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Nach dem Brexit – EU-Kommission auf dem hohen Ross

77 Brexit
Fotos und Montage: Doc Baumann

Die Briten haben tatsächlich, wenn auch nur mit winziger Mehrheit, für den EU-Austritt gestimmt. Nun will die EU als Konsequenz besser werden. Aber was bedeutet das? Wenn man ihr etwas vorwerfen kann, dann einen Mangel an Demokratie. Und was tut die EU-Kommission? Sie kündigt neue undemokratische Entscheidungen an.

Bitte erlauben Sie mir, mit einer Warnung zu beginnen: Die meisten Menschen werden der Überschrift und Einleitung mühelos entnehmen, dass dieser Text nichts mit Bildbearbeitung zu tun hat. Falls Sie das erwarten, lesen Sie nicht weiter – dann müssen Sie sich hinterher nicht darüber beschweren, dass es ja gar keinen Bezug zu Photoshop gibt.

So, nachdem wir das geklärt haben und nun unter uns sind, kann ich Ihnen ja verraten, dass es doch einen Bezug zu Photoshop gibt, wenn auch einen auf erheblichen Umwegen. Unsere Leserin Ruth Marcus hat kürzlich auf der Webseite der Frauenzeitschrift Elle die schöne Schlagzeile entdeckt: „Diese Creme wirkt wie Photoshop und schenkt sofort perfekte Sommerbeine.“ Nun kenne ich zwar Vorder- und Hinter-, auch Tisch- oder Stuhl-, aber keine Sommerbeine. Aber darum geht’s gar nicht. Selbst die Adobe-Entwickler dürften bisher nicht gewusst haben, dass ihre Software Sommerbeine schenkt. Ich benutze das Produkt seit 25 Jahren, aber noch nie wurden mir die angeboten. Wo sollte ich sie auch unterbringen? Oben auf dem Kleiderschrank?

Eigentlich bemerkenswert an dieser Aussage ist jedoch, dass hier ein Werkzeug zur Veränderung von Bildern der Realität als Vergleich herangezogen wird, um eine verheißene Realität zu beschreiben. Da meldet sich meine frühere Profession als Kunstphilosoph: Gewohnt ist man eher, ein Abbild daran zu messen, wie getreu es die Wirklichkeit wiedergibt, oder umgekehrt auch mal die Wirklichkeit an ihrer idealisierten Abbildung („bildschön!“) – aber hätte früher, als Bilder noch überwiegend gemalt wurden, irgendwer behauptet, eine Creme würde wie Ölfarbe wirken? Oder meinetwegen auch wie Entwickler-Chemie?

Um jetzt einen ganz großen Sprung zu wagen und endlich zum Thema zu kommen, nachdem Photoshop pflichtschuldig abgehandelt ist: Man könnte mit gleichem Recht (besser Unrecht) über den Ausgang des britischen Volksentscheides zum Austritt auch sagen: „Diese Abstimmung wirkt wie Excel und schenkt sofort einen Verbleib in der EU.“

Ich finde den Ausgang der britischen Entscheidung erschreckend und hätte nie mit diesem Ergebnis gerechnet, obwohl ich wusste, wie dicht Gegner und Befürworter beieinander lagen. Das war natürlich Wunschdenken. Nach diesem Ausgang würde es mich auch nicht mehr wundern, wenn Trump Präsident der USA wird. (Da werden wir uns im Rückblick wünschen, das Land hätte einen so intelligenten, diplomatisch feinfühligen und ehrlichen Präsidenten wie George Bush.)

Ich fühle mich wahrscheinlich eher als Europäer denn als Deutscher. Ich bin sehr dankbar dafür, in einer Ära leben zu dürfen, in der es in Mitteleuropa mal keinen Krieg gegeben hat. Das ist sicherlich auch der EU zu verdanken. Wobei es umgekehrt ebenso sicher nur eine EU gibt, weil sich das Denken der Menschen verändert hat. Von daher betrachte ich es mit großer Sorge, dass in den EU-Staaten mehr oder weniger starke anti-europäische, nationalistische Bewegungen an Zulauf gewinnen.

Dabei ist die EU sicherlich nicht ideal. Und wenn es Verbesserungsbedarf gibt, dann dahingehend, dass mehr vom europäischen Parlament entschieden (und transparent vorbereitet und verhandelt) wird und weniger von der EU-Kommission. So besehen, war Brexit ein Warnschuss vor den Bug, der von der EU-Spitze ja auch umgehend so kommentiert wurde, die Union müsse besser und glaubwürdiger werden. Wunderbar – so muss es sein!

Doch wie sieht die Wirklichkeit aus? Die Kommission sitzt auf einem so hohen Ross, dass sie offensichtlich nicht erkennt, warum das Projekt Europa für manche unattraktiv wird. (Wobei die Nationalisten sicherlich nicht den Vorwand brauchen, die Union sei zu wenig demokratisch strukturiert.) In den wenigen Tagen seit der Brexit-Abstimmung hat die EU-Spitze drei Entscheidungen verkündet:

  • Das gefährliche Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat soll zunächst weiter erlaubt bleiben.
  • Die Freihandelsverträge CETA und TTIP sollen nur auf Europa-Ebene ohne Beteiligung der nationalen Parlamenten verhandelt und verabschiedet werden.
  • Der Naturschutz soll zugunsten von Industrieprojekten eingeschränkt werden.

 

Ist das die Lehre, die die EU-Kommission aus der Abstimmung der Briten zieht? Transparenz? Demokratische Strukturen? Stärkung des Europa-Gedankens in den Mitgliedsstaaten? Für mich sieht das eher nach Sabotage aus, weil ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass Menschen so wenig lernbereit sind. Damit gewinnt man niemanden für die Union. Dann doch lieber Sommerbeine.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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3 Kommentare

  1. Lieber Doc Baumann,
    Ihren Anmerkungen zum Brexit stimme ich voll zu. Ergänzend zur Arroganz der EU-Bürokraten sollte jedoch erwähnt werden, dass die Ursache dieser Arroganz in großen Teilen bei den Führern der 28 Nationen liegt. Man kann es auch so sagen: „Wie der Herr, so’s Gscherr!“.

  2. Lieber Doc Baumann,

    als Englandreisender seit früher Jugend hatte ich fast mit diesem Ergebnis zum Brexit gerechnet. Neben all den englischen Traditionen, dem Königshaus usw. gibt es trotzdem immer eine gemeinsame Stimme zum Wohle des Volkes im Mutterland der Demokratie. Und genau die gibt es in Europa nicht. Wir, das Volk, sehen ein gemeinsames Europa ohne Grenzen in dem wir zwar alle unsere Kulturen pflegen aber eben trotzdem eine Einheit bilden und als Europäer auch eine Gemeinsamkeit spüren. Hier überwiegt der menschliche und soziale Aspekt. Brüssel sieht und handelt in erster Linie ökonomisch. Wie sagte Bernie Conrads so schön: „Wo gehobelt wird, da fallen Späne heißt es, doch die Späne trifft es härter als den Hobel meistens.“

    Thomas Hoppe

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