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Noch mal: Nackte Frauen in DOCMA

Vor einer Woche hat Doc Baumann hier die Zuschrift einer Leserin zum aktuellen DOCMA-Cover – mit ihrem Einverständnis – veröffentlicht und dazu ausführlich Stellung genommen. Daraus ergab sich die breiteste Leser/Innen-Diskussion zu einem Blog-Beitrag seit Bestehen dieser Rubrik. Doc Baumann fasst hier die Diskussion noch einmal zusammen und beschreibt, was ihn gefreut und geärgert hat.

Noch mal: Nackte Frauen in DOCMA
Besser so? Dasselbe Model wie auf dem DOCMA-Cover, diesmal bekleidet, gerendet aus set.a.light 3D

Zunächst möchte ich allen danken, die sich so engagiert an dieser Diskussion beteiligt haben. Frauen und Männern, Kritikerinnen meiner Ausführungen und Befürwortern.

Es hat mich sehr gefreut, dass diese Auseinandersetzung weitestgehend zivilisiert abgelaufen ist und ohne Beleidigungen und Beschimpfungen auskam – mir gegenüber und untereinander. Es gab zwar etliche negative Äußerungen zu meiner Person, die mich nicht gerade erfreut haben (dazu später mehr), aber sie blieben dennoch in vertretbaren Grenzen.

Wenn man/frau an anderen Stellen im Web liest, auf welches Niveau solche Auseinandersetzungen herabsinken können, finde ich den Stil des Disputs hier geradezu vorbildlich.
Also, nicht nur für die Mühe der Argumentation möchte ich mich bei allen bedanken, sondern ausdrücklich auch dafür, dass es keine peinlichen Ausfälle gegeben hat. Alles ist bei Interesse nachlesbar; es gab keine Kommentare, die wir hätten löschen müssen, weil sie vom Niveau her unerträglich gewesen wären.

Betonen wir lieber die Gemeinsamkeiten

Wie eigentlich nicht anders zu erwarten war, hat die überwiegende Zahl männlicher Kommentatoren und nicht wenige Frauen meinen Argumenten weitgehend zugestimmt, während die meisten Frauen und etliche Männer sie zurückgewiesen und kritisiert haben.

Dass viele Menschen beiderlei Geschlechts meine Position nicht teilen würden, war mir natürlich schon zuvor klar. Ich kenne ihre Argumente, respektiere sie, sehe auch durchaus einige gute Gründe dafür – zugleich aber auch einige dagegen. Aus dieser Abwägung von Pro und Contra ergibt sich meine Haltung. Jede/r darf bei eigener Gewichtung zu einem anderen Ergebnis kommen.

Ich bitte bei alledem zu berücksichtigen, dass mich niemand gezwungen hat, mich dieser Diskussion zu stellen. Wir haben diese kritische Mail von Frau P. erhalten, ich habe sie beantwortet. Und dann (trotz einer ausbleibenden Reaktion von ihr) entschieden, ihre Kritik und meine – ausführlichere – Antwort der öffentlichen Diskussion zu stellen. Niemand hätte also überhaupt Kenntnis davon gehabt, wenn ich die beiden Texte nicht öffentlich gemacht hätte. Wie gesagt, dass es heftigen Gegenwind geben würde, vor allem von Leserinnen, war mir vorher klar. Dennoch bin ich von meinen Argumenten so überzeugt, dass ich sie hier vorgestellt habe.

Ich finde es etwas bedauerlich, dass von den Kritiker/innen nahezu ausschließlch die trennenden Aspekte aufs Korn genommen wurden. Das hat mich ein wenig an meine alten APO-Zeiten nach 1968 erinnert, als die linken Gruppen ihre Zeit damit verschwendet haben, sich über abweichende Positionen zu zerfleischen, die gemessen an den Unterschieden zu ihren politischen Gegnern belanglos waren.

Niemand ist darauf eingegangen, dass ich betont habe, dass ich die politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder kulturelle Gleichheit von Frauen und Männern für selbstverständlich halte. (Als sei das heutzutage völlig klar und würde von niemandem in Frage gestellt). Ebenso habe ich ausdrücklich betont, dass ich Ihre Meinung respektiere, auch wenn ich sie nicht teile. Manche haben unterstellt, ich hätte Frau P. rhetorisch überrollen wollen – als ginge es darum, recht zu behalten.

Ich halte es für Zeitverschwendung, sich an Mitmenschen abzuarbeiten, die die eigene Position nicht zu hundert Prozent teilen, sondern vielleicht nur zu 80%, und dabei die Abwehr von Gegnern zu vernachlässigen, die womöglich in allen Punkten anderer Ansicht sind, das Patriarchat wiederbeleben und Frauen auf Küche und Kinderzimmer beschränken wollen.

Jederzeit verfügbare Sexualobjekte?

In einer privaten Mail hat mir eine Kritikerin vorgeworfen, ich hätte die von mir erwähnte Frage weit ausführlicher behandeln müssen „inwieweit solche Bilder die Erwartungshaltung unterstützen, Frauen seien jederzeit verfügbare Sexualobjekte.“ Sie schreibt: „Genau dieser Aspekt ist aber das Problem. Er ist nicht ,ferner liefen‘, sondern zentral. Die Praxis als ,jederzeit verfügbare Sexualobjekte‘ erleben viele Frauen tagtäglich (je nach Umfrage haben 28 – 58% der Frauen sexuelle Belästigung erlebt). Um das nicht mitbekommen zu haben, muss man in den letzten Jahren tatsächlich unter einem sehr großen Stein gelebt haben.“

Nun, ich hatte nichts geschrieben von „ferner liefen“, sondern nur, dass ich diesen – ganz sicher zentralen Aspekt – an dieser Stelle nicht auch noch abhandeln kann; der Text war lang genug. Hätte ich nichts von dem Problem mitbekommen, hätte ich es nicht ansprechen können. Also greife ich das hier gern noch einmal auf – fürchte aber, dass das meine Kritiker/innen dennoch nicht zufriedenstellen wird.

Ich stelle nicht in Frage, dass eine sehr große Anzahl von Frauen sexuelle Belästigungen erfahren haben. Es stimmt, aber um diese Tatsache geht es hier nicht. Es geht um die Frage, ob und inwiefern Bilder wie die diskutierten diese männliche Erwartungshaltung unterstützen.

Der Unterschied zur Einschätzung meiner Kritiker/innen ist, dass dieser Zusammenhang für sie keine Frage, sondern eine unumstößliche Tatsache ist. Für mich ist es eine Frage, und ich würde mich dazu erst äußern, wenn ich statistisch abgesicherte Untersuchungen ausgewertet hätte, die zu dem Ergebnis kommen, dass das eine die Ursache für das andere ist (und nicht etwa beide auf eine andere gemeinsame Ursache zurückgeführt werden können).

Kleiner Exkurs (bitte überspringen, falls wieder jemand meinen sollte, ich schweifte ab): Wie meine regelmäßigen Leser/innen wissen, arbeite ich seit 29 Jahren an einem Roman. In der Handlung kam eine Nebenperson vor, ein Mann, der sein Geld damit verdient, mit 3D-Software Kinderpornos zu erschaffen. Ich habe das inzwischen gestrichen, relevant für den Plot war eigentlich nur seine ausgezeichnete Kenntnis von 3D-Software.

Um mich in dieser Frage kompetent beraten zu lassen, machte ich damals einen Interviewtermin mit einem Staatsanwalt aus, der für entsprechende Strafverfolgung zuständig war. Im Laufe des Gesprächs stellte ich die Frage, was diese Strafverfolgung in Fällen rechtfertigen würde, in denen es gar keine geschädigten Kinder gibt, sondern nur 3D-Daten, die so aussehen als ob. Und weil mich die Antwort nicht befriedigte, hakte ich nach: Gibt es eigentlich Untersuchungen über die Nutzer von Kinderpornografie dahingehend, ob deren Rezeption eher dazu führt, die dargestellten Handlungen selbst ausführen zu wollen – oder im Gegenteil eine hinreichende Ersatzbefriedigung zu ermöglichen, die realen Missbrauch verhindert?

Das, erklärte der Staatsanwalt, interessiere ihn nicht, für ihn gehe es nur um die juristische Aufarbeitung, dafür seien forensische Psychologen zuständig, nicht er.

Damit hatte er ein formal sicherlich recht. Dennoch fand ich es sehr verwunderlich, dass sich jemand, dessen Beruf es ist, sich mit Nutzern von Kinderpornos zu befassen, den aktuellen Forschungsstand zu diesem Zusammenhang nicht kennt. (Da der Strang in meinem Roman nicht mehr vorkommt, habe ich die Recherche in dieser Richtung nicht vertieft und weiß es also auch nicht. Inzwischen gehen übrigens Ermittler genau so vor, indem sie sich mit 3D-Kinderpornos, die als solche nicht zu erkennen sind, Zugang zu entsprechenden Austauschforen verschaffen.)

Ich habe diese kleine Geschichte erwähnt, weil ich eine deutliche Parallele sehe: So, wie es für den Staatsanwalt klar war, dass Pornokonsum zu eigenen Missbrauchshandlungen führt, ist für die meisten Frauen klar, dass sexistische oder sexualisierte Bilder zu der Haltung von Männern führen, alle Frauen seien jederzeit verfügbare Sexualobjekte. Exkurs Ende.

Als Wissenschaftler (was die Fakten betrifft) und als Philosoph (wenn es um die Methodik geht) kann ich so aber nicht an eine Frage herangehen. Ich kann nur die Frage stellen: Wie wahrscheinlich ist es, dass das eine zum anderen führt – und wie wahrscheinlich ist das Gegenteil? Zur Beantwortung der Frage würde ich eine breite empirische Faktenbasis und Wissen über statistische Berechnungen benötigen. Die Tatsache, dass viele Frauen – bis hin zur Vergewaltigung – belästigt und sexuell missbraucht werden, ist ein Baustein zur Beantwortung der Frage, kann sie allein aber nicht beantworten.

Meine Fehler

Obwohl ich auch nach Kenntnisnahme der vielen Kritikpunkte (dazu später mehr) weiterhin denke, dass meine Argumente richtig sind, gebe ich zu, dass ich einen zentralen Fehler gemacht habe: Ich habe von mir auf andere geschlossen.

Das bedeutet nun allerdings nicht unbedingt das, was viele vielleicht erwarten. Ich meine damit, dass für mich die erwähnte Gleichheit von Frauen so selbstverständlich ist, dass ich sie in keiner Weise in Frage stellen würde – schon gar nicht durch die Rezeption der diskutierten Bilder. Aber ich gebe zu, dass es falsch sein kann, aus dieser Selbstreflexion auf das Verhalten anderer Männer zu schließen.

Ich behaupte ohne klare Faktenlage allerdings auch nicht, dass es bei anderen Männern anders ist. Auch hier halte ich daran fest, mit einer Frage und nicht mit einer Behauptung zu beginnen: Wie wahrscheinlich ist es für einen Mann, durch das Betrachten solcher Bilder zu einer Einstellung zu gelangen oder sie zu festigen, die die Gleichheit von Frauen in Frage stellt? Welche sozialen, kulturellen, auch biologischen Faktoren spielen dabei eine Rolle? Und so weiter.

Für eine eingehende Beschäftigung mit dem Thema würde ich zunächst die Ausgangshypothese aufstellen: Es kann einen Zusammenhang geben zwischen der Herstellung und Rezeption solcher Bilder einerseits und die Erwartung von manchen Männern andererseits, Frauen seien verfügbare Sexualobjekte. Das begründet aber nicht die Annahme, dass das Erstgenannte die Ursache des Letzteren sei.

(Ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Am frühen Morgen stehen viele Menschen auf. Zur selben Zeit beginnen die Vögel zu singen. Das eine ist aber nicht die Ursache des anderen, sondern beides geht auf eine gemeinsame Ursache zurück.)

Ich habe zum Beispiel im Zusammenhang der Recherchen für meinen erwähnten Roman viel mit Wissenschaftler/innen unterschiedlicher Bereiche zu tun. Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, die Annahme der Zuverlässigkeit der mitgeteilten Fakten und Einschätzungen davon abhängig zu machen, ob ich mit einer Frau oder mit einem Mann spreche oder korrespondiere.

Das heißt also, streng logisch betrachtet: Es gibt mindestens einen Mann, der einerseits nichts gegen die diskutierte Art von Bildern hat und andererseits Frauen als gleichberechtigt sieht und behandelt und nicht auf die Idee kommt, sie seien jederzeit verfügbare Sexualobjekte. Und das wiederum bedeutet, ebenfalls streng logisch, dass nicht die Behauptung aufgestellt werden darf: (Alle) Männer gelangen durch solche Fotos zu der Einschätzung, (alle) Frauen seien jederzeit verfügbare Sexualobjekte.

Vielleicht werden mir auch meine Kritiker/innen bei der Vermutung zustimmen, dass viele Männer die fraglichen Bilder mit positiven Konnotationen betrachten und dennoch keine Frauen sexuell belästigen. Also ist die Frage, ob es mehr sind und wie viel mehr. Wenn sich dann zeigen sollte, dass diejenigen, die Frauen für verfügbare Sexualobjekte halten und daraus eine subjektive Berechtigung zu sexueller Belästigung ableiten, eine kleine Minderheit sind, ist die nächste Frage, wie klein diese Minderheit sein kann, um das in Frage stehende Problem der Bilder für vergleichsweise unbedeutend halten zu dürfen.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren, zugegebenermaßen problematischen Aspekt meines Textes: Da ich ich ihn für gut begründet halte, besteht die Gefahr, dass er Argumentationsfutter für Menschen (Männer) bietet, mit deren Sicht auf Frauen ich nichts zu tun haben möchte, die die Argumentation aber dennoch platt und ohne die nötige Tiefe übernehmen könnten. Ich weiß nur nicht, wie sich das verhindern ließe.

Vor zwei Jahren gab es in meiner Heimatstadt eine breite öffentliche Diskussion über ein zeitgenössisches Kunstwerk auf einem Platz, das ich aus verschiedenen Gründen kritisierte. Bei einer Podiumsdiskussion zum Thema führte ich meine Argumente an … und erhielt unter anderem Beifall von der AfD, die – wenn auch aus ganz anderen Gründen – ebenfalls dagegen war. Schwierige Situation, zugegeben. Eine Lösung kann ich leider nicht anbieten, außer in solchen Fällen aufzuzeigen, dass es eine lediglich oberflächliche Ähnlichkeit der Argumente gibt, ohne gemeinsamen Begründungszusammenhang.

Gegenwind

Trotz meiner ernst und ehrlich gemeinten Versuche zur Versöhnung (schon wieder so ein Begriff mit patriarchalischem Background!) ahne ich, dass meine Argumente zumindest einen Teil meiner Kritiker/innen nicht zufriedenstellen werden. Der erwartete Einwand trägt den Namen „Mansplaining.

Wenn ich richtig gezählt habe, kam der in der Diskussion zwei- oder dreimal vor. (Und wurde in einem Fall von einer Frau mit der Forderung kommentiert: „Dann ,womansplain‘ mir doch bitte mal die Antworten auf die gestellten Fragen.“ Diese Antwort kam freilich nicht.)

Ich habe weder Grund noch Absicht, herablassend zu sein, und ob ich mehr über den diskutierten Gegenstand weiß als meine Diskussionspartner/innen, kann ich ohne Vorwissen über sie nicht entscheiden. Da ich mich in der Regel nur zu Fragen äußere, für die ich einigermaßen kompetent bin, besteht diese Möglichkeit immerhin. In der Regel lässt sich aus dem Verlauf einer Diskussion recht einfach erkennen, ob man/frau mehr, weniger oder etwa gleich viel über das Thema weiß wie ich selbst.

Allerdings ist ein Begriff wie „Mansplaining“ für mich allzu oft ein Kampfbegriff, der in den Ring geworfen wird, als sei die Frage, um die es inhaltlich geht, damit geklärt. Nein, das ist sie für mich keineswegs. Ich halte den Begriff für eine Ausflucht, um sich die Mühe weiterer Argumente (logisch verknüpft und empirisch abgesichert) zu ersparen. Auf den Kopf gestellter männlicher Chauvinismus, über dessen Berechtigung ich nicht mal diskutieren mag.

Ich weiß, dass es Philosophinnen und Wissenschaftlerinnen gibt, die die Position vertreten, bereits die verlangte logische Struktur von Aussagen und Schlussfolgerungen sei ein unangemessenes Eingehen auf männliche Denkweisen. Da wir alle in derselben Welt leben (naturwissenschaftlich gemeint, nicht sozial), kann es nur eine Logik geben, mit der man zu richtigen Schlüssen kommt, da man ansonsten nicht erfolgreich handeln und überleben könnte.

Kritik an der Kritik

Auch wenn ich oben den zivilisierten Stil der Diskussionen im DOCMA-Blog ausdrücklich gelobt habe, bedeutet das nicht, dass ich mit dem Verlauf dieser Diskussion rundum zufrieden wäre.

Es gibt einige Aspekte, die mich gestört haben:

Es kamen häufig pauschale Einwände gegen meinen Text, als Beispiel „… Die Vergleiche, die er anspricht, sind oft nicht gut gewählt. Er schweift vom Thema ab und unterstellt der Frau, dass sie sich nur darüber aufregt, da sie weit älter ist, als die Models. Daher also neidisch auf diese sei.“ Dieser Kommentar bekam 17 Likes auf Facebook. Da ich immer gern bereit bin, aus Kritik zu lernen, fragte ich konkret nach: „Wo habe ich behauptet, sprachlich in einer anderen Liga zu spielen (Soll ich meinen Stil von Text zu Text ändern?) Wo habe ich unpassende Vergleiche gewählt? Wo schweife ich ab? Wo unterstelle ich, die Kritik von Frau P. habe etwas mit ihrem Alter zu tun (das ich gar nicht kenne)?“ Eine Antwort mit Aufzählung der erbetenen Textpassagen kam nicht. Stattdessen – von einer anderen Autorin – der erwähnte Satz: „Klassischer Fall von Mansplaining!“

Leider ist das kein Einzelfall, sondern der typische Verlauf. Was soll ich damit anfangen? Es ist leicht, pauschal negative Behauptungen in die Welt zu setzen … und ziemlich peinlich, sie auf Nachfrage nicht begründen und belegen zu können.

Mein Kollege Michael J. Hußmann schieb an einer ähnlichen Stelle: „Ich hatte eine Verständnisfrage gestellt und von Dir nur eine pampige Reaktion bekommen. Solche Verweigerung einer Argumentation ist typischerweise ein Eingeständnis, keine Argumente zu haben.“ Genau so sehe ich das auch.

Der zweite Aspekt offenbart eine weitere Schwäche mancher Diskussionsbeiträge, sich nämlich nicht zum Thema zu äußern, sondern sich an der Person des Kritisierten abzuarbeiten (eine Vorgehensweise, die in allen Texten zur Diskussionsmethodik scharf zurückgewiesen wird).

So schrieb etwa dieselbe Kommentatorin: „Man merkt, dass der Verfasser sehr überzeugt von sich ist. Der Frau auch zeigen möchte, dass sie sprachlich nicht in seiner ,Liga‘ spielt.“ Natürlich bin ich von mir überzeugt – was ist daran falsch? Ich leide zum Glück nicht unter Depressionen oder einem Minderwertigkeitskomplex. Wie kann man das also jemandem vorwerfen? Und der zweite Satz? „Der Frau auch zeigen möchte …“ Die Autorin „merkt“ hier etwas, das ich angeblich möchte, das aber mit meinen Intentionen gar nichts zu tun hat. Sie „merkt“ also nicht, sondern sie erfindet und behauptet. Sie gibt ihre subjektive Interpretation meines Handelns wieder, lässt sie aber so klingen, als sei das eine objektive Feststellung.

Ein weiterer Aspekt in derselben Richtung, der in mehreren Kommentaren vorkam, war, ich hätte es wohl nötig, mit meinem Doktortitel und meiner Ausbildung als Kunstwissenschaftler zu protzen. Nein, habe ich nicht – nicht in meinem fortgeschrittenen Alter und auch früher nicht. Regelmäßige Leser von DOCMA wissen seit Jahren das eine wie das andere. Da der Blog aber von vielen Leuten gelesen wird, die DOCMA kaum oder gar nicht kennen, erschien es mit sinnvoll, einleitend darauf hinzuweisen, dass ich mich mit dem Thema Bilder und ihrer Rezeption schon sehr lange wissenschaftlich befasse. Genau genommen seit etwa 50 Jahren. Auch wenn es eher auf die Qualität der Argumente ankommt als darauf, wer sie äußert, ist es für viele Leser/innen vielleicht von Interesse, dass der Autor mit einem Thema bestens vertraut ist und nicht als Vermessungsingenieur oder Steuerberater ausgebildet wurde.

Besonders erheiternd fand ich in diesem Zusammenhang zwei Kommentare: Der eine leitete meine Position davon ab, dass ich im kunstwissenschaftlichen Elfenbeinturm säße und keinen Bezug zur Praxis hätte – der andere, dass ich vor einem Vierteljahrhundert Chefredakteur einer Zeitschrift für Motorradrocker war (und zeigt zum Beleg das Cover eines Heftes, das 14 Jahre nach Beendigung meiner Tätigkeit entstand). Ich bin also angeblich zugleich extrem praxisfern wie praxisnah – das scheint mir die optimale Kompetenz zu sein, mich zum Thema zu äußern.

Mehrere Kritiker/innen haben sich – der dritte Aspekt – über meine Berechnung der Papierfläche lustig gemacht, auf der in der letzten DOCMA-Ausgabe eine (halb)nackte Frau zu sehen war. Ich gebe zu, dass das eine eher ungewöhnliche Vorgehensweise ist. Ungewöhnlich – aber deswegen nicht falsch. „Sexismus“ kann man nicht messen – Quadratzentimeter schon.

„Jeder Quadratzentimeter Coverfläche ist also vom (psychologischen) Informationsgehalt her gleichrangig?“, fragt ein Kritiker spöttisch. Dieser Umkehrschluss ist unzulässig; ein Bild beinhaltet natürlich mehr Information als eine monochrome Farbfläche. Ob aber vorgeblich sexistische Bilder eine größere Bedeutung haben als beliebige andere, hängt von der Vorgabe ab, mit der ich suche. Wenn sich jemand für Landschaftsfotografie begeistert und ich kann ihr sagen, dass 11,7% der Heftfläche Landschaftsfotos zeigen, ist das die Vorgabe – hat sie mindestens 20% erwartet, wird ihr das zu wenig sein, ist sie bereits ab 5% zufrieden, ist es in Ordnung.

Ich war vor ein paar Wochen hier schon einmal auf das Bayes-Theorem eingegangen, mit dem man die Wahrscheinlichkeit von Hypothesen berechnen kann; je mehr man dazulernt, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit richtiger Annahmen. Natürlich kann man auch aus dem hohlen Bauch heraus argumentieren, aber man ist auf der sichereren Seite, wenn Behauptungen irgendwie messbar gemacht werden. Niemand muss diese Methode anwenden, aber man sollte sich über sie auch nicht lustig machen, wenn sie einem nicht vertraut ist.

Ein weiterer Aspekt, der oft miss- oder nicht verstanden wurde: Ja, das Foto einer nackten Frau reduziert diese in der Regel auf ihren Körper. Ich hatte zu begründen versucht, warum das nichts Besonderes ist, da jedes Bild die abgebildete Person oder ein Objekt nicht ganzheitlich, sondern in einem konkreten Zusammenhang als etwas Bestimmtes repräsentiert. Als Beispiel hatte ich die Kanzlerin genommen, die nicht als Physikerin (die sie auch ist), sondern als Politikerin abgebildet wird.

Um es vielleicht noch klarer zu machen: Nehmen wir an, eine Studentin arbeitet im Nebenjob als Erotik-Model. Dann nehmen wir ihre Erotik-Fotos unter dem Aspekt ihrer Körperlichkeit wahr. Wird sie dagegen in den Medien als vielversprechende Nachwuchswissenschaftlerin vorgestellt, die gerade einen Preis überreicht bekommt, dann interessiert in diesem Zusammenhang nur ihre Rolle im Wissenschaftsbetrieb und ihr Körper ist völlig nebensächlich.

Fazit

Meine Kritiker/innen würden höchstwahrscheinlich keine Einwände gegen die von mir angewandten Methoden vorbringen, wenn ich die gegen statt für die fraglichen Fotos eingesetzt hätte – dafür wäre die Zurückweisung dann sicherlich von der Gegenseite gekommen …

„Wow, da habt ihr die Leserin ja mit Argumenten echt rund gemacht. Hätte man in einem Gespräch auch konstruktiv und mit Mehrgewinn für alle Leser lösen können, aber hey, was wissen die Leser schon“, schreibt eine Kommentatorin. Erstens ist es ein merkwürdiges Verständnis von Diskussion, es ginge darum, den/die andere/n fertig zu machen und recht zu behalten. Nein, es geht um Austausch von Argumenten (meinetwegen auch von Meinungen, wenn’s sein muss), und im Idealfalle darum, Aspekte kennenzulernen, die einem zuvor nicht klar waren – also aus der Diskussion zu lernen.

Zweitens haben nicht „wir“ rund gemacht, sondern – wenn überhaupt – „ich“. Was da im Blog steht, spiegelt jeweils die Position der Person wider, deren Name drüber steht. Das ist also nicht „offizielle“ DOCMA-Linie, sondern meine.

Drittens habe ich das konstruktive Gespräch mit Frau P. in einer ausführlichen Mail gesucht, darauf aber leider keine Antwort erhalten. Hätte sich die Diskussion für beide Seiten zufriedenstellend weiterentwickelt, wären die beiden Texte vielleicht gar nicht im Blog gelandet.

Wie mein Kollege Michael J. Hußmann schrieb, ich wiederhole es gern noch mal: Die „Verweigerung einer Argumentation ist typischerweise ein Eingeständnis, keine Argumente zu haben“.

Ich möchte aber noch einmal ausdrücklich betonen: Ich finde es ziemlich unproduktiv, dass sich anti-sexistische Verärgerung ausgerechnet gegen einen Autor richtet, der die Gleichheit von Frauen im politischen, sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen … Bereich vertritt. Ich halte das für intellektuelle Energieverschwendung. Denn wenn es um Rechte und nicht um Bilder geht, vertreten wir dieselben Werte.

Und ich habe mich gefragt: Warum haben all die Frauen (und Männer), die sich hier ablehnend mit dem DOCMA-Cover befassen, nicht ihre Facebook-Likes und zustimmenden Kommentare bei meinen zahlreichen Blog-Beiträgen hinterlassen, bei denen es etwa um Montagen von Frauenköpfen (insbesondere von Schauspielerinnen) auf Porno-Fotos und Ähnliches ging?

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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9 Kommentare

  1. Hallo zusammen,
    nehmt das nächste Mal nen Kerl in Badehose. Würde mir jetzt keine Probleme machen ^^
    Dann sind solche fruchtlosen Diskussionen obsolet.
    Ansonsten weiter so. Ihr macht nen super Job hier. Lasst es euch nicht von ein paar ……….. vermiesen.
    LG
    Rued

    1. Moin zusammen,
      eine guter Überblick über die Diskussion.
      Es scheint, daß es manche Frauen stört, wenn Männer sich empanzipieren und die Frauen nicht als Lustobjekt ansehen. Es verstößt gegen ihre Vorstellungswelt. Ein Mann hat so zu sein.
      Ihr macht wirklich eine gute und ausgewogene Arbeit.
      LG Karijn

  2. Hallo allerseits,
    ich finde die Prüderie weltweit erschreckend. Es gibt echte Probleme, man muß keine erfinden. Der Mensch kommt nackt auf die Welt und Nacktheit ist ein natürlicher Zustand. Manche Sehen dabei besser aus als andere. Und jeder Mensch betrachtet gerne, was schön ist. Architektur, Landschaften, Tiere und Menschen – mit und ohne Bekleidung. Habt Ihr mal die Half-Time-Show im amerikansichen Super-Bowl gesehen? Die Künstlerinnen sind angezogen, aber sonst …
    Ich habe beispielsweise eine nackte Justitia fotografiert und will damit ihre vollkommene Reinheit, ihre Unbestechlichkeit zeigen. Sie braucht einfach „NICHTS“ und ist für Nichts empfänglich außer für die Gerechtigkeit.
    Einen interessanten Beitrag zum Thema kann man übrigens im Artechock-Kommentar zum soeben anlaufenden Film
    „Helmut Newton – The Bad And The Beautiful“
    lesen: https://www.artechock.de/film/text/kritik/h/heneth.htm
    Sehr zu empfehlen, finde ich.
    Grüße Stephan

  3. Einmal wurde ich angesprochen, als ich in einer Autowerkstatt auf den Kalender an der Wand schaute. (Bilder mit Frauen drauf) und – weil das ansehen klarerweise schon eine Schweinerei und Mitschuld am Leid dieser Welt zementiert) da wurde ich gefragt, ob ich das denn schön finde. (mit einem Ton, der nahe am Ekel gebaut war) (wie erwähnt, ich WAR ja bereits schuldig)
    Meine Antwort hat die Anklageschrift dann schnell beendet – ich entgegnete, daß ich wesentlich lieber solche Bilder ansehe als welche von Hungersnot, Tod, Krieg und Elend, zertrümmerten Körperteilen, Verzweiflung und Depression. Ich denke, das stellte die Fallhöhe innerhalb der Weltrangliste der Probleme so klar dar, daß halt mal wer die Klappe halten mußte.

    1. Das war zweifellos eine sehr geschickte Antwort, zumal sie nur darauf eingeht, was Sie lieber anschauen, ohne zugleich etwas darüber auszusagen oder gar zurückzuweisen, welche Kategorie von Bildern die wichtigere ist. Unter ästhetischen Aspekten des Gern-Anschauens ist da kaum Widerspruch zu erwarten (obwohl man unterstellen darf, dass zumindest Kants Definition des ästhetischen Urteils als „interesseloses Wohlgefallen“ bei den Kalender-Girls nicht so ganz zutrifft). Aber wahrscheinlich sind wir uns auch einig, dass Bilder von Tod, Elend und Krieg eine sehr wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllen, um uns wachzurütteln und vor Augen zu zerren, was so weit entfernt und meist jenseits persönlicher Erfahrbarkeit liegt. Jedenfalls ist diese Unterscheidung zwischen „schönen“ Bildern und „bedeutsamen“ ein wichtiges Argument. Viele Grüße, DocB

  4. Lieber Herr Doc Baumann, ich finde Ihre Beiträge zu dem Thema sehr engagiert, lesenswert und anregend. Trotzdem kam mir bei der Lektüre Ihrer wichtigen Erläuterungen der Gedanke, dass die Zeitschrift doch eigentlich keine wissenschaftliche Fachliteratur zur Fotografie, Kulturwissenschaft, Philosophie oder Soziologie ist, um nur einige Hinweise zu geben. Insofern sind vielleicht auch die Erwartungen der Leserinnen und Leser Ihrer Zeitschrift wohl auf eine fachlich und praktisch korrekte Anwendung der speziellen Adobe Fotosoftware ausgerichtet, aber weniger auf einen „wissenschaftsorientiert“ geführten Diskurs oder eine „wissenschaftspropädeutische“ Kompetenzentwicklung. Unabhängig von all Ihren richtigen Reflexionen und Erwartungen an ein konstruktives Gespräch oder einen offenen Diskurs, ich denke doch, dass viele Rezipienten Ihrer Zeitschrift dies mit dem Ankauf und Gebrauch von DOCMA nicht verbinden. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Kraft für Ihre Blogbeiträge und die Fertigstellung des Romans und freue mich auf Ihre weiteren Beiträge, auch wenn ich selbst kein Anwender der Adobe-Fotosoftware bin.

    1. Sie haben völlig recht bezgl. der Erwartungshaltung. Deswegen erscheint dieser Text ja auch nicht im gedruckten Heft, sondern zur Gratis-Kenntnisnahme – wen es interessiert – im DOCMA-Blog.
      Wenn ich allerdings Stellung dazu nehmen soll, warum wir ein solches Bild aufs Cover nehmen und warum ich dies nicht geschmacklos finde, muss ich schon etwas ausholen und dann eben auch mit philosophischen, kunstwissenschftlichen, rezeptionstheoretischen und methodologischen Aspekten anworten können. Ein bloßes „mir gefällt’s halt“ wäre mir dann doch zu simpel. Ich vermute, dass ohnehin nur solche Leser/innen diese Texte gelesen haben, die sich für die Begründungen interessieren. Für’s Heft wäre das, das sehe ich genauso wie Sie, ungeeignet und viel zu ausführlich. Mit freundlichem Gruß, DocB

  5. Ich habe all die Kommentare nicht gelesen, möchte aber trotzdem Stellung nehmen: Eine nackte Frau auf dem Cover – auch wenn sie nur künstliches 3D ist – und wenn sie (vorige Ausgabe) obendrein noch auf dem Knie eines Mannes liegt und versohlt wird, macht die Zeitschrift im ÖPNV unlesbar. Wie stehe ich denn da, wenn andere diese Cover einer (meist) unbekannten Zeitschrift sehen. Mir war das so peinlich, dass ich sie nicht mit zur Arbeit genommen habe. Etwas Schamgefühl fürs Cover fänd ich gut. Oder eine so große gut lesbare Überschrift, dass alle wissen, worum es geht und ich mich nicht dafür entschuldigen muß.

    1. Hallo Liz,
      ich hatte auf einen anderen inhaltsähnlichen Kommentar schon einmal geantwortet, tue es aber gern noch mal: Wir hatten nie das Bild einer nackten Frau auf dem Cover, die von einem Mann versohlt wird. Die Montage, die Sie meinen, ist von der DOCMA-Award-Jury auf Platz 1 gewählt worden und zitiert ein zentrales Werk der europäischen Kunstgeschichte, „Die Jungfrau Maria züchtigt das Jesuskind vor drei Zeugen“ von Max Ernst (1926). (Remix war schließlich das Award-Thema.) Also: Keine nackte Frau, versohlt von einem Mann, sondern ein nackter Messdiener, gewaltsam missbraucht von einem Priester. Mithin eine Stellungnahme gegen sexuelle Gewalt!
      (Kleiner Exkurs in die Theologie: Wenn Jesus und Gott wesensgleich sind und das Geschlecht Gottes nicht fixierbar ist, könnte das Jesuskind prinzipiell auch weiblich gewesen sein. Aufgrund der Texte des neuen Tesstaments können wir das aber als eher unwahrscheinlich zurückstellen.)
      Wenn wir unsere Titelwahl nach dem durchschnittlichen kunstgeschichtlichen Bildungsstand von ÖPNV-Lesern aussrichten müssten, könnten wir das Heft gleich einstellen. Ich respektiere Ihre Haltung, dass Sie sich für gewisse Coverelemente vor anderen Mitfahrer/innen schämen – ich kann sie nur schwer nachvollziehen, da es mir persönlich völlig egal wäre; noch dazu, wenn potenzielle Zurückweisung allein auf mangelndem Wissen beruht. (Außerdem sieht man beim Lesen das Cover nicht, und wenn man das Heft dann auf den Knien ablegt, hat es ja auch noch eine unverfängliche Rückseite.)
      Mit freundlichem Gruß
      DocB

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