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Interview mit einem Buch: Reisefotografie

Interview mit einem Buch: Reisefotografie

Von Sachbüchern erhofft sich der Leser Antworten auf konkrete Fragen, und in dieser Reihe befragt Michael J. Hußmann Fachbücher darüber, welche Antworten sie geben können. „Reisefotografie – Die große Fotoschule“ führt in die Grundlagen eines der beliebtesten fotografischen Genres ein.

Schon der Gelegenheitsfotograf fotografiert auf Reisen, noch mehr als im Alltag, aber Urlaubsbilder sind noch nicht zwingend Reisefotografie. Auch die Moti­ve als solche definieren nicht das Genre, denn ein Reisender, der beispielsweise Rom besucht, nimmt seine Umgebung anders wahr als ein Römer. Reisefotografie gibt den neugierigen Blick auf das Fremde wieder und lässt die Daheimgebliebenen am Erlebten teilnehmen. Aber gerade wenn man das Fremde und Unbekannte zum Thema macht, sollte man sich gründlich vorbereiten. Die Autoren Stephanie Bernhard und Stefan Tschumi gehen daher nach Kapiteln zur optimalen Ausrüstung und zu wichtigen Aufnahmetechniken sehr ausführlich auf die nötigen Reisevorbereitungen ein, von Inspirationsquellen bis zu medizinischen und rechtlichen Aspekten einer Reise. Der Hauptteil des Buches besteht aus Kapiteln zu den wichtigsten Motiven – Menschen, Tiere, Städte und Landschaften – und den Abschluss bilden Vorschläge zur Nachbereitung und zur Präsentation der mitgebrachten Fotos. Wir befragen zu diesen Themen das Buch, und es antwortet mit der Stimme seiner Verfasser.

Was ist wichtiger, die Kamera oder die Objektive?

Die Hersteller lancieren in regelmäßigen Abständen neue Kameragehäuse, in denen dann die neueste Sensortechnologie verbaut wird. Zweifelsohne ist das Gehäuse wichtig, jedoch bei Weitem nicht so wichtig wie die Objektive. Das Kameragehäuse jedes Jahr zu wechseln ergibt wenig Sinn, nicht nur, weil die Hersteller einige Entwicklungszeit brauchen, um ein wirklich lohnendes Upgrade auf den Markt zu bringen, sondern auch, weil man sich als Fotograf an das Gehäuse und dementsprechend auch an dessen Handling gewöhnt. Ein Werkzeug, das Sie „blind“ beherrschen, sollten Sie nicht ohne Not gegen eines austauschen, das Sie erst wieder kennenlernen müssen. Objektive erfahren lang­samere Auffrischungs-Zyklen, was sie zu langfristigeren Investitionen macht. Eine Investition in ein Objektiv hat einen Zeithorizont von mindestens zehn Jahren.

Mit lichtstarken Objektiven können Sie das volle Po­tenzial Ihrer Kamera ausnutzen. Gutes Glas ist teuer und in der Regel auch schwer, doch gutes Glas lohnt sich (1).

Eine Festbrennweite von Zeiss mit 85 mm und der Offenblende ƒ1,8 machte es möglich, bei ISO 250 und 1/100 s zu bleiben. Interview mit einem Buch: Reisefotografie
Eine Festbrennweite von Zeiss mit 85 mm und der Offenblende ƒ1,8 machte es möglich, bei ISO 250 und 1/100 s zu bleiben.

Was sind die Goldene und die Blaue Stunde?

Jeder Tag durchläuft verschiedene Lichtsituationen. Angefangen bei der Dämmerung über die Blaue und Goldene Stunde, bis es schließlich Tag wird, und am Abend noch mal in umgekehrter Reihenfolge. Während der Goldenen Stunde morgens und abends wird die Landschaft in ein goldgelbes Licht getaucht. Durch den flachen Einfallswinkel der Sonnenstrahlen sind die Schatten länger und wirken weicher. Dadurch entsteht eine besondere Tiefe im Bild. Das warme Licht schmeichelt jeder Kulisse (2). Die Goldene Stunde dauert jedoch, entgegen ihrem Namen, keine Stunde. Wie lange sie effektiv dauert, hängt von der Äquatornähe ab.

Auf der schottischen Isle of Skye. Zwischen Goldener und Blauer Stunde lagen hier nur wenige Minuten. Interview mit einem Buch: Reisefotografie
Auf der schottischen Isle of Skye. Zwischen Goldener und Blauer Stunde lagen hier nur wenige Minuten.

Die blaue Färbung des Himmels in Kombination mit etwas Nebel verleiht einem Bild den speziellen Touch (3). Voraussetzung für die Blaufärbung ist, dass die Sonne unter dem Horizont verschwunden ist beziehungsweise gerade noch unter dem Horizont steht. In diesem Zeitraum wird das Licht im gelben, roten und orangen Spektrum vom Ozon absorbiert, so dass das blaue Licht die Oberhand gewinnt.

Darf man Reisefotos mit Models inszenieren?

Als Reisefotografen wünschen wir uns, fremde Länder in einem möglichst ursprünglichen Zustand anzutreffen. Wir möchten Zeugen von gelebten Traditionen werden. Das Exotische fasziniert uns, denn Fremdes ist grundsätzlich spannender als das, was man bereits kennt. Doch manchmal ist die Realität nicht das, was wir sehen möchten. Als wir den Inle-See in Myanmar besuchten, wollten wir jemanden in traditioneller Kleidung vor die Linse bekommen, doch die Fischer haben längst die westliche Kleidung entdeckt. Wir haben uns dann ein Model gebucht. Sie hat sich allerdings nicht verkleidet, denn in Myanmar tragen Frauen noch immer solche Blusen und einen Longyi. Unseren Wunsch haben wir also mit dem Möglichen kombiniert, und so ist unser Wunschbild entstanden (4).

Die vermeintliche Fischerin auf dem Inle-See in Myanmar war ein Model und erlaubte Aufnahmen aus so kurzer Distanz. Interview mit einem Buch: Reisefotografie
Die vermeintliche Fischerin auf dem Inle-See in Myanmar war ein Model und erlaubte Aufnahmen aus so kurzer Distanz.

Stephanie Bernhard, Stefan Tschumi:
Reisefotografie – Die große Fotoschule
Rheinwerk Verlag, 2021
411 Seiten, gebunden
39,90 Euro
www.rheinwerk-verlag.de/5064 


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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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