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FaceApp und Rassismus: In Deiner Haut darf ich nicht stecken

Da haben sich die russischen Entwickler der beliebten FaceApp aber in die Nesseln gesetzt: Nachdem man sein Porträt nicht mehr nur künstlich altern, verjüngen oder in das jeweils andere Geschlecht umwandeln, sondern auch die ethnische Zugehörigkeit wechseln lassen konnte, warf man ihnen Rassismus vor. Ernsthaft?

FaceApp und Rassismus
Originalfoto (links): xalanx – Fotolia; bearbeitete Version (rechts): Doc Baumann

Wir haben uns ja selbst schon der Gefahr dieses Vorwurfs ausgesetzt, denn in der DOCMA 69 oder auch hier hat Doc Baumann beschrieben, wie man mit den Mitteln von Photoshop helle Haut in dunkle verwandeln kann – siehe oben.

Die FaceApp-Entwickler haben ein neuronales Netz trainiert, einem Gesicht eine kaukasische (weiße), afrikanische, asiatische und indische Anmutung zu geben. Der folgende Proteststurm war so stark, dass dieses Feature letzte Woche wieder entfernt wurde – Sie können es also nicht mehr ausprobieren, falls Sie die App nicht in einem relativ kurzen Zeitfenster heruntergeladen und danach nicht mehr aktualisiert haben, und deshalb kann ich hier auch keine Beispielbilder zeigen.

Es ist offensichtlich, dass die ethnische Verwandlung klischeehaft sein musste, denn es sehen ja nicht alle Kaukasier (im Sinne hellhäutiger Europäer und ihrer Nachkommen), Asiaten, Inder und Afrikaner gleich aus. Aber woher rührt der Vorwurf des Rassismus, der von den Kritikern dieses Features erhoben wurde? Es könnte doch vielmehr dem Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft dienlich sein, wenn man sich einmal in deren Haut versetzen würde. Man könnte sich damit vertraut machen, wie man vermutlich aussähe, wenn man in einem anderen Teil der Welt geboren wäre, aber dennoch derselbe Mensch bliebe. Eine Begründung des Vorwurfs habe ich nicht gefunden; es läuft immer darauf hinaus, dass es eben so sei – wer es anders sieht, dem fehle es zumindest an Sensibilität, wenn er nicht selbst ein Rassist sei. Aber damit kann ich wenig anfangen. Ich darf mir eine Perücke aufsetzen oder einen Bart ankleben, ich kann mich mit einer App scheinbar altern lassen oder Frauenkleider tragen – all das ist kein Problem. Aber eine andere Hautfarbe und Gesichtsform soll anrüchig sein?

In den letzten Jahren wurde es zunehmend kritisiert, wenn sich Bühnen-Schauspieler das Gesicht schwarz schminkten, um beispielsweise den Othello darzustellen. So hatte es einst Ulrich Wildgruber in Zadeks legendärer Hamburger Inszenierung des Shakespeare-Dramas getan. Aber auch wenn sich Kinder oder Erwachsene im Karneval schwarz schminkten, galt das manchen bereits als suspekt und Rassismus-verdächtig. Schwarze, so wird gefordert, müssten von Schwarzen gespielt werden (obwohl es umgekehrt kein Problem zu sein scheint, dass Denzel Washington Don Pedro in „Viel Lärm um nichts“, Brutus in „Julius Caesar“ und im „Richard III.“ die Titelrolle gespielt hat). Das Schlagwort ist „Blackface“ und der englische Begriff gibt schon einen Hinweis darauf, woher diese neue Empfindlichkeit kommt: aus den USA.

FaceApp und Rassismus
„Blackface“: In den von der Mitte des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in den USA populären „Minstrel Shows“ schminkten sich weiße Schauspieler als Schwarze und bedienten damit rassistische Ressentiments.

In den USA gab es von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Mitte des 20. die sogenannten „Minstrel Shows“, in denen regelmäßig weiße Schauspieler in der Rolle von Schwarzen auftraten. Die schwarzen Protagonisten wurden klischeehaft überzeichnet dargestellt und lächerlich gemacht, was die Abneigung der Afroamerikaner gegenüber dem Blackfacing erklärt. Aber das ist eben eine US-amerikanische Tradition, die hierzulande unbekannt ist, und auch in den USA endete sie spätestens mit der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Dennoch ist der Vorwurf sogar noch erweitert worden. Man spricht von „High-Tech Blackface“, wenn weiße Computerspieler bei Sportsimulationen schwarze Sportler als Avatare auswählen, um sich, wie unterstellt wird, deren überlegene Physis anzueignen und zu kontrollieren. Allerdings liegt es in der Natur einer Sportsimulation, dass man sich in die Rolle eines Leistungssportlers versetzt, der einem selbst weit überlegen ist. Würde ich einen Avatar mit meinen eigenen Leistungsdaten erschaffen, hätte er weder bei den 100 m Freistil (ein Wettbewerb, den typischerweise Weiße gewinnen) noch im Marathon (in dem meist Ostafrikaner triumphieren) eine Chance.

Wenn man sich per FaceApp oder mit den Mitteln von Photoshop in den Angehörigen einer anderen Ethnie verwandelt, gewinnt man daraus nicht einmal irgendwelche besonderen Kräfte (die sich ohnehin nur in der Computersimulation zeigen); man vergegenwärtigt sich lediglich, was dem Zufall der Geburt geschuldet ist und daher auch ganz anders sein könnte. Manche sehen hier Anzeichen von Rassismus, aber mir erscheint das absurd. Wir sollten uns nicht ins Bockshorn jagen und das Spiel mit unterschiedlichen Identitäten verbieten lassen. Sich in die Haut eines anderen zu versetzen kann uns nur weiter bringen.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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2 Kommentare

  1. Der Kern des Problems ist vermutlich, dass Diskurse in unserer kulturellen Wirklichkeit immer auf griffige Schlagworte, Sprechblasen, reduziert werden. Woran die „große Politik“ eifrig mit werkelt. Das Problem beim sogenannten „Blackfacing“ ist ja nicht, dass sich jemand die Haut dunkler macht – wie es nebenbei bemerkt Millionen Deutsche jedes Jahr am Strand, in Bräunungsstudios und daheim, mit Bräunungscreme, machen. Auch ein interessantes Phänomen übrigens, ebenso wie, dass selbst viele der ach so Heimatverliebtesten und Fremdenkritischsten jedes Jahr geradezu zwanghaft zur temporären Umvolkung in den Süden reisen, weil sie im Urlaub zu Hause aber auch so gar nichts hält. Das Problem beim Blackfacing ist, dass er damit einen Standpunkt zu Menschen anderer Hautfarbe einnimmt, der diese auf ein Klischee reduziert, das sie herabwertet. Dementsprechend wäre am bloßen Schwärzen der Haut nichts Verwerfliches. Schon Orson Welles hat ja übrigens, vor rund 60/70 Jahren, glaube ich, den „Hamlet“ mit ausschließlich schwarzen Darstellern aufgeführt, was eine Provokation war, aber inhaltlich faktisch kein Problem darstellt, weil die „Hamlet“-Thematik universell für alle Menschen ist. Ich erinnere mich gerade nicht ob dafür ein „Whitefacing“ nötig war. Glaube aber nicht. Aber wenn Jack Lemmon und Tony Curtis Frauen darstellen dürfen („Some like it hot“), warum Weiße nicht auch Schwarze und umgekehrt? Auch in dieser Debatte vermute ich wieder ein hohes Bedürfnis nach Aufregung und Empörung bei vielen Leuten als Ursache. Auf allen Seiten übrigens, denn wenn als Gegenargumente Worthülsen wie „Genderwahn“ fallen, stellt das natürlich ebenso eine stereotype Reduktion des Diskurses auf Sprechblasen dar.

    Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang auch vage an eine öffentliche Aufregung über eine Musikerin, die eine Dreadlock-Frisur hatte, was mich sehr irritierte, weil ich schon sehr viele, auch weiße Menschen, mit Dreadlocks gesehen habe – ohne dass es darüber öffentliche Aufregung gab. Über Jahrzehnte. Der strohblonde Sohn meiner ehemaligen Nachbarn etwa. Auf einmal scheint das verwerflich zu sein, weil es „kulturelle Aneignung“ sei. Ist dann Kaffee Trinken nicht auch „Kulturelle Aneignung“? In „kultureller Aneignung“ sehe ich eher so etwas wie „White Power Rock’n’Roll“ (Zitat: Die Lunikoff Verschwörung), denn Rock’n’Roll ist ursächlich schwarze Musik und entstammt also einer Kultur, die von Nazis wie den Lunikoffs aufs übelste bekämpft wird. Selbst eine originäre musikalische Stilrichtung zu erschaffen sind sie allerdings ganz offensichtlich nicht in der Lage.

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