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Elektronischer Verschluss: Keine halben Sachen?

In letzter Zeit erlauben es immer mehr Kameramodelle, den mechanischen Schlitzverschluss mit einem elektronischen ersten Verschlussvorhang zu ergänzen. Was bringt ein solcher „halber“ elektronischer Verschluss gegenüber einem rein mechanischen oder vollständig elektronischen Verschluss?

Ich muss da etwas weiter ausholen … Meine erste Spiegelreflexkamera hatte einen Gummituchverschluss, der mit seinen beiden Verschlussvorhängen – der Begriff „Vorhang“ erschien aufgrund des textilen Materials noch passend – eine kürzeste Belichtungszeit von 1/1000 Sekunde schaffte. Heutzutage liegt die Grenze bei 1/4000 oder 1/8000 Sekunde und die Verschlussvorhänge bestehen aus leichten, dabei aber hochfesten Metall-Lamellen. Um so kurze Zeiten zu erreichen, müssen sich die Verschlussvorhänge proportional schneller bewegen, dabei aber auch höher beschleunigen und stärker abbremsen.

Elektronischer Verschluss
Die Lamellen eines Schlitzverschlusses – hier der Verschluss einer Canon EOS 5D Mark II – müssen sich sehr schnell bewegen, um kurze Belichtungs- und Blitzsynchronzeiten zu ermöglichen. (Foto: Canon)

Verschlussgeschwindigkeit


Man macht sich nicht immer klar, dass diese hohe Geschwindigkeit bei jeder Aufnahme erreicht werden muss, ganz unabhängig von der Belichtungszeit. Die Verschlussvorhänge bewegen sich immer gleich schnell, egal ob es um 1/8000 oder 1/8 Sekunde geht. Der Unterschied besteht vielmehr darin, dass sich im einen Fall der zweite, schließende Verschlussvorhang schon 1/8000 Sekunde nach dem ersten, öffnenden Verschlussvorhang in Bewegung setzt, im anderen Fall aber erst 1/8 Sekunde später. Je länger die Belichtungszeit, desto breiter wird der Schlitz, der zwischen den beiden Vorhängen offen bleibt, und etwa ab der Blitzsynchronzeit gibt der Verschluss den Sensor für eine gewisse Zeit vollständig zur Belichtung frei.

Obwohl die Verschlusshersteller die bewegten Massen gering zu halten versuchen, bleibt die Bewegungsenergie hoch, denn diese hängt zwar von der Masse, aber vom Quadrat der Geschwindigkeit ab. Wenn der erste Verschlussvorhang seine Endposition erreicht, muss diese Energie umgewandelt werden – zum Teil in Schallenergie, weshalb der Verschluss in einer leisen Umgebung stört, zum anderen Teil in Vibrationen des gesamten Kameragehäuses. Im englischen Sprachraum wird dies bildhaft als „shutter shock“ bezeichnet. Diese Vibrationen erzeugen eine leichte Bewegungsunschärfe, die bei besonders hochauflösenden Kameras die erreichbare Bildschärfe erkennbar beeinträchtigt. Immer schnellere Schlitzverschlüsse und immer höhere Megapixelzahlen sind eine gefährliche Kombination.


Elektronischer Verschluss ohne bewegliche Teile


Einen Ausweg verspricht ein elektronischer Verschluss, der ohne bewegliche Teile auskommt. Der Begriff führt in die Irre, denn hier wird nichts verschlossen: So lange Photonen auf die Pixel des Sensors treffen, setzten sie dort mit ihrer Energie Elektronen frei, und dieser Prozess setzt sich unvermindert fort, auch wenn der elektronische „Verschluss“ geschlossen ist. Dessen Funktionsweise ist eine andere. Zum Beginn der Belichtung werden die Ladungsspeicher jedes Sensorpixels entleert; die gesammelten Elektronen werden abgeleitet und die Pixel damit auf Null gesetzt. Das ist der erste elektronische „Verschlussvorhang“. Zum Ende der Belichtung werden die bis dahin gespeicherten Ladungen jedes Pixels in eine Spannung umgewandelt und digitalisiert; das ist der zweite „Verschlussvorhang“.

Elektronischer Verschluss
Ein elektronischer Verschluss ist lautlos und daher die erste Wahl für Konzertfotos; gepulste Lichtquellen führen damit aber zu einem unschönen Streifenmuster. (Foto: Christoph Künne)

Ein solcher elektronischer Verschluss ist lautlos, erzeugt keine Vibrationen und erlaubt extrem kurze Belichtungszeiten von 1/16000 oder gar 1/32000 Sekunde. Er hat nur einen Nachteil: Er ist langsam. Zwar braucht auch der Schlitz eines mechanischen Schlitzverschlusses eine gewisse Zeit, um über den gesamten Sensor zu wandern, aber das zeilenweise Auslesen vieler Millionen Pixel dauert vielfach länger. Das Ergebnis sind Artefakte: Bewegte Motive erscheinen verzerrt, weil verschiedene Teile des Motivs zu unterschiedlichen Zeiten belichtet werden, und die als Lichtquelle immer verbreiteteren, gepulsten LEDs erzeugen hässliche Streifenmuster im Bild. Wenn die Bedingungen günstig sind, kann ein elektronischer Verschluss die ideale Lösung sein, aber ein vollständiger Ersatz für den Schlitzverschluss ist er noch nicht. Leider ist die Entwicklung von CMOS-Sensoren mit einem globalen elektronischen Verschluss, der alle Pixel gleichzeitig belichtet, noch nicht so weit gediehen, dass die Qualität solcher Sensoren den Anforderungen der Fotografen genügte. (Nebenbei bemerkt: Kompaktkameras mit CCDs und auch DSLRs wie die Nikon D70 hatten schon vor vielen Jahren einen globalen elektronischen Verschluss; das Problem besteht darin, diese Technik mit der CMOS-Technologie zu verbinden.)

Elektronischer Verschluss
Der Sensor der Fuji GFX 50s unterstützt eine Belichtung mit erstem elektronischen Verschlussvorhang – der schließende zweite Verschlussvorhang bleibt mechanisch. (Foto: Fujifilm)

Alternative: Schlitzverschluss mit elektronischem ersten Verschlussvorhang


In dieser Situation empfiehlt sich nun der Schlitzverschluss mit elektronischem ersten Verschlussvorhang als Alternative. Alle Probleme des elektronischen Verschlusses gehen ja auf den zweiten „Verschlussvorhang“ zurück – das Auslesen der Sensorpixel braucht Zeit. (Ein globaler elektronischer Verschluss löst das Problem so, dass die in jedem Pixel gespeicherten Elektronen auf einen Schlag in einen zweiten Ladungsspeicher des Pixels übertragen werden, aus dem sie sich dann in aller Ruhe auslesen lassen. Die doppelten Ladungsspeicher brauchen allerdings Platz, der in CMOS-Sensoren schwer zu finden ist.) Der erste elektronische „Verschlussvorhang“ ist dagegen höchst simpel: In jedem Ladungsspeicher wird der Stöpsel gezogen, so dass die Elektronen abfließen können. Die Kamera öffnet nun zunächst den mechanischen Schlitzverschluss und wartet, bis etwaige Vibrationen abgeklungen sind. Bei spiegellosen Systemkameras, bei denen der Schlitzverschluss normalerweise offen ist, wird er vor der Aufnahme einfach nicht geschlossen. Die Belichtung wird gestartet, indem die Sensorpixel Zeile für Zeile elektronisch zurückgesetzt werden. Der zweite Verschlussvorhang des Schlitzverschlusses folgt dem elektronischen ersten Vorhang, und erst wenn er den Strahlengang vollständig geschlossen hat, wird der Sensor ausgelesen.


Fazit


Was bringt das? Ohne einen mechanischen ersten Verschlussvorhang gibt es keine Vibrationen und keine Beeinträchtigung der Schärfe; der zweite Verschlussvorhang erschüttert das Kameragehäuse zwar nach wie vor, das aber erst, nachdem die Belichtung bereits beendet ist. Artefakte sind nicht zu erwarten, denn dieser hybride Verschluss ist ebenso schnell wie ein rein mechanischer Verschluss. Er ist allerdings nicht so viel leiser, und die kürzeste Belichtungszeit ist dieselbe, wie sie auch der Schlitzverschluss erlaubt. Insgesamt ist diese Lösung aber eine gute Wahl, weil man damit den vollen Nutzen aus der Auflösung von Sensor und Objektiv ziehen kann. Bis der globale elektronische Verschluss mechanische Verschlüsse endgültig überflüssig macht, sind Aufnahmen mit elektrischem ersten und mechanischem zweiten Verschlussvorhang keine halben Sachen, sondern der aktuell beste Kompromiss.

Michael J. Hußmann
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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Ich habe mich, da es für meine aktuellen DSLR-Kameras nicht aktuell war, noch nicht damit beschäftigt. Bei einer Hybridlösung ist mir unklar, wie die Belichtungszeit auf der gesamten Sensorfläche gleich bleiben soll. Denn ein mechanischer Verschluss benötigt einige Zeit, um die Fläche des Sensors zu überstreichen.
    Dass ein zeilenweises Auslesen auch Zeit kostet, ist ja bekannt. Ein gleichzeitiges Auslesen scheitert bisher und vermutlich noch einige Zeit am technischen Aufwand, wir wissen ja von Computern, dass die Busbreite ein extrem wichtiges Element der Geschwindigkeit ist. Bei einem Sensor sind es nicht 32, 64 oder 128 Bit, sondern ein paar zig Millionen Bits, die gleichzeitig übertragen werden müssen. Hat man da auf dem Sensor keinen Platz für einen Zwischenspeicher, muss unmittelbar vom Pixelspeicher ausgelesen werden, so in etwa ist eben der momentane Zustand.
    Was in dem Blog überhaupt nicht angesprochen wurde ist, für welche Kameratypen und welche Qualitäten dieser Verschlusstyp angedacht ist.

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