What is left

Epische Porträts

Sina Domke gilt als Shooting-Star der Photoshop-Szene. Ihre poetischen Traumlandschaften faszinieren mit ­einem perfekten Mix aus Form und ­Inhalt. Christoph Künne hat mit ihr in ­Hamburg gesprochen und durfte ihr bei der Arbeit über die Schulter schauen.

Interview

DOCMA: Beim Betrachten ­Deiner Bilder erkennt man schnell die konzeptionelle Struktur, die Du mit einer verträumten Romantik emotional auflädst. Wie kommt man auf die Idee, solche Bilder in Serie zu produzieren?

Sina Domke: Das hat mit meiner persönlichen Entwicklung zu tun. Lange Zeit habe ich Zeichnungen dazu genutzt, die Dinge des Alltags in einer Art Parallelwelt zu reflektieren. Vor einigen Jahren wurden die Zeichnungen durch fotografierte Bilder abgelöst.

DOCMA: Wie kam das?

Sina Domke: Gezeichnet habe ich schon seit meiner Kindheit. Als ich mir dann in meinem Industrie­de­sign-Studium professionelle Zeichentechniken aneignete, ­verloren meine alten Zeichnungen für mich an Charme. Ich gab das private Zeichnen auf, merkte aber irgendwann, wie das profesionelle Zeichnen meine Kreativität beschränkt. Statt einfach für mich zu malen, hatte ich immer eine Zielgruppe im Kopf. Und damit war der Spaß verlorengegangen.

DOCMA: Und warum der Wechsel zur Fotografie?

Sina Domke: Der kam schleichend. Zum einen habe ich schon seit meinem sechzehnten Lebensjahr gerne mit Photoshop an Bildern herumgebastelt. Zum anderen fing ich im Studium an, für Freunde und ihre Fotoprojekte das Model zu spielen. Mein damaliger Freund hatte eine Canon und mit der begann ich zu experimentieren. Ich machte selbst Bilder und fand so das für mich verloren gegangene kreative Ventil wieder, mit dem ich meine Erfahrungen, Gefühle und Wahrnehmungen in eine bildhafte Form bringen konnte.

DOCMA: Wie ging es dann weiter?

Sina Domke: Ziemlich bald hatte ich eine große Inspiration gefunden: die britische Künstlerin Kirsty Mitchell. Sie benutzt ihre Bilder, um über einen persönlichen Verlust hinwegzukommen. Das unterscheidet sie von vielen anderen Kreativen in diesem Bereich, die solche Bilder eher nur machen, weil sie einfach gut aussehen und in den sozialen Medien viele Likes bringen. Kirsty Mitchells Geschichte hat mich sehr berührt, sie hat mit ihren Bildern ganze Geschichten erzählt. Das hat auch meine eigene Arbeit als Fotokünstlerin sehr geprägt.

DOCMA: Wie kann ich mir das ­konkret vorstellen?

Sina Domke: Wenn ich ein Model in ein hübsches Kleid stecke und es einfach in der Landschaft platziere, bleibe ich doch weit unter den Möglichkeiten, mit denen man in einem Bild eine Geschichte erzählen kann. Ich finde es interessanter, zusätzliche Bildelementen einzusetzen, die eine über sich selbst hinausweisende Bedeutung haben. So bekommt das Bild mehr inhaltliche Tiefe.

Diese Elemente können vielfältig sein. In einem Bild eilt mein Model mit Rückenwind einen steilen Berg hinauf. Im Hintergrund sieht man die Landschaft im Nebel. Für mich ist das meine Verbildlichung von Erinnerungen, die einen vor sich hertreiben.

DOCMA: Das Model auf dem Bild sieht Dir sehr ähnlich.

Sina Domke: Stimmt, ich bin häufiger auf meinen Bildern zu sehen. Weniger aus Selbstverliebtheit, sondern aus ganz praktischen Gründen. Wenn ich im Urlaub oder auf Wanderungen am Wochenende einen fotografisch schönen Ort entdecke, habe ich zwar häufig sofort ein Bild im Kopf, aber nur selten ein Fotomodel mit dabei. Manchmal muss mein Freund die Rolle übernehmen, doch wenn eine Frau im Bild sein soll, übernehme ich den Part oft selber. Für solche Gelegenheiten ist dann auch gerne eine passende Garde­robe im Wanderrucksack. Leichte Sommerkleider sind ja gut zu transportieren.

DOCMA: Du könntest es Dir einfacher machen, indem Du nur die Landschaft fotografierst und das Model im Studio aufnimmst.

Sina Domke: Klar, aber dann würde mir der authentische Aspekt der Bilder fehlen. Zwar entstehen meine Arbeiten fast immer aus mehreren Belichtungen, die ich zusammenmontiere, doch finde ich es wichtig, dass die Bilder an ­dieser Stelle, in dem Licht und mit dem oder den Menschen auch tatsächlich zusammen aufgenommen ­werden.

Wenn ich etwas hineinmontiere, sind das meist kleine Motivteile, wie eine Hand- oder eine Beinstellung aus einer anderen Belichtung. Vielleicht hat das auch etwas mit dem realen Erleben bei der Aufnahme zu tun. Composings, die ich am Rechner nur aus Archiv-Bildern zusammensetze, reizen mich nicht so sehr.

DOCMA: Was Deine Bilder so besonders macht, sind zwei formale Dinge: Zum einen wirken sie wie mit einer Fachkamera aufgenommen. Zum anderen erinnern sie an Filmstills – also an aus dem Zusammenhang gerissene Augenblicke, die ein Vorher und ein Nachher haben, das sich der Betrachter hinzudenken kann. Wie erzeugst Du diese optischen Eindrücke?

Sina Domke: Der Fachkamera-Effekt ist eigentlich ganz einfach: Ich benutze mein 85er Objektiv offenblendig an meiner Vollformat-Canon und mache zusätzlich zu dem eigentlichen Motiv in der Bildmitte mit unveränderten Fokus-Einstellungen weitere Aufnahmen zur Erweiterung der Bildränder. Die Technik nennt man auch „Bokehrama“, und sie wirkt, weil durch die Vergrößerung des Bildkreises Vorder- und Hintergrundelemente sehr unscharf abgebildet werden.

Der Eindruck, das Model sei mitten in einer Handlung, ist etwas komplizierter zu erreichen. Häufig bitte ich das Model, sich im Sinne der Bildidee frei zu bewegen.

Dann schieße ich viele Bilder in der Hoffnung, dabei einen Moment zu erwischen, der eine für die Idee besonders charakteristische Bewegung zeigt.

DOCMA: So wie Du es beschreibst, machst Du Deine Bilder ja in erster Linie für Dich selbst. Wie bist Du denn dann so bekannt geworden, dass die Leute bei Adobe Dich entdeckt haben?

Sina Domke: Eine ganze Zeit lang habe ich meine Bilder wirklich fast nur für mich selbst gemacht. Zu sehen bekamen sie bestenfalls Freunde, Models oder Leute, die ich auf Fotografen-Meet-ups getroffen habe. So etwa nach einem Jahr fand ich es an der Zeit, sie auch auf ­meinem Facebook-Profil zu teilen. Dann geschah etwas Erstaunliches: Ich bekam nicht nur positive Resonanz von meinen Bekannten, sondern es schrieben mir wildfremde Leute, dass diese Bilder sie bewegen würden. In kurzer Zeit wurden es immer mehr Follower und es gab die ersten Buchungsanfragen.

DOCMA: Danke für das offene ­Gespräch.

Making of: „Vacuum“

Sina Domke zeigt, wie sie ihr Bild „Vacuum“ am Ufer eines kleinen ­Teiches aufgenommen und anschließend in Photoshop bearbeitet hat.

01 Ausgangsbild-Mitte

Auch wenn es auf dem Bild nicht so aussieht, der kleine alte Badesee hat sehr sauberes Wasser und es war ein sonniger Tag. Das Bild entstand aus relativ geringer Entfernung mit einem 28-Millimeter-Objektiv, das samt Canon 5D MKII für den Unterwassereinsatz in eine 90-Euro-Silikonhülle gesteckt wurde.

02 Randbereiche

Wegen der geringen Entfernung war bei dem zentralen Bild der Fuß angeschnitten. Um das Motiv epischer zu gestalten, hat Sina die Arbeitsfläche fast verdoppelt und neben dem fehlenden Fuß Baumzweige, Stoffteile, Details sowie eine ­Spiegelung aus anderen Belichtungen hinzu montiert.

03 Farbabstimmung

In der Ebenenpalette sieht man, wie experimentier­freudig sie die Farbabstimmung schon an dieser Stelle vornimmt. Sie setzt unterschiedliche Farb- und Kontrastwerkzeuge ein, die ­jeweils sehr begrenzte Korrekturen bewirken, bis eine ­farblich harmonische Gesamtansicht entsteht.

04 Kontrastabstimmung

Auch für die abschließende Bearbeitung kommen wieder viele Ebenen zum Einsatz. Das Technik-Repertoire reicht von Dodge & Burn-Korrekturen über Vignettierungseffekte bis hin zu Kontrastverstärkungen, damit Motiv und Hintergrund klarer ­voneinander getrennt werden.

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Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

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