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Der tapfere kleine Vergrößerer

Fotografie ist heutzutage digitale Fotografie, aber deshalb verlieren traditionelle Filmemulsionen ja nicht ihren Reiz. Bloß: Womit soll man seine Negative dann vergrößern? Ein britisches Team hat die Entwicklung eines modernen Vergrößerers über Crowdfunding finanziert.

Vielleicht geht es Ihnen ja wie mir: Irgendwo im Keller ist das Dunkelkammer-Equipment eingelagert, aber wenn man nach Jahrzehnten mal nachschaut, ist es schon weitgehend zerbröselt. Ich konnte nur noch das Vergrößerungsobjektiv retten, ein Schneider Componon-S, das aber von Anfang an noch das Beste an meiner Ausrüstung war. Und nun?

Der tapfere kleine Vergrößerer
Der tapfere kleine Vergrößerer besteht aus Kopf und Steuereinheit; Stativ und Objektiv muss der Käufer selbst beisteuern.

Nachdem das Angebot an Vergrößerern doch recht übersichtlich geworden war – schon vor Jahren kam ich auf einer photokina am Durst-Stand vorbei und stellte mit Erschrecken fest, dass es da gar keine Vergrößerer mehr gab –, hatten zwei Briten aus Brighton/Hove die Idee, einen klassischen Vergrößerer mit zeitgemäßer Technik zu bauen. Über Crowdfunding sollte das nötige Kapital gewonnen werden, und das Finanzierungsziel von 23.000 Euro wurde bis heute um das Zehnfache übertroffen. Der Intrepid Compact Enlarger besteht aus dem für Kleinbild und Rollfilm geeigneten Kopf, den man an einer Reprosäule oder einem gewöhnlichen Stativ befestigt, und einer Steuereinheit.

Der Workflow in der Dunkelkammer

Als Lichtquelle dienen LEDs, deren Farbmischung Sie präzise steuern können. Mit Reglern für Cyan, Magenta und Gelb lassen sich Farbstiche von Farbnegativen und Dias neutralisieren, aber auch der Kontrast von Schwarzweiß-Bildern einstellen. Die Älteren unter uns erinnern sich: Ilfords schwarzweißes Multigrade-Papier hat für unterschiedliche Wellenlängen sensibilisierte Emulsionsschichten mit unterschiedlicher Gradation, so dass man über die Lichtfarbe das Kontrastverhalten des Papiers variieren kann. Natürlich lässt sich ebenso klassisches Fotopapier mit vorgegebener Gradation verwenden. Auch die Belichtungszeit wird über die Steuereinheit eingestellt, die optional für rotes – für Fotopapier weitgehend ungefährliches – Umgebungslicht zur Orientierung in der Dunkelkammer sorgt.

Negative und Dias mit dem Vergrößerer und einer Digitalkamera digitalisieren

Nimmt man die Lichtquelle aus dem Vergrößererkopf heraus, kann man sie als Hintergrundbeleuchtung zur Digitalisierung von Negativen und Dias verwenden, und für diesen Zweitnutzen kommt dann doch wieder die Digitalkamera zum Zuge.

Ansonsten braucht man, wie erwähnt, ein Vergrößerungsobjektiv; wer keines hat, findet günstige Angebote auf dem Gebrauchtmarkt. Das ebenfalls nötige Stativ ist sicher bereits vorhanden.

Die Crowdfunding-Kampagne läuft noch vier Tage; in dieser Zeit kann man den tapferen kleinen Vergrößerer für 220 bis 250 britische Pfund fördern und damit bestellen, abhängig davon, ob man Filmhalter für Kleinbild, Mittelformat oder beides haben will. Inklusive Versand entspräche das bis zu 309 Euro. Die Auslieferung (auch für EU-Bürger ohne Brexit-Nervereien, da das Produkt aus der EU verschickt wird) ist für August 2021 geplant.

Crowdfunding ist naturgemäß nicht ohne Risiko; im ungünstigsten Fall kann man seinen Einsatz verlieren (ist mir auch schon passiert), und schon weil ich die Menschen hinter diesem Projekt nicht persönlich kenne, kann ich keine Empfehlung aussprechen. Aber charmant ist dieser Vergrößerer auf jeden Fall.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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5 Kommentare

  1. Hallo Herr Hußmann,

    danke für den Artikel, ich überlege gerade, mich (nach 30 Jahren:-)) zu engagieren. Ich schreibe jedoch aus einem eher (Lese-)technischen Grund: wäre es denkbar, den automatischen Bilderwechsel in den Online-Artikeln sein zu lassen? Erstens möchte ich selbst gerne entscheiden, ob ich ein anderes Bild sehen möchte, und zweitens empfinde ich die dadurch entstehende Unruhe auf der Seite als sehr nervig.

    Beste Grüße, Ihr Jakob Bosch

  2. Die Durst-Geräte hatten ja eine recht stabile Säule. Doch wenn ich ein höhenverstellbares Dreibeinstativ sehe frage ich, wie bei so einer Bauweise gewährleistet ist, dass die Filmebene wirklich (!!!) parallel zum Fotopapier liegen soll? Das wäre jedoch Voraussetzung dafür, dass das Foto ohne Verzerrung und Schärfenungleichheit belichtet wird.
    Das, was man bei einem Durst-Vergrößerer ziemlich sicher hatte, war eine optische Achse, die sich im rechten Winkel zum Tisch befand. Das mit einem Fotostativ zu schaffen halte ich für praktisch unmöglich, das wäre ein Zufallstreffer.

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