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Weißabgleich: Im Zweifel Tageslicht!

Welche Farben unsere Motive in einem Foto haben, hängt nicht nur von diesen selbst, sondern ebenso von der Beleuchtung ab, und die Aufgabe des Weißabgleichs ist es, den Einfluss des Lichts zu kompensieren. Was aber, wenn das Licht selbst das Motiv ist?

Die Wellenlängen des für uns sichtbaren Lichts liegen etwa zwischen 400 und 750 Nanometern, und was wir als Farbe bezeichnen, ergibt sich daraus, wie stark der Anteil einzelner Wellenlängen an dem Licht ist, das unsere Augen erreicht. Schon die üblichen Lichtquellen, also insbesondere die Sonne, Glühlampen, Leuchtstoffröhren und seit einigen Jahren immer öfter LED-Lampen, enthalten nicht alle Wellenlängen in gleichem Maße. Bei Leuchtstoffröhren fehlen manche Bereiche vollständig, und Glühlampen strahlen viel mehr langwelliges rotes als kurzwelliges blaues Licht ab. Das Sonnenlicht ändert seine spektrale Verteilung, je nachdem, wie viele Kilometer der dichteren Schichten der Erdatmosphäre es durchqueren muss, bis es auf die Netzhaut der Augen oder den Sensor einer Kamera trifft – diese Strecke ist am Morgen und Abend, wenn die Sonne niedrig steht, viel länger als Mittags bei ihrem höchsten Stand.

Die Farbwiedergabe von Aufnahmen soll unabhängig von den Lichtverhältnissen – hier das Sonnenlicht in der Mitte des Tages – angeglichen werden.

Je nach den Farben eines Motivs reflektiert dieses manche Wellenbereiche stärker, während es andere absorbiert, aber da es ja nur solche Wellenlängen reflektieren kann, die im Licht überhaupt enthalten sind, verändert sich seine Farbe mit einer wechselnden Beleuchtung. Dass uns das gewöhnlich nicht auffällt, bezeichnet man als Farbkonstanz: Unabhängig von der Beleuchtung scheinen uns die Dinge immer dieselbe Farbe zu haben, denn das Gehirn gleicht den Einfluss der Beleuchtung aus. Eine der seltenen Ausnahmen, in denen diese Korrektur versagt hat, wurde 2015 unter dem Namen The Dress viel diskutiert: Das in einem Foto abgebildete Kleid erschien den einen blau und schwarz, den anderen weiß und golden. Dieses verwirrende Phänomen entstand dadurch, dass unterschiedliche Betrachter unterschiedliche unbewusste Annahmen über die vorherrschende Beleuchtung trafen. (Tatsächlich, also unter einer neutralen Beleuchtung, war das Kleid übrigens blau und schwarz.)

Kunstlicht hat eine niedrigere Farbtemperatur als das Sonnenlicht, aber der automatische Weißabgleich kompensiert das.

Auch Digitalkameras müssen die Farbwiedergabe der Aufnahmen je nach der vermuteten Beleuchtungscharakteristik anpassen, und das ist die Aufgabe des Weißabgleichs. In der analogen Silberhalogenidfotografie geschah das erst, wenn die Negative vergrößert wurden; dazu wurde die Farbe das Lichts, mit dem das Negativ auf Fotopapier projiziert wird, mit Filtern angepasst. Bei Verwendung von Umkehrfilmen war das nicht möglich; man konnte nur je nach Aufnahmesituation zwischen Tages- und Kunstlichtfilmen wählen.

Hier gibt es allerdings ein Problem: Unser Gehirn registriert sowohl die Farbe des Lichts, das unsere Augen erreicht, als auch die mutmaßliche Objektfarbe. Wenn wir also ein weißes Blatt Papier im Glühlampenlicht sehen, nehmen wir gleichzeitig wahr, dass es orange wirkt, dass es sich aber gleichwohl um weißes Papier handelt. Der visuelle Kortex passt also nicht einfach die Signale der Rot-, Grün- und Blaurezeptoren der Netzhaut an die Beleuchtung an. Eine Digitalkamera ist zu einer so komplexen Analyse nicht fähig; sie muss ein Bild abliefern und sich daher für eine Farbwiedergabe entscheiden. Wenn man bei Kerzenschein zusammen saß und später ein Foto in vermeintlich klinisch weißem Licht sieht, erscheint es unstimmig – man hatte die Szene ganz anders in Erinnerung. Die Kamerahersteller ziehen sich durchweg so aus der Affäre, dass der automatische Weißabgleich extreme Farbstiche nicht vollständig kompensiert. Teilweise überlassen sie es auch dem Fotografen, sich zwischen einer vollständigen oder einer nur teilweisen Farbkorrektur zu entscheiden.

Ein Sonnenuntergang an der Ostsee

Und dann gibt es Aufnahmesituationen, in denen die Lichtquellen selbst die eigentlichen Motive sind. Ein Feuerwerk beispielsweise, ein prasselndes Lagerfeuer, Polarlichter oder auch ein Sonnenuntergang. Die Farbe des Lichts gehört dann dazu und sollte nicht im Interesse einer neutralen Farbwiedergabe verfälscht werden. Wie kann man das erreichen?

Das Prinzip des Weißabgleichs ist es, Objektfarben so wiederzugeben, wie sie bei Tageslicht aussehen würden – also Licht mit einer Farbtemperatur um 5500 K, in dem alle Wellenlängen zwischen 400 und 750 Nanometer zu annähernd gleichen Teilen enthalten sind (mit nur einer geringfügigen Dominanz mittlerer – grüner – Wellenlängen). Will man nun diesen Weißabgleich komplett deaktivieren, wählt man die Voreinstellung für Tageslicht. Da eine tageslicht-ähnliche Anmutung das Ziel  ist, teilt die Voreinstellung „Tageslicht“ dem Weißabgleich nichts anderes mit, als dass die Beleuchtung bereits dem Tageslicht entspricht und daher nicht mehr verändert zu werden braucht. Wann immer wir es also mit extremen Farben des Lichts zu tun haben, die wir genau so in unseren Fotos wiederfinden wollen, müssen wir dem Weißabgleich etwas suggerieren, das ganz und gar nicht zutrifft: Dass wir nämlich bei Tageslicht fotografieren.

Die Farben eines Osterfeuers zur Blauen Stunde kommen mit der Voreinstellung „Tageslicht“ am besten heraus.
Auch Polarlichter – in Hamburg sind sie am dunkelsten Ort der Stadt am besten zu sehen, nach Mitternacht mitten im größten Parkfriedhof Europas – erfordern einen Weißabgleich auf Tageslicht.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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