzen – eine attraktive Lösung insbesondere für spiegellose Systemkameras, die sonst auf den langsamen Kontrast-AF angewiesen blieben. Canon setzt hierfür auf Sensoren, die ähnlich wie einst bei Fujis SuperCCD SR zwei Fotodioden unter jeder Mikrolinse sitzen, nur dass hier beide Fotodioden gleich empfindlich sind. Drei Jahre, nachdem Canon erstmals eine Kamera mit einem solchen Sensor vorgestellt hatte, verspricht die EOS 5D Mark IV nun weitere Anwendungen dieser Technologie: Das neue Modell soll auf Basis der doppelten Pixeldaten den Fokus im Nachhinein fein justieren, den Unschärfebereich verschieben und Lensflares unterdrücken können.

Tatsächlich ist so etwas typisch für die Kameraentwicklung. Erst wird eine neue Technologie eingeführt, dann finden die Hersteller immer neue Nutzanwendungen. Und das gilt nicht nur für die Kameraentwicklung. Bei Adobe kann man nachvollziehen, wie Algorithmen, um fehlende Bildteile auf Basis einer Analyse der Umgebung passend zu ersetzen, in immer mehr Funktionen von Photoshop und Lightroom integriert wurden. Und auch die zugrundeliegende Technologie entstand nicht zweckgerichtet: Wie Adobe vor Jahren einmal erklärte, gab es nach dem Ende des Starwars-Programms – Ronald Reagans Idee einer Militarisierung des Weltraums, nicht die gleichnamigen Kinofilme, die glücklicherweise bis heute fortgesetzt werden – eine Vielzahl Wissenschaftler im Ruch der Genialität, die nach einer Beschäftigung suchten, und Adobe gab ihnen eine zivile Spielwiese. Photoshop hat von ihren Ideen profitiert, auch wenn diese Entwicklungen keinem vorgefassten Plan folgten.

Einem für die Evolution typischen Vorgehen folgt auch Sony. Oft wird diesem Hersteller vorgeworfen, parallel alle möglichen Produkte zu entwickeln, nur um zu sehen, worauf die Kunden ansprechen. Was erfolgreich ist, wird weiterentwickelt, während andere Produktlinien verschwinden. Für jene, die auf das falsche Pferd gesetzt haben, ist das bedauerlich, aber insgesamt scheint Sonys Schrotflintenprinzip durchaus erfolgreich zu sein.

Von einem zielgerichteten Design ist wenig zu erkennen. Das gilt selbst für die erfolgreichste Entwicklung der letzten Jahre, nämlich die der Foto-Handys. Diese Produktkategorie war so erfolgreich, dass sie große Teile des Kameramarktes hinweggefegt hat, aber auch das folgte keinem Masterplan. Die ersten Mobiltelefone mit integrierter Kamera wurden schon lange vor den ersten Smartphones entwickelt. Die Auflösung dieser Kameras blieb oft noch unterhalb der VGA-Auflösung, weshalb sie nicht recht ernst genommen wurden. Damals lud beispielsweise Siemens – einst ein führender Handy-Hersteller – Journalisten wie mich ein, um sie von den Vorzügen ihrer Kamera-Handys zu überzeugen; wir sollten dann als Multiplikatoren unsere Leser davon überzeugen, mehr Fotos mit dem Handy zu machen und diese an die Freunde zu verschicken. Der Hintergrund war die Einführung des Multimedia Messaging Service (MMS) als Weiterentwicklung des SMS-Standards. Der Versand von SMS war für die Netzanbieter extrem lukrativ und um den Umsatz zu vervielfachen, sollten größere Datenmengen verschickt werden – Bilder, Filme und Töne. Damit solche Daten verschickt werden konnten, mussten sie erst einmal entstehen, und das war die Raison d’être der Kamera-Handys: Die Handys bekamen Kameras, damit die Netzanbieter ihren Profit maximieren konnten. Zunächst wurden sie jedoch als Spielerei abgetan, und es sah ganz danach aus, als würde diese Produktkategorie schnell aussterben.

Dass es dann ganz anders kam, lag nur zum Teil daran, dass die verbauten Kameramodule qualitativ immer besser wurden und bald als gut genug galten, um die ebenfalls vorhandene Kompaktkamera zuhause zu lassen. Entscheidender war, dass die neue Generation der Smartphones den Kontakt zu den gleichzeitig immer populärer werdenden sozialen Netzen herstellten, über die sich die Fotos weiterverbreiten ließen. Mit dem alten MMS-Dient konnte man Fotos an einen einzigen Adressaten verschicken, per Facebook oder Twitter dagegen mit der ganzen Welt teilen. Vermutlich hatte keiner der Beteiligten diese Entwicklung vorausgesehen – ganz bestimmt nicht die Netzanbieter, die zusehen mussten, wie der Datenaustausch über die Internet-Flatrate statt über den willkürlich überteuerten MMS-Dienst lief.

Erwarten Sie also nicht, dass neue Kameramodelle unbedingt Lösungen für Probleme bieten, die Fotografen tatsächlich umtreiben. So funktioniert das nicht.

Michael J. Hußmann
Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Kamerahersteller ganz bewusst einige Neuerungen zurückhalten, um immer etwas für neue Modelle „auf Lager“ zu haben. Selbst Änderungen, die einfach per Software realisierbar sind werden erstmal nur in teuren Modellen eingeführt (Beispiel: Timer für bestimmte Bildzahl in bestimmten Zeitabständen).

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