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Kunst in 3D

Kunst in 3D
Kunst in 3D: Titelseite des Katalogs „Almost Alive“, Hirmer Verlag

Wenn Menschen wie wir, aus dem Bereich der digitalen Bildbearbeitung, den Begriff 3D hören, denken wir sofort an entsprechende Software, höchstens noch an plastische Ausdrucke ihrer Konstruktionen. Eigentlich bedeutet 3D aber bloß, dass sich etwas in drei räumlichen Dimensionen erstreckt. Doc Baumann stellt Ihnen zwei Ausstellungskataloge vor, in denen es um verblüffende Kunst in 3D geht.

Wäre ich selbst nicht erst so spät auf diese beiden Ausstellungen aufmerksam geworden, hätte ich Ihnen gern rechtzeitiger davon berichtet. Doch so wurde die eine, bei der es um Kunst in 3D geht („In Stein gemeißelt“ Glyptothek München) leider schon am 30. September 2018 beendet, und die zweite („Almost Alive“, Kunsthalle Tübingen) schließt am 21.Oktober 2018 ihre Pforten.

Doch glücklicherweise gibt es zu beiden Ausstellungen Kataloge beziehungsweise Begleitbände, so dass Sie die Möglichkeit haben, sich die Werke in gedruckter Form anzuschauen. Bei deren Betrachtung natürlich unvermeidlich eine Dimension verlorengeht. Unsere merkwürdige Vertrautheit mit 3D hat dazu geführt, dass wie diese dritte Dimension oft gar nicht mehr vermissen, weil wir am Monitor ein konstruiertes Objekt – vom einfachen Kubus bis hin zur menschlichen Gestalt – ja von allen Seiten betrachten können. Im Prinzip sogar noch besser als ein tatsächlich räumliches Objekt, denn ab einer gewissen Größe wird es da schwierig, es mühelos auch mal von oben oder unten anzuschauen – in 3D-Software braucht man dazu nur eine knappe Mausbewegung.

Die flächige Repräsentation von Körperlichem ist natürlich nichts Neues und uns aus Malerei, Grafik und Fotografie bestens vertraut. Kunst in 3D, so wie wir (oder die vorige Generation jedenfalls) sie kennen, nennt man üblicherweise Skulptur oder Plastik. Darüber, wie sich die flächigen zu den räumlichen Künsten verhalten, über den sogenannten Wettstreit der Künste, hatte ich ausführlich in meiner Eröffnungsrede zum DOCMA Award 1017 im Frankfurter Museum für Kommunikation  gesprochen.

Ebenso, wie wir alles Mögliche dieser Welt als zweidimensionales Bild kennen, sind uns auch weit mehr Werke realer Kunst in 3D von Abbildungen her vertrauter als im räumlichen Original. Anfassen darf man die üblicherweise im Museum ja nicht, so dass der Aspekt des Haptischen auch da kaum zur Geltung kommt – aber man kann doch herumgehen, Veränderungen des Lichts auf der Oberfläche wahrnehmen. Zum Glück schaffen es gute Fotografen oft, dieses Erlebnis zumindest teilweise im Bild zu fixieren.


Kunst in 3D: Die Skulpturen vom Fabio Viale


Man kannte das aus der Pop Art, noch früher sogar etwa von Marcel Duchamps Ready-Mades: Ein solches „Objet trouvé“ ist ein Alltagsgegenstand, dem man plötzlich und unerwartet im Kunst-Kontext des Museums gegenübersteht. Bei Duchamp war das etwa ein Pissoir, bei Warhol Waschmittelkartons. Bei Pablo Viale scheint es ähnlich. Ich führte meine Frau hinters Licht, indem ich ihr kommentarlos zwei Abbildungsseiten des Katalogs zeigte: auf der einen waren zwei abgefahrene Autoreifen zu sehen, auf der anderen Obstkisten. Na und? Tolle Kunst!

Kann ich auch, ein paar olle Reifen ins Museum rollen. Schauen Sie sich die Dinger näher an: Selbst die feinsten Details mit Markennamen und Kennzeichnungsprägung an den Reifenseiten sind zu erkennen. Dazu jede Menge Kratzer und Abrieb an der Lauffläche. Nicht mal neue Reifen hat er genommen. Und irgendwann lesen Sie die Bildunterschrift: „Earth / 2017 / schwarzer Marmor / 190 × 130 × 140 cm. Marmor?! Dasselbe bei zwei ineinander verschlungenen Reifen (bei denen man sich schon eher fragt, wie das bei realen Reifen funktionieren soll), ein riesiger, aus „Papier“ gefalteter Segler, Obstkisten – alles Marmor!

Und selbst da, wo auch der Laie sieht, dass es sich um Kunst in 3D, sprich um „klassische“ Skulpturen handelt, ist nichts wie erwartet: Die Hand der Kolossalstatue Konstantins aus dem Hof der Kapitolinischen Museen in Rom scheint, der Oberflächenstruktur nach zu urteilen, ein Leichtgewicht aus Styropor zu sein, ebenso die Nike aus dem Louvre – aber auch hier ist das Material Marmor, diesmal weißer. Und die detailgetreuen Repliken des Laokoon oder der Venus Italica, die ja nun aus Marmor sein dürfen und müssen … sind großflächig tätowiert!


Kunst in 3D: Almost Alive


Waren es im Falle der Münchener Ausstellung Alltagsobjekte, die unerwartet im musealen Kontext auftauchten, so gab es in Tübingen richtige Skulpturen von Menschen zu sehen. Allerdings auch hier wieder nicht solche, wie man sie erwarten würde. Abbilder von Menschen, ja, durchaus – aber so poren-exakt und haar-genau wiedergegeben, dass die Betrachter an anderer Stelle als in einer Ausstellung wohl zunächst gezweifelt hätten, ob das ein realer Mensch ist oder seine künstlerische Wiedergabe.

Genau genommen hätte man nicht gezweifelt: Im einen Fall, weil die Plastiken so naturgetreu sind, dass sie von wirklichen Personen nicht unterscheidbar sind und man sie für ebendiese halten würde – im anderen, weil auch da die Detailtreue bis aufs Letzte ausgereizt ist, nur die Größe stimmt nicht. Ein Neugeborenes von Ron Mueck etwa, fünf Meter lang, ruft weniger Beschützerinstinkte hervor als dezentes Grauen.

Schon merkwürdig, solche Menschen-Bilder, Kunst in 3D, mit exakt wiedergegebener Haut und wirklichen Haaren, und natürlich naturfarben, nicht klassisch weiß, wie wir das von griechischen und römischen Statuen gewohnt sind. Obwohl … was sich unter nicht Kunsthistorikern als Wissen nur mühsam, wenn überhaupt durchsetzt: Auch diese klassischen Marmorskulpturen waren ursprünglich keineswegs schlicht weiß, sondern ebenso farbig – mitunter gar bunt – bemalt. „Fassung“ ist der Fachbegriff dafür, auch wenn manche/r angesichts dieser Tatsache dieselbe im alltagssprachlichen Gebrauch verlieren mag.

Ausgestellt und nun im Katalog zu sehen waren Werke von Zharko Basheski, Berlinde De Bruyckere, Maurizio Cattelan, Brian Booth Craig, John Davies, John DeAndrea, Keith Edmier, Carole A. Feuerman, Daniel Firman, Robert Gober, Robert Graham, Duane Hanson, Mathilde ter Heijne, Sam Jinks, Peter Land, Marie-Eve Levasseur, Tony Matelli, Juan Muñoz, Ron Mueck, Evan Penny, Patricia Piccinini, Jamie Salmon, Gregor Schneider, George Segal, Marc Sijan und Xavier Veilhan.


Zu beiden Ausstellungen gibt es, wie gesagt, empfehlenswerte Begleitbände, die neben Fotos der Exponate lesenswerte Textbeiträge enthalten:

„In Stein gemeißelt“, herausgegeben von Florian Knauß, 64 Seiten, gebunden, Großformat, erschienen in der Publikationsreihe der Glyptothek München. Erhältlich nur über den Museumsshop und nicht im Buchhandel. Preis 14,90 Euro.

Almost Alive: Hyperrealistische Skulptur in der Kunst“, herausgegeben von Otto Letze und Nicole Fritz, Hirmer Verlag, München, 144 Seiten, Broschur, 29,90 Euro.

Kunst in 3D
Kunst in 3D. Titelseite des Katalogs mit den Plastiken von Pablo Viale, Glyptothek München

 

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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