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Ingenuity: Ein Copter auf dem Mars

Ingenuity, das erste Luftfahrzeug auf dem Mars, hat bereits einige Flüge in der dünnen Luft des Mars absolviert. Aber was ist mit den Kameras an Bord der Drohne, die deren Abenteuer dokumentieren?

Ingenuity (links) und der Rover Perseverance (rechts), der den Copter auf der Marsoberfläche abgesetzt hat. Foto: NASA

Drei kurze Flüge hat Ingenuity bereits absolviert; zwei weitere sind geplant, bevor sich der Rover Perseverance auf den Weg machen und den Copter seinem Schicksal überlassen wird. Die Funksignale von Ingenuity nutzen den Rover als Relaystation, und sobald Perseverance mehr als 1000 Meter entfernt ist, reißt die Verbindung ab – und damit auch die Verbindung zwischen Ingenuity und der Bodenstation. Die Flüge werden von Mal zu Mal riskanter, und das Team des JPL, das den Copter steuert, rechnet damit, dass am Ende ein Absturz steht. Ingenuity ist ja nur ein Testvehikel, das die Praktikabilität von Luftfahrzeugen in der dünnen Atmosphäre des Mars beweisen soll, und erst seine Nachfolger werden eigene wissenschaftliche Aufgaben bekommen.

Ingenuity sieht seinen eigenen Schatten. Foto: NASA

Nach dem ersten Flug wurde ein Schwarzweißfoto einer der Kameras des Copters veröffentlich, das den Schatten Ingenuitys zeigte. Manche wunderten sich, dass die Rotoren – es sind zwei zweiflügelige Rotoren, die sich unabhängig voneinander drehen – kaum verwischt erschienen, obwohl sie mit bis zu 2400 Umdrehungen pro Minute rotieren, um den Copter in der Luft zu halten. Nun drehen sich die Rotorblätter während einer Belichtungszeit von beispielsweise 1/4000 s selbst bei maximaler Geschwindigkeit nur um 3,6 Grad, so dass die relativ scharfe Abbildung des Schattens nicht überraschen sollte. Die Verschlusszeit ist zwar nirgendwo angegeben und die Bilddateien enthalten keine Exif-Daten, aber eine Belichtungszeit, die den Rotor einfriert, wäre mit dem sicher verwendeten elektronischen Verschluss durchaus erreichbar.

Wirklich überraschend war etwas anderes: Die Rotoren erscheinen nicht sichelförmig verzerrt, wie man es bei Aufnahmen mit einem elektronischen Verschluss von Rolling-Shutter-Typ erwarten würde. Stattdessen sind sie völlig gerade, was auf einen globalen elektronischen Verschluss hindeutet. Ich habe deshalb einmal nachgeforscht, was für Sensoren hier zum Einsatz kommen.

Ingenuity: Ein Copter auf dem Mars
Die Kameras von Ingenuity. Illustration: JPL

Ingenuity verfügt über zwei Kameras. Der Sensor der nach unten gerichteten Navigationskamera (NAV), die mit einem Ultraweitwinkelobjektiv einen Bildwinkel von 133 mal 100 Grad erfasst, ist ein OV7251 von Omnivision, der Schwarzweißbilder mit einer Auflösung von 640×480 Pixel aufnimmt. Tatsächlich verweist der Hersteller in der Produktbeschreibung auf den globalen elektronischen Verschluss, der Verzerrungen bewegter Motive verhindert, und erwähnt auch die hohe Lichtempfindlichkeit des Sensors – also genau die Eigenschaften, die für ein Bild wie oben gezeigt nötig sind.

Die „Return to Earth“-Kamera (RTE) erfasst einen engeren Bildwinkel und blickt etwas höher beziehungsweise weiter. In ihr steckt ein Sensor des Typs Sony IMX214, wie er auch in viele Smartphones eingebaut wurde. Der Sensor ist mit Farbfiltern im Bayer-Muster ausgestattet und löst Farbbilder mit rund 12 Megapixel auf. Auch dieser Sensor hat einen elektronischen Verschluss, allerdings einen vom Rolling-Shutter-Typ. In den Fotos dieser Kamera ist der Schatten des Copters ebenfalls (am unteren Bildrand) zu sehen, allerdings sind die Rotorblätter verwischt – offenbar wurde eine längere Verschlusszeit genutzt, die gleichzeitig Verzerrungen vermeidet:

Ingenuity: Ein Copter auf dem Mars
Das Bild der Return-to-Earth-Kamera zeigt am unteren Bildrand den Schatten Ingenuitys; die Rotorblätter erscheinen aufgrund der verwendeten Verschlusszeit verwischt. Foto: NASA

Beide Sensoren sind übrigens handelsübliche Produkte, ebenso wie der Prozessor vom Typ Qualcomm Snapdragon 801, der sonst in Smartphones, Smartwatches oder auch in Autos Einsatz findet. Beim Betriebssystem haben sich die Ingenieure bei JPL für Linux entschieden.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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Kommentar

  1. Toller Artikel, der dem Leser einen Blick über den Tellerrand hinaus gestattet.
    Und der aufzeigt, dass auch beim JPL nur „mit Wasser gekocht“ wird. Vielen Dank, Herr Hußmann!
    Einen ähnlichen Aha-Effekt hatte ich vor Jahren anlässlich eines Besuchs bei der ESA in Noordwijk.
    Staunend sah ich, dass für ISS bestimmte Baugruppen aus durchwegs handelsüblichen Komponenten aufgebaut wurden. Allerdings versicherte mir einer der Ingenieure dort, man würde nicht gerade „Restposten bei Conrad-Elektronik“ einkaufen…

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