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Panoramafreiheit

Panoramafreiheit
Panoramafreiheit – Holt euch eure Stadt zurück! / Foto: Herbert Becke 2017

 

Heute überlässt Doc Baumann diesen Blog einem langjährigen DOCMA-Leser, dem Fotografen Herbert Becke aus München (auch als „der Becke“ bekannt). Der hatte nämlich in München gerade ein interessantes Foto-Erlebnis, bei dem unsere „Freunde und Helfer“ uneingeschränkt als solche auftraten und ihm zu seinem Recht gegenüber einem internationalen Luxus-Konzern verhalfen.

 

»Es war mal wieder an der Zeit für eine Foto-Tour in Münchens Innenstadt. 
Als erstes hatte ich eine Fotoaktion mit dem neuen „Biss“- Verkäufer im Untergeschoß des Sendlinger-Tor-Platzes vereinbart.

Als Kontrastprogramm nahm ich mir dann anschließend die Maximilianstraße vor – Münchens teuerste Einkaufstraße. Es war für mich keine Überraschung, dass der völlig vermummte „schwarze Block“ mit Komplettverschleierung, meist aus den umliegenden Nobelhotels, keinen Polizeieinsatz wie in Hamburg auslöste. 
Dafür aber mein Versuch, das geschäftige Treiben dort abzulichten. Mein Recht auf Fotografieren auf öffentlichem Grund musste ich mir erst durch die Polizei „erkämpfen“.

Kaum hatte ich durch den Sucher geschaut, kam ein Security-Mitarbeiter eines Ladens, den man/frau genauso in Paris, London oder New-York findet, wie von den Tarantel gestochen aus dem Verkaufsraum auf mich zu gestürzt und erklärte mir mit seinem ganzen Körpereinsatz, dass „Cartier“ es nicht akzeptiert, hier Fotos zu machen. Mein Versuch, ihm die „Panoramafreiheit“ nahezubringen, und dass der Bürgersteig der Münchner Maximilianstraße immer noch zum deutschen Staatsgebiet gehört – demnach hier also deutsches Recht gilt – hatte zur Folge, dass ein weiterer Security-Mitarbeiter hinzukam. 
Da ich nun ein sehr friedfertiger Mensch bin, insbesondere bei der Einschätzung meiner beiden Gegenüber, blieb mir nichts anders übrig, als den „Notruf 110“ abzusetzen.

Realsatire waren in der Zwischenzeit vereinzelte Reaktionen der Passanten beim Anblick eines Fotografen mit Kamera auf dem Stativ und dabei flankierendem „Sicherheitspersonal“. „Ist da ein ganz Prominenter in dem Geschäft?“ war eine der Fragen. Ich klärte dann genau so satirisch auf, dass es sich um den Herrn (Dr. a.D.) Karl-Theodor zu Guttenberg handelt, der sei gerade auf Wahlkampftour durch seinen Wahlkreis. Das bewog aber niemanden, stehen zu bleiben und auf ihn zu warten. Wir hingegen warteten etwa 40 Minuten auf die polizeilichen Schlichter.

Eine nette Polizistin kümmerte sich nach dem Eintreffen um mich und mein Anliegen, der männliche Kollege um das „Sicherheitspersonal von Cartier“. Nach kurzem hin- und her war klar: Ich darf hier auf öffentlichem Bürgersteig fotografieren, wenn ich nicht das Persönlichkeitsrecht der Passanten oder des Personals verletze. Mit Hinweis auf meinen Kontostand versicherte ich der Polizeistreife auch glaubhaft, nicht die Absicht zu haben, in das Geschäft „einzudringen“. Strittig blieb nur eine mögliche Veröffentlichung von Fotos, auf denen der Ladeneingang mit dem Firmenlogo und das Schaufenster abgelichtet ist.
 Das war für mich zweitrangig, das kann ich immer noch rechtlich genau prüfen lassen. Wichtig war, ich konnte ungehindert dank des „Polizei-Einsatzes“ (weiter)fotografieren.

Beim Warten auf die Polizei hatte ich genügend Zeit, mir einige Details um den Laden herum genauestens anzusehen. So entstand dieses Foto mit einem Aufkleber auf dem Verkehrszeichen unmittelbar am Straßenrand mit dem Hinweis „ … holt euch eure Stadt zurück“, passend zu dieser Geschichte. Übrigens, keine Montage!«

 

Herbert Becke ist seit 40 Jahren Fotograf. Er ist Fotodozent, Initiator und Leiter des Projektes „FotoART München“ (ein ambitioniertes Programm von jährlich über 160 Seminaren und Workshops für Fotografen), und war lange leitend im Volkshochschulbereich tätig. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes und des Tassilopreises der Süddeutschen Zeitung ist unter anderem Initiator und langjähriger Organisator der  Münchner Fototage.

 


Panoramafreiheit? Ja, wo sind wir denn hier?


Was soll man nun zu dieser Geschichte sagen? Wer hätte das gedacht, dass sich die Polizei ausgerechnet in Bayern für die Interessen eines Bürgers gegen einen Luxus-Konzern mit 11 Milliarden Umsatz einspannen lässt? Dabei ist doch unser bayerischer Verkehrsminister Dobrindt eigentlich das leuchtende Beispiel dafür, wie man mit der Wirtschaft umspringt. Hat er nicht gerade beim Diesel-Gipfel den Autobauern mal so richtig gezeigt, dass … sie von ihm nichts zu befürchten haben? Dass Gewinne und Arbeitsplätze immer wichtiger sind als die Einhaltung von Gesetzen und die Gesundheit der Menschen? Gibt er sich nicht alle Mühe, dass die Milliarden-Forderungen an den Maut-Betreiber Toll Collect (Daimler und Telekom) nicht eingetrieben werden? Er hat uns Gigaliner und Fernbusse auf den kaum ausgelasteten Autobahnen geschenkt, die allseits beliebte Pkw-Maut mit durchgesetzt (die Merkel vor der letzten Wahl definitiv ausgeschlossen hatte), und so weiter und so fort.

Da ist ja nun wirklich wünschenswert transparent, dass hier der Amtseid (Schaden von der deutschen Wirtschaft zu wenden, oder wie das heißt) nachgerade übererfüllt wurde. Und in einem solchen Bundesland ist es möglich, dass sich Security-Mitarbeiter von Cartier von Landesbediensteten belehren lassen müssen, Gesetze gälten auch für Konzerne und ein Fotograf könne einfach von der Panoramafreiheit Gebrauch machen? Ja, wo sind wir denn hier?!

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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7 Kommentare

  1. Hallo Herr Becke,

    sehr netter Beitrag, da ich es genau anders herum erlebte. Ich war im Auftrag besagter Firma vor Ort und als ich mich mit Stativ auf der Straße befand kamen zwei Polizisten auf mich zu, um mich vom fotografieren abzuhalten, da dies nicht erlaubt sei. Als ich gerade mit der Panoramafreiheit anfangen wollte kam das Sicherheitspersonal und klärte die Polizisten auf, dass alles in Ordnung sei 🙂

    Viele Grüße

  2. An sheepy
    Dann ist ja alles klar, da wollte wohl die Firma, die einen Fotografen beauftragt hat, einen unerwünschten Konkurrenten, nämlich „den Becke“, los werden.
    Ich finde es immer wieder so naiv und unwissend, wenn „Streetfotografen“, die im vorigen Jahrhundert so tolle Fotos von Städten und natürlich mit sehr vielen Menschen, vom Kleinkind bis zum Greis, gefeierten werden, weil sie so viele, tolle Fotos gemacht haben.
    Wenn man heute mit einer Kamera durch die Städte geht und fotografiert kann man froh sein, mit heiler Haut und mit Ausrüstung wieder daheim anzukommen. Und an eine Veröffentlichung kann man ja gar nicht denken, denn wie kann man sich von vielen Leuten, die auf vielen Fotos prominent im Bild sind, die Zustimmung holen?

  3. @sunrisemoon

    Tja, das ist die Überlegung. Am Besten hat man immer einen Block dabei und holt sich von Jedem der Hunderte von Spaziergängern, eine Unterschrift.

    Scherz beiseite, ich gehe davon das Bilder in der Art von Streetphotographen wie Cartier-Bresson oder Friedlander in Deutschland nicht mehr möglich sind.
    Früher hat man als Fotograf ein ruhiges Leben geführt, wollte man ein Bild machen – tat man es.

    Die Zeiten sind offensichtlich vorbei…

  4. Ich bring da immer was durcheinander, obwohl oft damit konfrontiert: betrifft die Regelung der Panoramafreiheit nicht nur urheberrechtlich geschützte Gebäude, sondern auch das Erscheinungsbild eines Ladenlokales, in diesem Falle Cartier? Und heisst es nicht „ohne techn. Hilfsmittel“, also auch ohne Stativ??

    Info wäre klasse, ich kapiers echt nicht mehr…

    1. Stativ ist nur dann ein Hilfsmittel, wenn man damit höher als aus Augenhöhe fotografiert. Man darf nur das fotografieren, was man von der Straße aus sehen kann. Und eben auch nur auf Augenhöhe. Sobald man z.B. in einen Hof geht um eine bessere Übersicht zu haben – verboten. Auf eine Leiter steigen – verboten.

      Deswegen gab es damals auch eine Diskussion mit Google Street View, weil die Kamera im Kamerawagen höher als zwei Meter war.

      „Erscheinungsbild“: Da habe ich auch eine Frage: An Kunstgewerbeläden ist oft an der Scheibe eine durchgestrichene Kamera. Darf man trotzdem fotografieren (man steht ja auf öffentlichem Raum)?

  5. Ich wette das der Ladenbesitzer Kameras zur Sicherheit am Laden angebracht hat und damit permanent Bürger beobachten kann. Aber das ist ja dann erlaubt.
    Immer öfters frage ich mich in was für einer verkorksten Welt wir leben, für alles brauchen wir eine Erlaubnis und Genehmigungen, und haben wir das nicht begehen wir eine Straftat.
    Ist dann ja mal ein kleines Erfolgserlebnis wenn dann doch noch das Recht siegte und Herr Becke fotografieren konnte.

  6. Hmm, ich habe da irgendwie ein Deja-Vu, allerdings ohne Polizeieinsatz. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich ein Paar Langzeitbelichtungen vom INI (International Neuroscience Institute) in Hannover, von der Strasse aus gemacht. Nach einer weile kam ein Mitarbeiter aus dem Gebäude heraus und fragte mich was ich dort mache und forderte mich auf meine Fotos zu zeigen, was ich auch machte. Dann kam der etwas absurde Teil. Nachdem ich ihm erklärte, dass ich auf öffentlichem Grund stehe und demzufolge gemäß der Panoramafreiheit das Recht hätte Fotos von besagtem Gebäude zu machen, erklärte er mir das Gegenteil. Nämlich, dass für dieses Gebäude – und für alle Krankenhäuser, und Häuser in denen eine Behandlung stattfindet, die Panoramafreiheit nicht gelten würde. Nachdem ich mich dieser ziemlich absurden Argumentation nicht anschließen wollte, hat er dann die Polizei gerufen. Zumindest tat er so. Angeblich hatte sein Handy kein Netz und darum kam es nicht zu dem Polizeieinsatz, allerdings gab er vor ein Gespräch zu führen. Das Ganze war schon sehr seltsam.

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