Ein ehrfürchtiger Blick auf „Jurassic World“ und Rembrandt
Nachdem ich seit Monaten nicht mehr im Kino gewesen war, habe ich mir an diesem Wochenende gleich zwei Filme gegönnt. Die Handlung hat mich dabei zugegebenermaßen weniger interessiert – vielmehr wollte ich sehen, mit welchen Effekten die Macher „San Andreas“ und „Jurassic World“ realisiert haben.
Jedes Mal, wenn ich aus einem Film komme, der – mehr oder weniger gelungen – die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte dem Einsatz von 3D-Technik verdankt, stehe (genauer: sitze) ich ehrfurchtsvoll vor dem Ergebnis, das mir auf der riesigen Leinwand geboten wird. Wie ich vor längerer Zeit schon einmal in meinem DOCMA-Editorial erwähnte: Mit meinen kleinen Photoshop-Zaubereien komme ich mir dann immer ganz winzig vor. Fraglos können wir auch mit unserem Lieblingsprogramm beeindruckende neue Welten erschaffen – doch als Standbilder, auf Papier oder am Monitor, reißen sie uns selten so mit, wie das die Handlungen des Films schaffen.
Natürlich ist meine Betrachtungsweise solcher Werke ziemlich verschroben. Eigentlich sollte es ja gerade darum gehen, die Effekte als solche – geradezu unsichtbar – in den Hintergrund treten zu lassen und sich ganz auf die Handlung zu konzentrieren. Die virtuell erschaffene Welt sollten wir bei aller Fremdartigkeit als selbstverständlich akzeptieren können, ohne dass sie besondere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Und wenn man sich 100 Minuten lang abstandslos in das Geschehen hineinziehen lässt, gelingt das oft auch.
Ist es anders, drängen sich die Effekte wichtigtuerisch in den Vordergrund und verlangen aufdringlich nach Anerkennung, dann ist der Film in aller Regel schlecht, selbst wenn sich die 3D-Designer noch so große Mühe gegeben haben. Andersherum: In machen alten Hitchcock-Filmen sieht man bei einem Blick durchs Fenster auf geradezu peinlich schlampig gemalte Kulissen, Szenen, die mit grobem Pinsel auf große Platten skizziert wurden. Aber bei einer mitreißenden Handlung fällt das kaum auf.
Bemerkenswert ist nicht nur der faszinierende Naturalismus der 3D-Welten, sondern auch ihre rasende Entwicklung zu immer neuen Gipfeln der Perfektion. Man konnte das zum Beispiel – von Film zu Film – in Peter Jacksons „Herr der Ringe“- und „Hobbit“-Trilogien verfolgen. Oder nun wieder, aktuell bei den Sauriern in „Jurassic World“, den Nachfahren der im Vergleich eher plumpen Vorgänger im „Jurassic Park“, und bei dem gewaltigen Erdbeben in Kalifornien in „San Andreas“, dessen einstürzende Bauten weit eindrucksvoller zerbröckeln als die in Emmerichs „2012“ aus dem Jahr 2009, und dessen Tzunami die Riesenwellen von Petersens „Der Sturm“ von 2000 in den Schatten stellt. Dabei waren beide genannten Filme zu ihrer Zeit hinsichtlich der Darstellung allesverschlingender Erdspalten und eisiger Wassergebirge führend. Aus dem Abstand von nur wenigen Jahren wirken sie heute recht künstlich und nicht wirklich glaubhaft.
Würde man sich gar nach „Jurassic World“ Fritz Langs „Ring der Nibelungen“ aus dem Jahr 1924 mit Siegfrieds Kampf gegen den Drachen anschauen … nein, besser nicht!
Wie gesagt: Die Erschaffung einer künstlichen Welt, ob im Weltall oder auf fernen Planeten angesiedelt, auf abgelegenen Inseln mit Dino-Vergnügungsparks oder im – leider weniger phantastischen – erdbebengeschüttelten Kalifornien, sollte nur den Hintergrund bilden, auf dem die Handlung selbstverständlich abläuft. Ist das anders, wird es mitunter genauso peinlich wie eine jener Illustrationen oder Werbeanzeigen, in denen die Gestalter unbedingt die Effekte des allerneuesten Plug-ins meinten demonstrieren zu müssen.
Wenn man sich für Maltechniken interessiert, darf man sich im Museum auch dicht vor einen Rembrandt stellen und bewundern, wie er das Licht auf den Perlen am Halse seiner Saskia eingefangen hat.
Mit derselben Haltung habe ich mir diese Filme angeschaut. Was mich nicht daran gehindert hat, entnervt aufzustöhnen, als sich am Ende von „San Andreas“ eine Flagge mit den Stars and Stripes vor der zerstörten Ruinenlandschaft entfaltete und das heroische „Wir lassen uns doch von so was nicht unterkriegen!“ visuell unterstich. Da interessierte mich dann auch nicht mehr, ob die echt und einkopiert war oder sich der Geschicklichkeit der 3D-Designer verdankte: Es war so oder so peinlich und riss mich heilsam aus dem Abtauchen in diese Welt detailgetreuer Zerstörung.