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Digitale Auferstehung der Antike

Digitale Auferstehung der Antike? Die Idee, archäologische Stätten digital zu rekonstruieren und so zu einer visuellen „Auferstehung der Antike“ beizutragen, ist eigentlich zu begrüßen. Dank 3D-Technik werden so jahrtausendealte Gebäude und Ortschaften wieder zum Leben erweckt. Leider hat Doc Baumann an dem gut bebilderten Buch jedoch einiges auszusetzen.

Digitale Auferstehung der Antike
Digitale Auferstehung der Antike: 3D-Rekonstruktion der Stadt Rom im Jahr 445 n. Chr.

Wie mag es hier wohl damals ausgesehen haben – zu jener Zeit, als Tausende Menschen zwischen den Gebäuden ihren täglichen Verrichtungen nachgingen? Diese Frage stellen sich Tourist/innen immer wieder, wenn sie durch ausgegrabene Orte schlendern. Von deren Häusern und Tempeln sind oft nicht mehr als ein paar Grundmauern und herumliegende Säulen übrig geblieben. Um zu erahnen, welcher Anblick sich vor Jahrtausenden an solchen Stätten bot, fehlt den meisten von uns vielleicht nicht die Phantasie, wohl aber das Hintergrundwissen.

 

Digitale Auferstehung der Antike: Ein Buch, das viel verspricht

Dank 3D-Software verfügen Archäologen inzwischen über Werkzeuge, mit denen sich das Aussehen nahezu verschwundener Städte überzeugend rekonstruieren lässt. Dazu sind sie nicht auf das beschränkt, was sie aus dem Boden holen oder zumindest dort entdecken – ergänzend hinzu kommen vergleichbare Objekte an anderen Stellen, historische Beschreibungen, bildliche Darstellungen und so weiter. Zwar spielt schöpferische Phantasie letztlich ebenso eine Rolle, jedoch weit weniger als in Filmen oder Computerspielen (die dafür hinsichtlich der von ihnen ausgelösten Faszination, ungeachtet ihrer Ungenauigkeiten oder gar Verfälschungen, mitunter die Nase vorn haben dürften.) Solche Visualisierungen können der Popularisierung der Ausgrabungsergebnisse dienen, aber auch der Verdeutlichung von Zusammenhängen für wissenschaftliche Zwecke.

Das Buch Auferstehung der Antike zeigt solche Umsetzungen an 24 eindrucksvollen Beispielen. Wird etwa eine antike Stadt wie Rom am Rechner nachgebaut, so verteilen die Wissenschaftler und Grafiker die Gebäude nicht nach Lust und Laune über die verfügbare Fläche, sondern recherchieren so genau wie möglich, wie es damals tatsächlich war.

Schließlich standen all diese Häuser nicht zufällig verteilt in der Gegend herum, wie das etwa bei den vielen Römern der Fall gewesen ist, die auf dem Forum Romanum der Ansprache eines Redners lauschten. (Ich wähle dieses Beispiel, weil es ein solches Bild im Buch gibt; leider ein Höhepunkt der Einfallslosigkeit: Auffällig sind die zahllosen Römer allesamt Doubletten von nur drei Figuren.)

Eine wichtige Rolle spielt übrigens die Erfassung von Gelände und Innenräumen mittels Laserscan, was eine sehr exakte Datengrundlage für darauf aufbauende Rekonstruktionen liefert.

Digitale Auferstehung der Antike
Digitale Auferstehung der Antike: 3D-Rekonstruktion der Stadt Uruk (modern Wara/Irak)

 

Schöne Bilder – unschöne Texte

Leider halten die Texte des Bandes jedoch nicht, was die Bilder beim ersten Durchblättern versprechen. Bei vielen der Autor/innen hat man als Leser den Eindruck, dass sie im Schreiben recht ungeübt und nicht in der Lage sind, einen Text klar zu strukturieren.

Hinzu kommt, dass es sich um viele Einzelbeiträge unterschiedlicher Personen handelt, die jedoch in keiner Weise (so schlimm, dass unsere Politiker hier gewiss von „keinster“ Weise reden würden) sinnvoll aufeinander abgestimmt sind. Nun versteht man auch, warum im Buch kein Herausgeber angegeben wird – eine solch steuernde Zentrale fehlt dem Buch schmerzlich.

So schreibt jeder, was er für das eigene Projekt für relevant hält, mit dem Ergebnis, dass etliche Grundlagen überhaupt nicht erläutert werden, andere dafür mehrfach. Einige Autor/innen richten sich an Kollegen aus dem eigenen Fach, andere bemühen sich um eine eher populäre Darstellung. Unterm Strich befriedigt das weder die eine eine noch die andere Lesergruppe. Hinzu kommen zahlreiche Rechtschreibungs- und Grammatikfehler; von einem professionellem Lektorat kann daher bei diesem Buch ebenfalls keine Rede sein.

Der schönste Fehler begegnete mir auf Seite 105 bei der Beschreibung des Rom-Projekts: Dort erläutern die Autoren stolz, dass die Daten der 160 detailgenauen Gebäude und 46000 Insuli (Mietshäuser) einen Speicherverbrauch von „1 Terrabyte“ hätten. Nun mögen Archäologen ihrer tiefschürfenden Arbeit im Gelände wegen ja sehr erdverbunden sein – der Terminus heißt allerdings richtig „Terabyte“ (vom griechischen „teras“, das ursprünglich keine Maßeinheit angab, sondern für „Ungeheuer“ stand und einer Billion entspricht, und nicht vom lateinischen „terra“ = Erde).

Nun zeigt zwar ein Blick auf Googles Suchergebnisse, dass sich von den 5,7 Millionen Treffern für „Terabyte“ mehr als ein Siebtel auf die falsche „Terrabyte“-Schreibweise bezieht. Die Autoren sind also nicht allein mit ihrem Irrtum. Allerdings hat man bei einem Buch, das im Verlag der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen ist, doch höhere Erwartungen.

Digitale Auferstehung der Antike
Digitale Auferstehung der Antike: Visualisierung der antiken Metropole Pergamon um 100 n.Chr.

 

Auferstehung der Antike. Archäologische Stätten digital rekonstruiert. Großformat, 132 Seiten, über 100 Abbildungen. Buchfassung bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft für 40 Euro, Zeitschriftenfassung als Sonderheft von Antike Welt für 15 Euro.

Weitere Informationen finden Sie auf der Webseite der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft sowie auf der Webseite der Zeitschrift Antike Welt, wo derselbe Inhalt als Sonderheft publiziert wird.

Auferstehung der Antike: Titel der Buchausgabe der WBG
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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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Kommentar

  1. Prinzipiell finde ich es immer schade, dass solche Projekte mit enormem Potential der Öffentlichkeit nur als Häppchen angeboten werden – eben als Buch, „vorsintflutlich“ gedruckt und vielleicht mit fraglichen Texten. Vielmehr wäre es doch angebracht, solche 3D-Modell-Systeme wirklich auch als 3D-Systeme anzubieten, in denen der User den Standpunkt frei wählen und zB. Überflüge machen kann.

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