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TT Was bleibt?


Werden in hundert Jahren kaum noch digitale Dokumente ­unserer Zeit vorhanden sein? Wissenschaftler befürchten, die Antwort ­laute ?Ja?. Warum das so ist und was Sie jetzt schon dagegen tun können, erklärt Christoph Künne.

Eine Zeit, so dunkel, wie das ­Mittelalter uns heute erscheint. Das, so befürchten Wissenschaftler, wird der Eindruck späterer Generationen von der digitalen Frühzeit sein, in der wir gerade leben. Die Ängste wirken übertrieben, denkt man nur an die vielen Bäume, die Tag für Tag ihr Leben für unsere privaten und publizierten Druckwerke lassen. Papier ist ein anerkanntes, bei sachgerechter Lagerung Jahrhunderte haltbares Archivmedium. Film auf Kunststoffbasis ein fast noch besseres, weil sein Zersetzungsprozess bei unsachgemäßer Aufbewahrung noch langsamer vonstattengeht. Belichtete oder gedruckte Informationen haben einen weiteren Vorzug: Zum Auslesen der Informationen genügt in der Regel Sonnenlicht. Wenn das nicht reicht, kommt noch ein Stück geschliffenes Glas hinzu, um Details zu vergrößern. Oder ein einfacher chemischer Prozess, der im Negativ gelagerte Informationen in ein Positiv verwandelt. Falls bei der Lagerung ein Teil des Dokuments kaputtgegangen ist, bleibt immer noch ein Rest, aus dem sich das fehlende Fragment oftmals rekonstruieren lässt. Wie einfach solche Informationen für die Nachwelt zu erschließen sind, verdeutlicht ein Beispiel aus jüngster Zeit. Im Februar dieses Jahres wurden 3 000 unveröffent­lichte Negative des Kriegsreporters Robert Capa (1913-1954) in Mexiko gefunden. Capa hatte die noch gerollten Filme 1940 in einem Koffer verstaut und im besetzten Paris zurückgelassen. Heute, 68 Jahre später, ist es kein Problem, diese Schätze der Nachwelt zu erschließen. Im Prinzip muss man die Fotos nur in einen Vergrößerer legen und auf ­Papier abziehen. 
Was aber wird geschehen, wenn jemand in 68 Jahren in meinem Nachlass eine DVD findet und diese durchforsten will? Er wird wahrscheinlich dieselben Probleme haben, wie heute jemand, der Daten aus den 50er, 60er, 70er oder 80er Jahren von Magnetspeicherbändern, alten Festplatten oder Floppy-Disks auslesen möchte: Prinzipiell ist das zwar möglich, doch es gibt keine passenden Laufwerke mehr, es fehlen Schnittstellen an den modernen Geräten, es gibt keine passenden Gerätetreiber für aktuelle Betriebssysteme, die Medien sind im Lauf der Zeit unlesbar geworden und/oder heutige Programme verstehen nach erfolgreichem Auslesen die Dateiformate einfach nicht mehr.
Während es sich bei Bildern eines Fotografen wie Capa lohnt, viel Mühe bei der späten Erschließung zu investieren, wäre das bei mir für meine Nachkommen ­sicher ein unangemessen aufwendiges Unterfangen. Im Ergebnis würden sie keine Bild- oder Videodokumente von mir, meiner Zeit und ­ihrer heute lebenden Verwandschaft besitzen, und das, obwohl diese im Prinzip vorhanden wären.
Ist das ein Unglück? Wahrscheinlich nicht, schließlich sind wir im Grunde die erste Generation, die sich ein fotografiertes Bild ihrer Familienverhältnisse über mehrere Generationen machen kann. Und in der Flut der heute schnell belichteten Fotos ist ­sicher vieles, was besser unerinnert bleibt.
Was aber kann man tun, damit die wichtigen Bilder möglichst lange zugreifbar bleiben? Zunächst sollten Sie ihre Daten nur in Standardformaten speichern. Das sind JPEG und TIFF für normale Fotos sowie DNG für Raw-Dateien. Die erste Regel lautet: ?Umkopieren?. So sollte man seine Bilder mit steter Regelmäßigkeit auf einen anderen Datenträger (und falls nötig auch in aktuelle Dateiformate) kopieren. Ich nutze dazu immer den Moment, in dem meine gespiegelten Netzwerkfestplatten voll sind. Während andere dann beginnen, Bilddaten auszulagern, kaufe ich neue, merklich größere Platten und kopiere dort die alten Daten hinüber. Im Gegensatz zu analogen Zeiten schaden solche Kopien der Datenqualität nicht. Im Gegenteil, sie verbessern sie, weil mögliche Fehler auf den alten Medien dank Fehlerkorrektur-algorithmen repariert werden. Doch seine Daten nur auf Festplatten zu sichern, ist noch nicht der Weisheit letzter Schluss. Ergo gibt es eine zweite Regel, die lautet: ?Auslagern?. Vor Datenverlust durch Feuer, Brand, Wasserschäden und anderen häuslichen Katastrophen schützt eine Auslagerung der Daten an einem anderen Ort. Profis tragen Wechselplatten in Bankschließfächer oder laden ihre Daten auf sichere Webserver. Amateure lagern in regelmäßigen Abständen ihre Wechselmedien in Wohnungen von Verwandten oder Freunden, die zunächst nur einmal warm und trocken sein sollten. Welche Speichertechnologie sich dafür eignet, ist eine Frage des Geldes und des Glaubens. Erwiesenermaßen kurzlebig sind CDs und DVDs aus dem Supermarktregal. Wiederbeschreibbare Medien dieses Typs (CD-RW und DVD-RW), denen lange bessere Haltbarkeiten attestiert wurden, sind laut einer aktuellen Unterschuchung der Zeitschrift c?t sogar noch stärker gefährdet als ihre einmal beschreibbaren Kollegen. Schlimmstenfalls halten sie nur ein paar Monate. Auch DVD-RAMs, denen ich selbst jahrelang Vorzug gewährte, waren in dieser Testreihe nicht die erste Wahl. Allerdings nicht wegen schlechter Produkteigenschaften, sondern weil es nicht möglich ist, sich per Software einen Überblick zu verschaffen, ob das Medium noch intakt ist oder nicht. Die Redakteure des Artikels haben als derzeit ideale Lösung Archiv-DVDs ausgemacht. Auch hier natürlich nicht alle, die diesen Aufdrucke tragen, sondern spezielle DVD-Rs der Gattung ?­Archival Grade? von Verbatim (ca. 2 Euro pro Medium). Die halten, je nachdem mit welchem Brenner man sie bearbeitet und wie man die Messergebnisse interpretiert, zwischen 18 und 128 Jahren. Wenn es bis dahin noch problemlos anschließbare Lesegeräte gibt, muss man zumindest die Wechselmedien seltener umkopieren. Wer es ganz ernst meint mit der Datensicherheit, beherzigt noch die dritte Regel: ?Zu Papier bringen?. Machen Sie einen Ausdruck mit guter Tinte auf hochwertigem Papier oder lassen Sie Ihre Bilder ausbelichten. Dunkel und trocken gelagert halten Prints eine kleine Ewigkeit. Munter bleiben!   

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Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

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