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Award-Nachlese: „Überwachung“ von Jörg Eberhardt

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DOCMA-Award-Einreichung von Jörg Eberhardt „Surveillance“

Nicht nur Teilnehmer/innen des DOCMA-Awards sind enttäuscht, wenn die Jury ihre Werke nicht auf die prestigeträchtigen ersten Plätze gewählt hat – auch Juroren kennen dieses Gefühl, wenn ein von ihnen geschätztes Bild nicht in die nächste Runde kommt. Deshalb zeigen wir nicht nur in den kommenden DOCMA-Ausgaben weitere Einsendungen, die es nicht bis ganz oben geschafft haben, sondern auch hier im Blog die Bilder, die einzelnen Jury-Mitgliedern besonders gut gefallen haben.

Über Jörg Eberhardt, den Fotografen dieses Bildes, weiß ich nicht mehr, als in seinen Anmeldedaten steht: Ingenieur, 49, aus Hamburg. Und natürlich kenne ich das von ihm eingereichte Foto (übrigens das Einzige, das er zum Award geschickt hat). Doch, ich weiß noch etwas: Das Bild hat er mit Lightroom nachbearbeitet. Das schließt weitgehend aus, dass es sich dabei um eine Montage handelt.

Vielleicht fragen Sie sich, was an diesem Foto überhaupt montiert sein könnte, und wenn das der Fall wäre, zu welchem Zweck? Dazu unten mehr. Neben der Graustufenumwandlung, so nehme ich an, wurde Lightroom wohl vor allem zur Erzeugung der blickführenden Vignette eingesetzt, welche die Aufmerksamkeit der Betrachter auf die beiden zentralen Elemente des Bildes lenkt: Den Fotografen links unten und die beiden Überwachungskameras oben in der Mitte.

Die rechte dieser Kameras und der Mast, auf dem sie montiert ist, steht genau in der Bildmitte. Der Fotograf selbst ist im Zentrum des linken unteren Quadranten platziert, der Stamm rechts markiert das rechte vertikale Viertel, während das obere Ende des kürzeren Stamms in der vertikalen Bildmitte liegt. Wir haben es also mit einem klaren, fast strengen Bildaufbau ohne überflüssige Schnörkel zu tun. (Jedenfalls fast – auf ein meiner Meinung nach verzichtbares Element werde ich bei meinen kritischen Anmerkungen zum Foto zurückkommen.)

Die Bildaussage trifft die Thematik des diesjährigen Wettbewerbs sehr gut: „Leben vor der Kamera“. Die Hälfte dieser Aussage bleibt allerdings rätselhaft: Was fotografiert der Fotograf da gerade? Genauer: Was hat er fotografiert oder will er gleich fotografieren? Er schaut ja nicht in die Richtung, in die sein Objektiv zielt. Fühlt er sich ertappt und schaut zu jemanden hinüber, der ihn selbst beobachtet? Ist dieser Beobachter vielleicht das fotografierte Objekt und will ihn der Fotograf dadurch in Sicherheit wiegen, dass er die Kamera schnell in eine andere Richtung dreht? Wir wissen es nicht.

Was wir allerdings sehen, ist, dass der Fotograf seinerseits Objekt einer Bildaufnahme wird. Gleich zwei Überwachungskameras sind von oben auf ihn gerichtet. Über die Tatsache hinaus, dass das Bild die visuelle Überwachung des fotografischen Überwachers dokumentiert, sind es vor allem diese beiden Kameras, die meine Vorliebe für dieses Bild begründen. Wäre es eine Montage, würde die Idee für die Ausrichtung dieser Überwachungskameras vom Bildbearbeiter stammen.

Da er aber wahrscheinlich lediglich eine existierende Situation abgelichtet hat, ist davon auszugehen, dass die Kameras tatsächlich in dieser absurden Position montiert wurden. Von gelegentlichen Anfragen polizeilicher Bildforensiker weiß ich, dass das Hauptproblem der Strafverfolgungsbehörden nicht ge- oder verfälschte Fotos sind, sondern kaum erkennbare Aufnahmen etwa von Überwachungskameras in Bankfilialen, auf denen das Gesicht eines Räubers oder Automatenmanipulators schwer zu erkennen ist. Oft liegt das an den Beleuchtungsbedingungen – oft aber auch am zu steilen Aufnahmewinkel. Bei einem Winkel wie dem in unserem Foto könnte man hinterher gerade noch feststellen, ob der abgebildete Mensch eine Glatze hatte oder nicht. Vielleicht auch noch, ob er sich in selbstmörderischer Absicht ins Wasser gestürzt hat. Zur Identfizierung des Überwachten dagegen tragen diese Kameras kaum etwas bei.

Ich weiß nicht einmal, ob unser Einsender Jörg Eberhardt auf dieses Detail geachtet und es gezielt für sein Foto verwendet hat. Aber für mich steht dieser Aspekt im Vordergrund, wenn ich meine Wertschätzung des Bildes ausdrücke – mehr noch als die Überwachung des (angenommenen) Überwachers selbst.

Meine kritischen Anmerkungen zu diesem Bild betreffen nicht das Foto selbst: Zum einen fand ich es während der Jury-Sitzung befremdlich, dass ein so großer Teil der Einsendungen englische Titel trug. Ich halte nichts von Deutschtümelei und denke, dass angelsächsische Elemente unsere Sprache durchaus bereichern – albernes „Denglisch“ mal ausgenommen. Aber warum sollte man bei einem Wettbewerb mit vorwiegend zentraleuropäischem Charakter seine Werte englisch betiteln? Ich wette, ein nicht unerheblicher Anteil unserer Leser oder Aussstellungsbesucher kann mit dem Originaltitel „Surveillance“ nichts anfangen (weswegen ich ihn in der Überschrift eingedeutscht habe).

Zum anderen ließe sich das Bild aus meiner Sicht verbessern, wenn man sich nicht mit dem zufrieden gäbe, was nun mal im Augenblick der Aufnahme gerade vorhanden war, sondern zur Unterstützung der Bildaussage stärker eingriffe. Das ist selbstverständlich eine Frage des eigenen Konzepts (vergleiche dazu meinen Blog-Beitrag vor sechs Wochen „Bloß nicht ins Originalfoto eingreifen!“). Der rechte Stamm bildet zwar ein visuelles Gegengewicht zum Fotografen, was dem Bildaufbau zugute kommt – er lenkt aber auch von der Bildaussage ab. Die Granitumfassung des Basaltsteinpflasters rechts wäre aus meiner Sicht als Gegengewicht ausreichend. In der Hoffnung, dem Bildurheber damit nicht zu nahe zu treten, habe ich mir erlaubt, diese Variante unten mit einem schnellen »Inhaltsbasiert füllen« zu demonstrieren (wobei der Schlagschatten des Stammes natürlich ebenfalls entfernt werden musste). Ich finde, das Spannungsverhältnis zwischen Fotografen und Überwachungskameras wird so noch deutlicher. Aber, wie gesagt, auch dies ist keine Kritik des Bildes selbst, sondern eine Ergänzung, die meine lediglich persönliche Sichtweise wiedergibt.

34 Ueberwachung#2
Das ”Surveillenace“-Foto nach Retusche des Stammes rechts (Doc Baumann)

Nachtrag: Während ich diesen Text schreibe, geht in meinem Mail-Programm gerade eine Nachricht von Lidl zu neuen Produkten ein. Besonders beeindruckt mich dabei der Kinder-Hochdruckreiniger von Kärcher. Da ich selbst keine Kinder habe, weiß ich nicht, wie schmutzig die sich heutzutage beim Spielen machen – in meiner Kindheit jedenfalls reichte ein bisschen Wasser und Seife, um den Dreck runterzukriegen.

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Lidl-Werbung vom 13.9.2015
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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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2 Kommentare

  1. Möglicherweise hatte der Autor gar nicht das englische, sondern das französische „Surveillance“ im Sinne, als er seinem Bild einen Titel gab. Vielleicht war er gerade in Frankreich, als er das fotografiert hat?
    Das wäre dann doch recht „zentraleuropäisch“ ;-).
    Ein in meinen Augen sehr feines Foto, das durch die Veränderung noch ein wenig besser wird.

    Herzlichen Gruß
    Wolfgang Uhlig

  2. Hallo Herr Eberhardt,

    natürlich haben Sie Recht: Das Bild wird ohne den Pfahl rechts deutlich spannender – also das finde ich auch. Die Frage, die sich mir aber stellt: Geht es um Bilder, wie sie das Leben ermöglicht, oder um Bildbearbeitungen?
    Geht es um Bildbearbeitung, hat das oben gezeigte Bild zu Recht „verloren“. Geht es um das Foto, hätte der Fotograf wissen können, dass er mit so einer Aufnahme keine Chance hat, denn Wettbewerb in der Bildbranche ist wie Würfeln: Meist fällt nicht die Zahl, die man sich wünscht. Ansonsten hatte man Glück. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

    MfG – Frank

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