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Haut drauf!

Natürlich ist es die reine Wahrheit, wenn ich Ihnen verspreche, dass sich Falten und Hautunreinheiten in wenigen Minuten schmerzlos, dauerhaft und effektiv entfernen lassen und Sie auf Ihrem Foto nun um Jahre jünger und attraktiver wirken. Allerdings ist das dann keine Werbung für dermatologische Wunderkuren, sondern für Photoshops Stempel und Bereichsreparatur-Pinsel. Doc Baumann hat den Praxis-Test gemacht.

Haut drauf!

Kürzlich schickte mir Jo Steinmetz, DOCMA-Leser seit ewigen Zeiten, eine schöne Vorher-Nachher-Werbung über geglättete Falten. Da Bilder sehr wohl in die Irre führen können, aber nicht lügen (demnächst gibt’s dazu ein Buch von mir), vermittelt das Bildpaar im strengen Sinne lediglich eine Aussage wie: So sah es zuvor aus, so anschließend. Was ja nicht falsch ist. Die Frage ist nur: Was wurde hier wo eingesetzt? Tinkturen auf menschlicher Gesichtshaut oder Photoshop-Werkzeuge auf einem Digitalfoto?

Man darf wohl annehmen, dass die meisten Betrachter und vor allem Betrachterinnen davon ausgehen, dass sie nach der Behandlung nicht nur ein geglättetes Porträt von sich die die Hand gedrückt kriegen, sondern die erhoffte Wirkung auch bei einem Blick in den Spiegel bestätigt sehen.

Jo Steinmetz hatte die Quelle gleich mitgeschickt; wie sich zeigte, eine dermatologische Fachpraxis in Bayern. Um niemandem Unrecht zu tun, rief ich also dort an (Gedächtnisprotokoll):

Der Praxis-Test

„Guten Tag, behandeln Sie auch Patienten aus Norddeutschland?“

„Ja, natürlich!“

„Ich bin rein zufällig auf Ihre Praxis gestoßen und habe im Internet diese beiden Vorher-Nachher-Fotos Ihrer Patientin gesehen. Funktioniert das nur bei Damen oder auch bei Herren?“

„Na ja, das kommt drauf an. Wie der Zustand Ihrer Haut ist, wie alt Sie sind, das muss man sich vorher schon genau anschauen.“

„So richtig tiefe Falten habe ich nicht, ungefähr so wie bei Ihrer Patientin auf den beiden Fotos, die Sie da vorher und nachher gemacht haben. Wenn das nach der Behandlung etwa so aussieht wie bei ihr auf dem zweiten Bild, dann würde ich deswegen schon gern ein paar hundert Kilometer fahren.“

„Ja, ich schaue gern mal, wann Sie einen Termin bekommen können …“

Darauf habe ich dann erst einmal verzichtet, Corona und so, da müsste ich dann ja die Maske abnehmen während der Behandlung. Ich würde mich bei gesunkener Inzidenz wieder melden. Trotz klaren Bezugs auf die Fotos und „Ihre Patientin“ kein Wort der Aufklärung.

Jo Steinmetz hatte seine Mail so kommentiert: „Diese Online-Anzeige ist mir eben aufgefallen. Dass es sich hier um ein und dieselbe Aufnahme handelt, liegt auf der Hand. Links das Original, rechts die ,Optimiert-Version‘ 🙂 Dass sich die Werbefutzis dieses Wundermittels nicht die Mühe gemacht haben, ein zweites Foto anzufertigen, um dieses zu ,optimieren‘, ist schon bemerkenswert.“

Ist es in der Tat. Aber vielleicht tun wir der Dermatologin ja auch Unrecht und es sind tatsächlich Vorher-nachher-Fotos. (Sie ist damit übrigens nicht allein; dasselbe Bild findet sich auch an anderen Stellen, ebenso wie weitere Beispiele nach demselben Strickmuster, von denen ich Ihnen unten zwei weitere vorstelle.)

Zwei Fotos oder eine Retusche?

Wie lässt sich nun überprüfen, ob hier wirklich zwei Fotos aufgenommen wurden, unter bemerkenswert gleichen Bedingungen – oder ob dem zweiten Bild das erste zugrundliegt, lediglich mit ein paar Retuschen?

Das Werkzeug für diese Analyse ist dasselbe wie das für die Verfälschung: Photoshop, diesmal mit Hilfe des Verrechnungsmodus „Differenz“. Dazu legen Sie das eine Bild auf eine Ebene, das andere – welches, ist egal, auch die Reihenfolge – passgenau auf eine darüber, dann ändern Sie seinen Verrechnungsmodus auf „Differenz“. Dort, wo die beiden Ebenen identische Pixel aufweisen, wird das sichtbare Ergebnis schwarz, wo sich die Farb- und Helligkeitswerte der beiden Ebenen unterscheiden, entsteht eine hellere Farbe. Je heller, um so unterschiedlicher. Mit einer Einstellungsebene wie „Tonwertkorrektur“ können Sie diese Werte noch verstärken.

Haut drauf!

Das eindeutige Ergebnis: Beide Bilder sind identisch und unterscheiden sich ausschließlich in denjenigen Bereichen, in denen die Retusche zur Glättung der Falten vorgenommen wurde (hier hellblau). Da zwei wirklich unterschiedliche Bilder, die nicht direkt hintereinander aufgenommen wurden, nie hinsichtlich Größe, Richtung, Perspektive, Beleuchtung, Haltung, Mimik, Hintergrund … völlig übereinstimmen, ist das Ergebnis klar: Es handelt sich nicht um ein Gesicht zu unterschiedlichen Zeitpunkten vor und nach einer dermatologischen Behandlung, sondern um ein Porträtbild vor und dann nach seiner digitalen Behandlung – ganz ohne Botox, Hyaluronsäure und sonstige Eingriffe. Oder schlicht: um bewusste und gezielte Irreführung!

Bei den beiden anderen Bildpaaren ist das noch offensichtlicher, weil dort auch noch die völlig identischen Reflexionen im Auge hinzukommen, ebenso wie die absolute Übereinstimmung jeder Wimper und jedes Augenbrauenhärchens; sogar eine Hautschuppe des Herren an der Augenbraue hat sich dort bewegungslos über einen vorgeblich längeren Zeitraum erhalten.

Haut drauf!

Wir, also Menschen, die sich beruflich oder aus Interesse mit den Möglichkeiten digitaler Retusche befassen, erkennen solche Betrugsmanöver. Die große Mehrheit der Bevölkerung hingegen weiß wohl zwar prinzipiell, dass so etwas möglich ist, dürfte aber davon ausgehen, dass solche konkreten Beispiele halbwegs verlässlich sind.

Die Kehrseite: Wie im Falle der Kriegspropaganda glaubt man ihr als kritischer Zeitgenosse zwar nicht – im Wissen um die Möglichkeiten dann aber irgendwann keiner Seite mehr. Im Falle der Propaganda mag solche Verunsicherung ein durchaus erwünschter Effekt sein; bei Werbung (sogar für eine Arztpraxis) allerdings ist das wohl eher nicht gewollt.

Haut drauf!
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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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