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Bildungsreise in die Vergangenheit

Andreas Weidner widmet sich der analogen Schwarzweiß-Fotografie von der Aufnahme bis zur wirkungsvollen Ausarbeitung des Baryt-Abzugs.

Ein wenig irritierend war bereits die Bestellung des Buches. Im Begleitschreiben der Verlagslieferung drückte man mit Freude gepaarte Verwunderung aus, dass ein Magazin für digitale Bilder Interesse an diesem Werk zeigt. Ich hätte gewarnt sein sollen, doch Andreas Weidners Titel „Perspektive Fine-Art“ aus dem Jahr 2003 versprach eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Thema. 
Das Vorwort erwies sich als zweiter Warnschuss. Es besteht aus einem einzigen Satz, mit der Qualität eines Manifests: „…wer es analog nicht schafft, wird es digital auch nicht schaffen…“. Darauf folgen elf Doppelseiten mit Island-Impressionen, vom Autor um durchlittene Erfahrungen bei der Aufnahmearbeit angereichert. So beschwert er sich unter anderem zum Beispiel darüber, in Sommermonaten nicht am Strand fotografieren zu können. Dort träfe er überall Sonnenanbeter, deren Fußspuren, Unrat oder Badetücher das Auge beleidigen. Doch schlimmer noch, „als weiteres kommen die lästigen Fragen von neugierigen Urlaubern hinzu, die mit ihren Pixelbelichtungskästen vor dem Bauch den einfachen, introvertierten Fotografen nerven“. Das muss ganz grausam sein, als fotografischer Feingeist vom Plebs derart beleidigt zu werden.
Während man in der normalen Fotografie ebenso wie nun auch in der Fotografie mit „Pixelbelichtungskästen“ nur versucht, anständige Bilder zu machen, die ein Motiv, dokumentieren, abbilden, es verfremden oder es durch einen individuellen Blickwinkel sehen wollen, will die Fine-Art-Fotografie etwas ganz anders.
Was genau, lässt sich nicht so einfach in Worte fassen ? aber das ist ja öfter so bei den feinen Unterschieden. Eine verbindliche Definition gibt es nicht, eher vorsichtige Eingrenzungen. Zunächst einmal handelt es sich meist um Schwarzweiß-Fotografie; Autor Weidner konzentriert sich ausschließlich darauf. Dann geht es darum, möglichst viele Tonwerte aufs Negativ zu bekommen. Die Tonwertdynamik ermittelt man selbstredend als ausgewiesener Technikgegner mit Hilfe des Zonensystems von Ansel Adams. Fotografiert werden bevorzugt unbewegliche Objekte, schon damit man auch genug Zeit hat, diese mit einer Großformatkamera einzufangen. Außerdem ist es ganz wichtig, analog zu arbeiten. Nicht, um die exorbitanten Kosten digitaler Großformatrückteile zu vermeiden, sondern damit der handwerkliche Aspekt stundenlanger sachkundiger Arbeit in der Dunkelkammer nicht zu kurz kommt. Schließlich lebt das Bild in erster Linie von der Kombination aus perfekter Belichtung (die man natürlich mit einem Handbelichtungsmesser und viel Erfahrung ermittelt), eine sachkundigen (Plan-)Filmentwicklung und der gekonnten Ausgabe auf Baryt-Papier. Es lebe die Materialerotik. Wenn man jedoch Weidners Statement „Meine Perspektive von Fine-Art“ über die folgenden zehn Seiten verfolgt, erfährt man, dass Technik eigentlich unwesentlich ist, wenn nur die Bildidee richtig umgesetzt werden kann. In solch liberaler Form geht es dann glücklicherweise auch weiter. Der Fotograf lernt (wenn auch ohne jede Bezugnahme auf digitale Technik) viel über die Ermittlung der besten Perspektive, die Transformation von Farben in Grauwerte, Motivkontraste und die Belichtungsmessung. Also alles, was auch das Herz des digital fotografierenden Schwarzweißliebhabers erfreut, der sich aus der Umklammerung seiner Automatikfunktionen zu befreien trachtet.
Bei der Lektüre dieses Buches von Andreas Weidner kommt man zu wenigstens zwei neuen Erkenntnissen: Erstens, Fotografie und Fine-Art-Fotografie sind zwei gänzlich verschiedene Welten, die nur ihre Basistechnik verbindet. Zweitens, Fine-Art Fotografen sind eine ganz besondere Spezies Mensch.
Insgesamt ist Weidners großformatiger, reich bebilderter 230-Seiten-Schinken dennoch ein lesenswertes Buch, das viel Wissen über das Wesen der anspruchsvollen Fotografie vermittelt. Wer sich an der pseudo-elitären Haltung des Autors stört, kann sich vielleicht damit trösten, hier Zeuge des letzen Aufflackerns einer untergegangenen Fotografie-Epoche zu sein.
Perspektive Fine-Art
Andreas Weidner
Gebundene Ausgabe, 230 Seiten
Lindemanns, Oktober 2003
EUR 19,95
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Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

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