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Marmor

Ja, ich weiß, Marmor hat mit Bildbearbeitung und Photoshop nicht viel zu tun. Aber es geht auf Weihnachten zu, und da ist man mitunter auf der Suche nach schönen Geschenken für Menschen, die sich für Schönes interessieren. Und Marmor passt da auf jeden Fall gut.

Marmor

Beginnen wir mit einer Einschränkung: Nicht nur der Titel „The Aesthetics of Marble – from the Late Antiquity to the Present“ ist englisch, sondern das ganze Buch. Damit fällt der Eine oder die Andere als mögliche Beschenkte leider weg. Eigentlich schade, zumal der Band beim deutschen Hirmer Verlag erscheint. Vielleicht liegt’s daran, dass das eine Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut in Florenz ist, vielleicht auch daran, dass sich allein im deutschsprachigen Bereich für ein so spezielles Thema nicht genug Interessenten fänden.

Marmor
Detailaufnahmen aus dem Pantheon, Rom. 118-128

Der großformatige, umfangreiche und opulent bebilderte Band behandelt – wie bereits der Untertitel ankündigt – zahlreiche Aspekte, die einen an Marmor wichtig sein könnten. Hier ein kurzer Überflug durch den Inhalt:

Marble, Material and Image / Churches and Mosques: Aesthetics and Transfer of Marble in Early Islam / Sacred Marbles and Holy Spots in Rome – Style and the Aesthetics of Surface in Architecture from Alberti to Michelangelo / Painting on Marble / The Elaboration of a Symblic Use of Marble in the Ancien Régime / Attending to Marble in Eighteenth-Century Britain / From Wood to Marble – Altarpieces in South America in the Nineteenth Century / The Discourse of Marble in the Spanish Caribbean / Marble in the Architecture of Adolf Loss / Marble after Modernism / Marble in Auguste Rodin’s Oeuvre / Marble’s Material Culture in the 20. and 21. Century / Filming Marble’s Architectural Anticipations / Articulate Stones in the Digital Age / Marble for Iconophiles and Iconophobes. Schade nur, dass das Buch erst mit der Spätantike einsetzt.

Nicht jeden wird das alles interessieren. Mich haben (neben dem Aufsatz über die römische Kapelle Santa Sanctorum, was nun in der Tat sehr individuellen Vorlieben entspringt) vor allem zwei Beiträge begeistert:

„Painting on Marble – Reflections on the Meaning of Stone Supports“ behandelt zum einen die (früh-neuzeitliche) Praxis des Malens auf polierten Steinscheiben, seien es schwarze (vor allem für Nachtszenen, wobei dann die Steinoberfläche für die Dunkelheit stand und nicht übermalt wurde), seien es Platten mit „wolkigen“ Strukturen, die direkt ins Bild übernommen und integriert wurden; zum anderen geht es um die Interpretationen von sogenanntem Ruinen- oder Landschaftsmarmor, die ihren Namen daher führen, weil sie – unbearbeitet – tatsächlich verblüffend an Bilder von Landschaften mit Bergen, Felsen und Wolken erinnern, selbst ganzen Stadtlandschaften mit Hochhäusern ähneln. Mitunter meint man sogar, Menschen und Gesichter zu erkennen.

Marmor
Der Jesuiten-Gelehrte Athanasius Kircher vereindeutigte natürliche Steinstrukturen, die an Gebäude und Wolken erinnern (links) zu Häusern und Türmen samt Fenstern und Bäumen im Hintergrund (rechts)

Weil man damals noch nicht wusste, wie solche Steine entstehen, blieb nur die Interpretation, hier habe sich Gott oder die Natur geäußert und solche Bilder zur Verblüffung der Menschen erschaffen, die sie irgendwann entdecken würden (wobei zu bedenken ist, dass das ja die Schnittflächen an beliebiger Stelle durchtrennter Steine sind). Da das Alter der Welt damals auf rund 6000 Jahre geschätzt wurde, lag die Entstehungszeit dieser ungewöhnlichen Bildbotschaften noch nicht allzu lange zurück.

Der andere Beitrag „Articulate Stones in the Digital Age“ behandelt die außerordentlich spannende Arbeit der „Factum Foundation“, die mit digitaler Technik alte Kunstwerke für Museumszwecke detailgetreu reproduziert. (Es lohnt sich, weitere Projekte der Foundation unter https://www.factumfoundation.org/ anzuschauen und den Newsletter zu abonnieren!) Hier geht es selbstverständlich um Marmorobjekte – also immerhin doch noch ein Bestandteil des Buches, der irgendwie mit digitaler Bildbearbeitung zu tun hat.

Als Anregung für Marmoroberflächen in eigenen Montagen dagegen eignet sich dieser Band weniger, und das nicht nur aus Urheberrechtsgründen. Die werden hier meist in zu kleinem Format gezeigt (zum Glück habe ich in meiner privaten Bilddatenbank fast 500 Aufnahmen von Marmorflächen.) Wenn Sie so etwas suchen, wäre (eigentlich) der Bildband „Marmor – Vorkommen, Bestimmung, Verarbeitung“ von Jacques Dubarry de Lassalle besser geeignet. Der ist 2002 erschienen, inzwischen aber leider vergriffen und sogar im Antiquariat kaum noch erhältlich, und wenn, dann zu Phantasiepreisen.

Marmor
Verkleidung des Herkules-Raums in Versailles von Tarlé, 1724/34

Sicherlich ist „The Aesthitics of Marble“ kein Band für jedermann (wie lautet eigentlich die „gendergerechte“ Version davon – jede*frau? Besser grammatisch falsch: für alle Lesenden, noch besser, grammatisch korrekt: alle). Aber wer sich für das Thema Marmor begeistert, findet hier eine Zusammenstellung, die – wie gesagt, leider englisch – fast alle Aspekte umfassend behandelt.

The Aesthetics of Marble – from Late Antiquity to the Present; herausgegeben von Dario Gamboni, Gerhard Wolf und Jessica N. Richardson
Hirmer Verlag und Kunsthistorisches Institut in Florenz
2021, 432 Seiten, Großformat, gebunden, durchgehend farbig bebildert, 58,00 €
(alle Doppelseiten-Abbilungen oben aus dem Buch, © Hirmer Verlag)

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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