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Effekthascherei

Mit der Bildbearbeitung kann man sich entweder viel Mühe geben – oder man klatscht einfach einen möglichst eindrucksvollen Effekt über das Bild. Eigentlich halte ich ja nichts von der Effekthascherei, aber mittlerweile bin ich doch ins Grübeln gekommen.

Effekthascherei
Eine behutsame Bildbearbeitung in Lightroom: Schatten anheben, Himmelblau abdunkeln und Blattgrün aufhellen.

Wenn ich mir ein Foto in Lightroom vorknöpfe, geht es mir normalerweise nur darum, das Bild so aussehen zu lassen, wie es meinem Eindruck bei der Aufnahme entspricht – OK, manchmal vielleicht noch etwas besser. Meist greife ich danach gar nicht mehr auf Photoshop zurück; aufwendige Montagen sind eher die Sache meiner Kollegen. Aber Handyfotos mit (beispielsweise) Instagram-Filtern aufzuhübschen, um diesen „Wow! Was mit der Computertechnik heutzutage so alles geht!“-Effekt zu erzielen, das war mir immer zu billig – eben weniger Kunst als Kunstgewerbe.

In letzter Zeit habe ich dann aber doch mal etwas freier mit den Lightroom-Reglern gespielt. Ein Effekt, der es mir immerhin so angetan hat, dass ich ihn als Vorgabe gespeichert habe, beruht darauf, »Dunst reduzieren« auf –100 zu ziehen, also massiv Dunst hinzuzufügen, und den dann minimalen Kontrast mit verschiedenen Reglern der Grundeinstellungen wieder auf einen normalen Wert anzuheben. Das Ergebnis ist ein unwirklicher Effekt, der auch die Farben verändert – die Farbstimmung lässt sich dann über den Weißabgleich in weiten Grenzen verändern. Solche effekthascherischen Bearbeitungen sind mir ja etwas peinlich und sie sind eigentlich gar nicht meine Art, aber was soll ich sagen – manchmal funktioniert’s.

Effekthascherei
Drei Fabelwesen im Hamburger Meßberghof – hier die JPEGs aus der Kamera

Kürzlich war ich beim Tag des offenen Denkmals im Meßberghof/Ballin-Haus, einem Hamburger Kontorhaus mit düsterer Geschichte – hier war einst die Firma ansässig, die das Giftgas Zyklon B in das Vernichtungslager Auschwitz geliefert hatte. Im Keller sind die ursprünglich die Fassade schmückenden Skulpturen von Ludwig Kunstmann zu sehen, die stark unter den Einflüssen der Witterung gelitten haben. Das Licht in diesem provisorischen Ausstellungsraum war schlecht, quantitativ wie auch qualitativ, zudem hatte ich nur meine kleine, schon etwas betagte Fuji X10 dabei. Meine Fotos dieser Figuren besitzen daher allenfalls einen dokumentarischen Wert.

Effekthascherei
Die Fabelwesen vom Meßberghof, in Lightroom kräftig durch die Mangel gedreht

In Lightroom wollte ich dann aber einmal sehen, ob ich nicht noch aus den Raw-Dateien etwas machen könnte. Die oben beschriebene Vorgabe bildete – nachdem ich ein paar störende Details im Hintergrund entfernt hatte – den Ausgangspunkt; danach habe ich nur noch die Tonwerte optimiert und die Farben mit dem Weißabgleich in die gewünschte Richtung gedreht. Das Ergebnis finde ich gar nicht übel: Der Dunst, die Überstrahlungen und die Anmutung einer Vergoldung (tatsächlich handelt es sich um Elbsandstein) verstärkt den mythischen, an Totemfiguren erinnernden Eindruck dieser Plastiken.

Zugegeben, es ist wirklich eher Kunstgewerbe als Kunst und man könnte es auch als Kitsch bezeichnen – aber mir gefällt’s. Vielleicht werde ich mir künftig öfter mal die Freiheit nehmen, mit solchen effekthascherischen Mitteln zu arbeiten.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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2 Kommentare

  1. Der Mensch ist verspielt, die Rankings in irgendwelchen AppStores verraten es.

    Insofern muss man sich nicht selbstgeißeln, weil einem möglicherweise der eine oder andere Filter gefällt. Selbst betrachte ich mich natürlich auch als „ernsthaften“ Fotografen, der derartiges „Kunstgewerbe“ weit von sich weist..;-).

    Zwar sind mir 99% der Filter zu abgeschmackt, aber gelegentlich sieht man ein Bild wo man denkt – Ach ja, sieht ganz nett aus.

    Insofern….

  2. Ich fotografiere seit über 50 Jahren, heißt ich habe natürlich analog angefangen. 😉 Ein Labor habe ich nie besessen. Heute fotografiere ich digital und mein Labor sind versch. Bildbearbeitungsprogramme. Ich versuche im Großen und Ganzen meine fotografischen Probleme fotografisch zu lösen, Effekte wie Ziehen, Schwenken… der Kamera zu nutzen und zu „spielen“, aber ich verstehe bis jetzt nicht, warum wir „Fotografen“ uns immer selbst geißeln müssen mit begriffen wie Purismus, Kunst, Kunstgewerbe… Es muß ja nicht jedem alles gefallen, aber als „Künstler“ hat jeder dfie Freiheit, das zu machen was und wie er es möchte! Was wäre aus der Kunst geworden, hätte keiner es gewagt, etwas anderes als Madonnen zu malen und Putten herzustellen! Kein Picasso, kein… Und bitte vergesst nicht: bereits in analogen Laboren wurde getrickst was das Zeug her gab! Auch da war Kreativität gefragt! 😉
    Eins zum Schluss: JEDES Foto ist manipulierte Wirklichkeit!!!

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