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Zweierlei Maß

Vorab die übliche Warnung: Hier geht diesmal nicht um Photoshop und Bildbearbeitung, sondern um Wichtigeres. Während Parteien die Spenden-Gesetze ständig „legal“ umgehen, soll vielen politisch tätigen Organisationen durch Entziehung der Gemeinnützigkeit das Wasser abgegraben werden. Zweierlei Maß? Doc Baumann findet das empörend.

Zweierlei Maß
Zweierlei Maß – während kritischen Organisationen die Gemeinnützigkeit entzogen wird, dürfen die Parteien am Rande der Legalität agieren / Grafik Waage: Microsoft / Montage: Doc Baumann

Alle Jahre wieder tragen uns zu Weihnachten und Sylvester die obersten Repräsentanten unseres Staates in salbungsvollen Sätzen vor, was im vergangenen Jahr geschehen ist und was mit mehr staatsbürgerlichem Engagement aller im nächsten Jahr besser laufen könnte. Klingt gut und ist oft auch richtig – hat mit der politischen Realität aber mitunter nichts zu tun (in der etwa Menschen von der Justiz verfolgt werden, die Hakenkreuz-Schmierereien übermalen oder Nazi-Veranstaltungen behindern).

Jeder aufrechte Demokrat ist entsetzt über Maßnahmen wie jene, die etwa in Russland gegen manche regierungskritische Organisationen verhängt werden (die dann etwa als ausländische Agenten gelten). Nun hat man hierzulande zwar noch nicht gehört, dass ein Regimekritiker über Nacht verschwindet und auf eine Militär-Station in der Arktis entführt wird. Aber über Behinderungen kritischer Organisationen muss hier niemand demokratisch die Nase rümpfen. Hierzulande wird derlei weniger auffällig und mit bürokratischer Kälte vom Finanzamt erledigt. Oder, wie es früher hieß: Von Russland lernen heißt siegen lernen!


Die öffentliche Empörung war groß, als das Finanzministerium vor einigen Monaten politisch tätigen Organisationen die Gemeinnützigkeit entziehen wollte – Spenden wären dann nicht mehr steuerlich absetzbar gewesen. Nach harscher Kritik musste Minister Scholz diesen Teil des Gesetzentwurfs zurückziehen.

Kaum beachtet wird in der Öffentlichkeit allerdings, dass das Finanzamt, ganz ohne das geplante Gesetz und diesem vorauseilend, und kaum ohne Rückendeckung von oben, genau das, was angeblich nicht geschehen soll, schon jetzt in die Praxis umsetzt.

Betroffen sind etwa die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, attac, und nun die Petitionsplattformen Campact und Change.org. (rechte Organisationen sind zufällig nicht involviert).

Ich zitiere hier aus einer Mitteilung der letztgenannten Organisation: „Juristisch ist die Begründung des Finanzamts Berlin absurd: In der Begründung führt das Finanzamt an, dass unsere Petitionsstarter*innen überwiegend politische oder gar Einzelinteressen verfolgen. Als Beispiel werden die Kampagnen von Marianne Grimmenstein zur Bürgerklage gegen CETA oder die Petition von Gabi Müller, Mutter eines Loveparade-Opfers, mit der Forderung der strafrechtlichen Aufarbeitung der Loveparade-Katastrophe angeführt. Beide Petitionen waren übrigens teilweise erfolgreich und wurden von jeweils mehr als 300.000 Menschen unterstützt. Von der Verfolgung von Einzelinteressen kann hier daher keine Rede sein.


Nun wäre es ein klein wenig nachvollziehbarer, würden die Finanzämter überall so kritisch hinschauen, wenn es um die Finanzierung von politisch tätigen Organisationen geht. Aber betrachten wir mal die Parteienfinanzierung. Steuerrechtlich können Spenden an Parteien als Sonderausgaben abgesetzt werden – allerdings nur bis zu einer Höhe von wenigen tausend Euro. Natürlich kann man mehr spenden, aber das wirkt sich nicht steuermindernd aus; außerdem müssen die Parteien alle Spenden melden, natürlich auch Großspenden. (Wie man das verschleiern könnte, haben Ex-Kanzler Kohl, der heutige Bundestagspräsident Schäuble und diverse Politiker peinlich vorgeführt – für ihre politischen Karrieren hatte das offensichtlich keine nachteiligen Folgen, obwohl Rechtswissenschaftler die damaligen Strukturen als typisch für organisierte Kriminalität eingestuft haben.)

Für die großen Konzerne, die für ihre Spenden natürlich entsprechendes Entgegenkommen erwarten (was dann ja auch oft gewährt wird, indem etwa Lobbyisten die Gesetzestexte gleich selbst schreiben, die sie betreffen) – für solche Großspender ist es natürlich lästig, dass sie ihre Spenden nicht von der Steuer abziehen können.

Was tun? Nun, es gibt ja große Parteiveranstaltungen, und in den Vorhallen jede Menge „Infostände“. Die dürfen die Parteimanager zu Phantasiepreisen vermieten – und obwohl da nur ein paar tausend Menschen hinkommen, liegen die Quadratmeterpreise weit über denen internationaler Messen mit Hunderttausenden von Besuchern. Oder man hat seine Parteizeitschriften, in denen Anzeigen geschaltet werden können – zu Tausenderpreisen, die die großen Publikumszeitschriften nicht mal ansatzweise fordern könnten.

Und beide Seiten freuen sich: Für die Großspender gibt es nun keine absetzbaren Höchstgrenzen mehr, sie können die Ausgaben als Betriebskosten in beliebiger Höhe steuerlich geltend machen. Und die Parteien, die Träger des demokratischen Gemeinwesens, müssen diese Summen nicht als Spenden angeben (die Abhängigkeiten beweisen könnten), sondern dürfen diese Einnahmen undifferenziert unter „Sonstiges“ verbuchen. Das ist definitionsgemäß „legal“ – das heißt, es passiert auf der Basis geltender Gesetze (die ebenjene Parteien mehrheitlich beschlossen haben.)

So viel zu Demokratie und staatsbürgerlichem Engagement.


Zum Schluss noch eine weitere steuerrechtliche Frage: Wenn Sie der Staatskasse – sagen wir mal – eine halbe Milliarde durch Steuerhinterziehung vorenthalten, wird’s richtig teuer: Es erwartet Sie in solchen Fällen eine saftige Freiheitsstrafe ohne Bewährung – rechnet man es in Tagessätze um, käme dabei etwa beim Gehalt eines Bundesministers knapp über 1 Milliarde Euro Strafe heraus.

Nun erkläre mir mal bitte jemand den Unterschied, ob man der Staatskasse eine halbe Milliarde durch Steuerhinterziehung vorenthält oder sie, wie unser Bundesverkehrsminister, mittels undurchsichtiger (und kürzlich in der Geheimhaltungsstufe kräftig heraufgesetzter) Verträge mit der Industrie um diese Summe erleichtert. Ohne dass die Vertragspartner dafür Gegenleistungen erbringen müssen – jedenfalls keine, die wir kennen; anderes könnte ja als nicht begründeter Vorwurf der Korruption verstanden werden und darf daher nicht behauptet werden.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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Kommentar

  1. Zitat: „…erkläre mir mal bitte jemand den Unterschied, ob man der Staatskasse eine halbe Milliarde durch Steuerhinterziehung vorenthält oder sie, wie unser Bundesverkehrsminister, mittels undurchsichtiger (und kürzlich in der Geheimhaltungsstufe kräftig heraufgesetzter) Verträge mit der Industrie um diese Summe erleichtert.“
    Nichts leichter als das: Institutionelle Kriminalität und Korruption. Ich habe mir von einem Juristen erklären lassen, daß die Aktion von Minister Scheuer ein glasklarer, kurzer Fall für die Justiz sind. Ebenso klar sagte er auch, daß es genau deswegen keine juristischen Folgen geben wird. Für lückenhaft informierte Leser mag das übertrieben klingen, aber wir haben eine Justiz für die „Leute“ und eine Justiz für die „Elite“. Wobei man sich nicht an den Begriffen aufhängen sollte. Wie das funktioniert, kann man bei Rainer Mausfeld erklärt bekommen, oder man gönnt sich ein paar Clips von „Die Anstalt“, wo all das veranschaulicht wird, was die Medienbediensteten gerne überspringen.

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