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NFT? WTF?

Spätestens seit das Auktionshaus Christie’s ein Digitalbild als „Non-fungible Token“, kurz NFT, versteigert und der Künstler damit umgerechnet 69,3 Millionen Dollar in der Kryptowährung Ether erzielt hat, sind NFTs in aller Munde. Aber was sind NFTs überhaupt – und werden wir damit jetzt alle reich?

NFT? WTF?
„Everydays: The First 5000 Days“ von Mike Winkelmann AKA Beepl.

Das versteigerte Bild, das Werk von fast 14 Jahren, misst immerhin 21069 Pixel im Quadrat und besteht aus 5000 kleineren Bildern, erscheint aber mit rund 16 Cent pro Pixel doch recht teuer bezahlt, zumal die Einzelbilder eher banal sind. Für den fabelhaften Verkaufspreis ist wohl allein der aktuelle NFT-Hype verantwortlich.

Die Bezeichnung „Non-fungible Token“, also „nicht austauschbares Zeichen“, verweist auf den Gegensatz zu austauschbaren digitalen Zeichen. Solche austauschbare Zeichen sind beispielsweise Bitcoins, Ether und die anderen Kryptowährungen. Jeder Bitcoin ist so viel wert wie jeder andere, so wie auch eine alte, etwas zerkratzte Ein-Euro-Münze den gleichen Wert wie eine frisch geprägte Münze hat. NFTs werden mit der gleichen Blockchain-Technologie authentifiziert wie Beträge in Kryptowährungen, sind aber einzigartig. Über das kryptographische Verfahren der Blockchain-Technologie wird aus einem beliebig oft kopierbaren Digitalbild ein nicht vervielfältigbares und damit potentiell wertvolleres Original. Zwar lassen sich die Bildpixel weiterhin eins zu eins kopieren, aber die so erzeugte identische Kopie ist nicht das Original. Nur dessen Besitzer kann beweisen, sein Bild regulär erworben zu haben.

Als Versuch, die durch die technische Reproduzierbarkeit verkümmerte „Aura“ eines Kunstwerks (nach Walter Benjamins „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von 1935) wiederherzustellen, wären NFTs wohl untauglich. Ein NFT unterscheidet sich ja nicht sichtbar von einer gewöhnlichen Kopie, die weiterhin möglich wäre. Mit einem NFT besitzt man auch keinen Nachweis über die Urheberschaft, denn natürlich könnte jemand das Werk eines anderen kopieren und aus dieser Kopie ein NFT machen. Und während beispielsweise ein von Wolfgang Beltracchi gefälschter Max Ernst als echter Beltracchi noch einen gewissen Wert haben mag, ist eine digitale Kopie wertlos, da sie nicht einmal einen eigenen Beitrag des Fälschers enthält.

Nun ist der Unterschied zwischen Original und Kopie nicht so schlicht binär, wie man naiverweise annehmen könnte. Bei einem Gemälde sind die Verhältnisse noch recht eindeutig. Der Maler erschafft ein physisches Original, das ein anderer Künstler zwar äußerst penibel zu reproduzieren versuchen kann, aber es werden immer subtile Unterschiede bleiben, die es als Kopie erweisen, eben weil es nicht dasselbe Objekt ist. Anders sieht es bereits bei der Druckgrafik aus, denn ein vom Künstler hergestellter Druckstock ist zwar ein Original, aber er ist nicht identisch mit dem davon gedruckten Bild. Das gedruckte Bild – hergestellt nicht unbedingt vom Künstler selbst, sondern oft von einem darauf spezialisierten Handwerker – ist seiner Natur nach nicht einzigartig, so dass jeder Druck als Original anzusehen ist. Allerdings nutzt sich der Druckstock meist im Druckvorhang ab, womit eine natürliche Limitierung entsteht. Selbst wenn er nach dem Druck einer begrenzten Auflage nicht vernichtet wird, würden weitere Exemplare nicht mehr die ursprüngliche Qualität aufweisen.

Für die analoge Fotografie gilt prinzipiell dasselbe. Nicht das Negativ ist das Bild, sondern der Abzug, nicht zuletzt weil dessen Herstellung noch vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten bietet. Die Zahl identischer und für alle praktischen Belange originaler Abzüge ist nur durch die Mühe ihrer Herstellung beschränkt. Das Negativ nutzt sich nicht ab, unterliegt aber der Alterung, und obwohl diese bei optimaler Lagerung unsichtbar bleiben mag, wäre es nach Jahrzehnten kaum mehr möglich, den ursprünglichen Herstellungsprozess perfekt nachzuvollziehen.

Für ein digitales Bild gilt all das nicht. Bits und Bytes unterliegen keiner Alterung. Ihr Abbild in einem Speichermedium schon, aber durch redundante Speicherung lässt sich ein Digitalbild praktisch unbeschränkt exakt bewahren und ebenso exakt auch kopieren. Es gibt nicht einmal einen Druckstock oder ein Negativ, das man vernichten könnte, um die Herstellung weiterer Exemplare zu verhindern. Das digitale Bild ist sein eigener Druckstock und so lange es dieses Bild gibt, bleibt es eins zu eins reproduzierbar.

Für den Maler an der Staffelei wird es irgendwann einen letzten Pinselstrich geben, nach dem er sein Bild für vollendet erklärt. Der Druckgrafiker mag ein ähnliches Gefühl haben, nachdem er beispielsweise die Druckplatte für eine Radierung fertiggestellt hat, aber die eigentliche Bildwirkung stellt sich erst ein, wenn im Druck auch die Farbe hinzu gekommen ist. Der Digitalfotograf oder Digital Artist ähnelt in mancher Hinsicht eher dem Maler, denn wie dieser sein Gemälde mit immer neuen Farbaufträgen gestaltet, arbeitet der Schöpfer digitaler Kunst an den Pixeln auf dem Bildschirm. Wie der Maler schaut er irgendwann auf sein Bild und stellt fest, dass es so, wie es ist, gut ist.

Das digitale Bild, wie es auf dem Bildschirm seines Schöpfers erscheint, ist so gesehen das Original, denn nur dieses entspricht voll und ganz dessen Absichten. Ein Print davon hat als physisches Objekt eine Identität und kann in einer limitierten Auflage hergestellt werden, die ihm aufgrund der Limitierung einen gewissen Wert verleiht, ist aber im Grunde eine Kopie – anders als eine Radierung oder Lithografie, die als multiples Original angesehen werden kann. Einen hochwertigen Monitor und ein konsequentes Farbmanagement vorausgesetzt, kann eine schnöde digitale Kopie dem Original auf dem Bildschirm des Künstlers viel genauer entsprechen als ein teuer verkaufter Print, egal nach welchem Verfahren dieser hergestellt wurde.

Damit gibt es einerseits als authentisch angebotene Prints, deren Wert sich durch ihre begrenzte Verfügbarkeit begründet, und andererseits perfekte, praktisch kostenlos in beliebiger Zahl herstellbare digitale Kopien, die sichtbar näher am Original als die „originalen“ Prints sind. Ein Digitalbild als NFT könnte diesen Widerspruch auflösen, da die digitalen Daten damit selbst zu einer begrenzt verfügbaren Ware werden – ein NFT kann man nur einmal verkaufen. Aber der Unterschied zwischen dem per Blockchain authentifizierten Original und einer exakten digitalen Kopie bleibt artifiziell, denn für einen Betrachter gibt es keinen Unterschied. Wer Millionen Dollar für ein NFT ausgibt, kann für sich in Anspruch nehmen, der alleinige Besitzer dieses Bildes zu sein, aber das ist bloße Attitüde. Ich halte es für fraglich, ob sich für eine solche leere Exklusivität auch künftig so absurd hohe Preise erzielen lassen wie für „Everydays: The First 5000 Days“. Zumindest werden die Ansprüche an die künstlerische Qualität steigen, nachdem der Hype abgeklungen ist.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Der Wunsch nach dem Ewigen Leben. Dass ein digitales Bild beliebig identisch reproduzierbar ist gilt natürlich nur in der Welt der Zahlen. Tatsächlich ist es so, dass es wegen der beinahe unendlichen Vielfalt der unterschiedlichen Farben jedes Wiedergabegeräts, egal ob Monitor, Handy, Tablet oder verschiedener Drucke, weltweit kaum 2 wirklich identische Bilder gibt. Die Identität besteht nur in den gespeicherten Zahlen, doch die kann kein Menschen sehen, diese müssen erst interpretiert werden.
    Dass ein seltenes oder gar nur einmalig vorhandenes Objekt nur deshalb für offensichtlich viele Menschen wertvoll ist, verwundert mich immer. Doch hat sich ja die Ansicht etabliert, dass etwas ein Kunstwerk ist, wenn es von einigen vorgeblich wichtigen Leuten als solches erklärt wird.
    Die im Blog gezeigte Collage finde ich persönlich nicht als Fleckerlteppich dekorativ, doch wenn jemand dafür eine Menge Geld zahlt, freut sich der Verkäufer. Von irgend etwas muss man ja leben.

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