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Hauptsache breit – Anamorphoten

In der letzten Zeit stolpere ich immer wieder über das Thema Anamorphose – oder, genauer gesagt, Anamorphoten, also Objektive, die ein Breitwand-Bildfeld auf das Seitenverhältnis üblicher Bildsensoren stauchen. Was steckt hinter diesem Trend in der Fotografie?

Hauptsache breit – Anamorphoten
Kinofilme im Breitwandformat haben Seitenverhältnisse zwischen 2,4 zu 1 und 2,35 zu 1.

Das Prinzip der Anamorphose ist seit Jahrhunderten bekannt. Maler haben perspektivisch verzerrte Motive in ihren Bildern versteckt; das vermutlich bekannteste Beispiel ist der aus einem normalen Betrachtungsstandpunkt nicht erkennbare Totenkopf in Hans Holbein des Jüngeren Die Gesandten (1533). Hier geht es aber um etwas anderes, nämlich um das bei Kinofilmen beliebte Breitwandformat, bekannt vor allem unter dem Markennamen Cinemascope. Auf dem heimischen Fernseher mit 16:9-Bildschirm bleiben dann oben und unten schwarze Balken, denn im Kino sind extremere Seitenverhältnisse von 2,4 bis 2,35 zu 1 üblich.

Hauptsache breit – Anamorphoten
Anamorphoten: Ein anamorphotisches Objektiv (Anamorphot) besteht aus zylindrischen Linsengruppen (2 und 3) zur Stauchung des Bildfelds (1); dahinter befinden sich sphärische Linsen wie in einem gewöhnlichen Objektiv (4). (Quelle: Werneuchen)

Hollywood hat solche Formate seit den 50er Jahren genutzt. Um extrabreite Bilder auf gewöhnlichen 35-mm-Kinofilm zu bannen, hat man Anamorphoten verwendet – spezielle Objektive, in denen zylindrische Linsen die Bilder in der Horizontalen stauchen. Im Kino sorgt dann ein weiterer Anamorphot im Projektor dafür, dass die Filmbilder wieder auf die richtige Breite streckt werden. Heute, da Kinos vorwiegend digital projizieren, ist diese zweite optische Anamorphose unnötig – man streckt das Bild einfach digital. In jedem Fall zeigt sich eine Besonderheit anamorphotischer Aufnahmen: Während die Motive am Ende mit ihren tatsächlichen Proportionen abgebildet werden, werden alle Bildelemente, die erst im Objektiv entstehen, im projizierten Bild verzerrt. Das gilt insbesondere für Unschärfekreise rund um Spitzlichter im unscharfen Hintergrund, die in einer anamorphotischen Projektion zu Ovalen gestreckt erscheinen.

Woher rührt nun aber das Interesse von Fotografen an anamorphotischen Objektiven? Praktisch alle Digitalkameras bieten die Wahl zwischen verschiedenen Seitenverhältnissen wie 16;9, 3:2, 4:3, 5:4 und 1:1. Da die gängigen Sensoren Seitenverhältnisse von 3:2 oder 4:3 haben, bleibt normalerweise nur, das Sensorbild vertikal oder horizontal zu beschneiden, um Bilder in anderen Formaten zu speichern. Ein 2,35:1-Bild als Ausschnitt eines 3:2-Sensors würde auf mehr als ein Drittel der Sensorpixel verzichten und als Ausschnitt eines 4:3-Sensors auf fast die Hälfte. Ein anamorphotisches Objektiv wie das Sirui 50 mm f1.8, das für Sonys E-Mount, Fujis X-Mount sowie Micro-FourThirds erhältlich ist, streckt das Bildfeld horizontal um den Faktor 1,33, womit ein effektives Seitenverhältnis von 2:1 (Sony und Fuji) beziehungsweise 16:9 (MFT) abgebildet wird. Bei diesen Seitenverhältnissen werden alle Sensorpixel genutzt, und wenn man das echte Breitwandformat erreichen will, muss man zumindest auf weniger Sensorpixel verzichten.

Was aber tut man mit den so aufgenommenen Bildern, wenn man keinen Kinosaal zu deren Präsentation nutzen kann? Gängige Bildschirme müssten schwarze Balken zeigen. In den 50er Jahren war Cinemascope die Alternative zu den zunehmend unbeliebteren 3D-Filmen, für deren Betrachtung man eine Brille tragen musste, denn die extrabreite Leinwand bot ebenfalls ein immersives Erlebnis. Die meisten Monitore und Fernsehbildschirme sind jedoch zu klein und der übliche Betrachtungsabstand ist zu groß, als dass sich ein vergleichbarer Effekt einstellen würde. Die beste Option dürfte darin bestehen, die Bilder mit einem A2+-Drucker oder in noch größeren Formaten zu drucken. Mit hoher Auflösung als Wandbild präsentiert könnte ein anamorphotisch aufgenommenes Breitbild seine Wirkung entfalten.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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3 Kommentare

  1. Wieder ein exzellentes Beispiel dafür, auf welche Ideen man kommt, wenn die fotografischen Ideen ausbleiben.
    Will man als Fotograf ein extrem gestrecktes Bildformat, so kann man ja auf Panoramafotos zurückgreifen, ja, so etwas gibt es sogar. Und bei der Auflösung heutiger Sensoren kann man ja auch auf das gewünschte Format croppen. Ach so, bei den kleinen Sensoren beginnt ja das Problem der Weitwinkelverzerrung, das man bei Anamorphoten nicht hat, nur dass natürlich die Bildqualität beträchtlich leidet, denn man kann ja die Anzahl der horizontalen Pixel mit dieser Methode nicht verdoppeln. Im Leben kriegt man ja wirklich nichts geschenkt, was immer man tut, man muss dafür bezahlen.
    Wenn man so ein gestrecktes Format drucken möchte, so können viele Fotodrucker, manchmal sogar Laserdrucker, sogenannte Banner drucken.
    Überhaupt nicht beantwortet wurden die Probleme der Handynutzer, die im Hochformat alles,was ihnen vor die Linse kommen, abbilden. Gibt es für diese schon Monitore im Hochformat? Vor allem, zum Hochformatvideo ansehen?

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