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Die beliebtesten Kameras sind heutzutage Smartphones, aber die meisten Kamerahersteller halten sich aus diesem Markt heraus. Ob das so schlau ist?

Im vergangenen Jahrhundert, als die deutsche Kameraindustrie noch eine gewisse Bedeutung hatte, fühlten sich die deutschen Hersteller allzu sicher. Mit neumodischem Kram wie einer automatischen Fokussierung wollte man nichts zu tun haben; Leitz (heute Leica), die selbst eine solche Technologie entwickelt hatten, gaben sie an Minolta ab. Richtige Fotografen fokussieren selbst, dachte man, und eine konservative Kundschaft pflichtete dem bei. So wurden wichtige Entwicklungen verschlafen, die japanische Konkurrenz, die man lange nicht ernstgenommen hatte, lief den deutschen Herstellern den Rang ab, bis selbst die konservativsten deutschen Fotografen entdeckten, dass das Gras auf der anderen Seite des Zauns doch wirklich sehr viel grüner war. Immerhin: Leica hat überlebt und stellt bis heute Kameras in mehreren Produktfamilien her, wenn auch teils in Kooperation mit dem Technologiepartner Panasonic.

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Leicas erstes eigenes – in Deutschland nicht vermarktetes – Smartphone, präsentiert vom Aufsichtsratsvorsitzenden Andreas Kaufmann

Schaut man sich die Marktanteile an, ist es offensichtlich, dass die Kameraindustrie heute fast ausschließlich in Japan beheimatet ist; auch die USA und Korea sind in diesem Markt nicht mehr präsent. Die japanischen Hersteller hatten nicht nur auf den Autofokus und Belichtungsautomatiken gesetzt, sondern immer wieder neue Entwicklungen für sich genutzt, sei es die Fuzzy Logic oder (schon seit den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts) neuronale Netze – also das, was man üblicherweise als Künstliche Intelligenz bezeichnet.

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Unternehmen müssen auch mal riskante Entscheidungen treffen, wenn sie erfolgreich bleiben wollen. So wie einst Leitz mit der Entscheidung, die erste Leitz-Kamera (kurz „Leica“) zu produzieren.

Das Bild dieser durch eine kluge Unternehmenspolitik begründeten japanischen Erfolgsgeschichte trübt sich aber mittlerweile. Der Kameramarkt schrumpft seit Jahren, obwohl die Fotografie boomt – aber fotografiert wird heutzutage überwiegend mit Smartphones, und in diesem Markt ist die japanische Industrie abgehängt. Stattdessen dominieren hier die USA, Korea und China. Und wie einst die deutschen Hersteller den neumodischen Kram ablehnten, tun das jetzt die Japaner: Smartphone-Kameramodule mit relativ kleinen Sensoren bringen Leistungen, die man früher nicht für möglich hielt, was nur dank der Computational Photography möglich ist: Fotos sind nicht mehr das Ergebnis einer einzigen Belichtung, sondern einer Rechenaufgabe, in die eine Vielzahl von Bildern eingehen, teils hintereinander, teils parallel von verschiedenen Kameramodulen mit jeweils eigenen Stärken aufgenommen. Aber natürlich stehen richtige Fotografen über solchen Methoden, aber kommt einem solcher Dünkel nicht bekannt vor?

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Das Sharp Aquos R6 hat ein mit Leica entwickeltes Kameramodul auf Basis eines 1-Zoll-Sensors. (Quelle: Sharp)

Kurioserweise ist sich ausgerechnet Leica nicht zu schade, auch im Smartphone-Markt mitzumischen. Man merkt hierzulande nicht viel davon, denn nachdem Leicas Kooperation mit Huawei der Politik zum Opfer gefallen war – die Trump-Administration hatte Google gedrängt, dem chinesischen Hersteller die Nutzung von Google-Apps und -Infrastruktur zu verwehren –, arbeitet Leica jetzt mit Sharp zusammen, und das Aquos R6 als erstes Ergebnis der japanisch-deutschen Zusammenarbeit im Smartphone-Segment wird bei uns gar nicht angeboten. Ob mit solchen Kooperationen die Dominanz von USA, Korea und China zu brechen sein wird, bleibt allerdings fraglich. Und warum nur kann man ausgerechnet in Deutschland kein Leica-Handy kaufen? Dass der die deutsche Kundschaft bis heute alle Neuerungen ablehnen würde, lässt sich nicht beobachten – jedenfalls nicht draußen auf der Straße, wo wie überall sonst auf der Welt überwiegend mit Smartphones fotografiert wird.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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