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Der neue Piktorialismus VI

Frank Baeseler und Jörg Oestreich wagen sich mit neu adaptierten Squeezer-Linsen in die analogen Welten des 6×6-Mittelformats vor.

In den bisherigen Beiträgen in der DOCMA-Serie „Neuer Piktorialismus“ ging es unter anderem um die beiden Objektive Squeezer Lens (Volna-3, 80mm f2,8) und Mini Squeezer Lens (Leitz Hektor 8,5cm f2.5) – mehr dazu im DOCMA-Blog und auf www.squeezerlens.com. Diese Objektive für DSLR-Kameras eignen sich für das KB-Vollformat sowie den kleineren Sensor im Crop-Format. Eigentlich sollte das genügen, kann doch der ambitionierte Fotograf auf diese Weise seine piktorialistischen Fotos effektvoll realisieren.
Kann man die Effekte der beiden Squeezer Lenses noch steigern? Ja – doch erst einmal ein wenig Background-Information. Der Anfang des Neuen Pictorialismus bzw. einer malerischen Reise in die Fotografie liegt im 4×5 inch-Format der Großbildkamera. Wer stets mit kleinen Bildformaten fotografiert hat, geht davon aus, dass der Effekt z.B. mit Blende 4,5 unabhängig vom Aufnahmeformat immer gleich ist. Stimmt aber nicht – die Unterschiede zwischen kleinen und großen Aufnahmeformaten sind in der Bildwirkung extrem.

Was ansatzweise bereits in den kleinen Bildformaten APS-C und KB-Vollformat (24 x 36 mm) zu erkennen ist, steigert sich gewaltig bei grösseren Formaten. Unabhängig vom verwendeten Aufnahmeformat sieht die Schärfentiefe beispielsweise bei Blende 2,5 auf dem Sensor oder Film immer gleich aus, sofern die Distanz zu den fotografierten Objekt gleich ist. Werden jetzt alle Parameter unverändert beibehalten und variiert man nur das Format der Aufnahmefläche, ergibt sich ein jeweils kleinerer oder grösserer Ausschnitt des Fotomotivs. Das hört sich erst einmal einfach an. Der Unterschied des Effekts mit einem APS-C Sensor verglichen mit dem fast doppelt so großen Vollformatsensor besteht jetzt darin, dass bei identisch gleicher Schärfentiefe die Bildfläche fast doppelt so groß ist. Fotografiert man also mit beiden Sensoren den gleichen Ausschnitt des Motivs mit identischer Blende, sieht das Ergebnis so aus, als sei mit einer größeren Blende fotografiert worden – vom Gefühl her bei den beiden obigen Formaten fast eine Blende Unterschied. Der Cropfakor schlägt sich also nicht nur in der Brennweite des Objektivs nieder, sondern auch in der visuell empfundenen Schärfentiefe.
Wählt man nun ein größeres Aufnahmeformat bei unverändertem Objektiv und Blende, wird auch der Effekt immer stärker. Ein Objektiv mit 120 mm Brennweite und f2.5 im klassischen Mittelformat entspricht dem visuellen Empfinden nach einem 60 mm Objektiv mit f1.2 beim KB-Vollformat oder ungefähr einem 40 mm Objektiv mit f0.9 bei APS-C.
Dieser Vergleich sollte Grund genug sein, sich mit hoch geöffneten Objektivrechnungen für das Mittelformal 6 x 6 cm zu beschäftigen.

Frank Baeseler hatte früher intensive Berührungen mit der Hasselblad, unwidersprochen eine damalige Profi-Kult-Kamera – er war zuständig für den damaligen Werbeauftritt dieser genialen Belichtungsmaschine. Das analoge 6 x 6 cm-Format kam bereits in der Rolleiflex zum Einsatz, wurde aber von Victor Hasselblad mit seiner Kamerakonstruktion und den legendären Zeiss-Objektiven für neue Bilderlebnisse perfektioniert. Verglichen mit dem Kleinbildfilm war die Aufnahmefläche auf dem 120-Rollfilm mit 6 x 6 cm nahezu viermal so groß.
Und heute? Immer mehr wissende Digitalfotografen beschäftigen sich auch wieder mit der analogen Fotografie und damit auch wieder mit der analogen Hasselblad, zumal die aktuellen Modelle sämtlichst mit digitalen Rückteilen arbeiten, die Objektive und Gehäuse in Japan gefertigt werden und die Preise auch für Profis unermesslich hoch sind.

Zurück zur Squeezer Lens – die hier verbauten Objektive arbeiten des Effektes wegen mit größter Blende (Leitz Hektor, Volna-3). Die Belichtung wird über den Kameraverschluss gesteuert (also im Modus Blendenpriorität), was mit normalen DSLRs problemlos möglich ist. Auch die neue Squeezer Lens 6×6 benötigt eine 6 x 6 cm-Kamera mit integriertem Verschluss, was beispielsweise bei der Pentacon Six, der Kiev88, der Kiev60 sowie der Pentax 6×7 der Fall ist – und auch bei einigen Hasselblads.
Am Anfang der Hasselblad-Evolution standen die Hasselblad 1000 F und 1600 F – beide mit integrierten Schlitzverschluss. Die russische Kiev88 ist eine ziemlich freche, aber leider nur schlecht gelungene Kopie dieser Ur-Hasselblad. Bei den dann folgenden V-Hasselblads entfiel der interne Schlitzverschluss. Stattdessen gab es einen Zentralverschluss in den Wechselobjektiven. Grund für diesen radikalen Wechsel war die Forderung der Profis nach kurzen Blitzsynchronzeiten (beim Synchro-Compur-Verschluss bis 1/500 s).
1977 erschien jedoch wieder eine Hasselblad mit Schlitzverschluss: die 2000 FC. Die Reihe wurde in unterschiedlichsten Varianten bis 2004 gebaut. Das letzte Model mit Schlitzverschluss war dann die Hasselblad 205 FCC.
Frank Baeseler und Jörg Oestreich habe sich für die ersten (erfolgversprechenden) Tests mit der Squeezer Lens 6×6 für die Hasselblad 2000 FC entschieden, an die mit einer pfiffigen Konstruktion (Objektivbajonett und Squeezer-Balgen) das legendäre Leitz Hektor 120 mm / f2.5 nach einem feinmechanischen Eingriff angepasst wurde. Die kürzestes Belichtungszeit der Hasselblad 2000 beträgt 1/2000 Sekunde, ausreichend für niedrig empfindliches Filmmaterial, aber häufig nicht kurz genug für höher empfindlichen Film bei viel Licht – Abhilfe schafft hier nur noch ein ND-Filter. Das Hektor 120 mm erhielt daher noch ein Filtergewinde. So kann auch mit Sonnenblende (besser Streulichtblende) gearbeitet werden.
Weitere Informationen:
www.squeezerlens.com (Webseite)
The Squeezer Lens (Facebook)
Frank Baeseler lebt in Güby an der Schlei und beschäftigt sich intensiv mit experimenteller Fotografie und Edeldrucken. Seine berufliche Stationen reichen vom Besitz einer Werbeagentur in Hamburg über einen langjährigen Auslandsaufenthalt in England bis hin zur Lokalisierung englischsprachiger Computer- und Fotoliteratur.
Jörg Oestreich – geboren 1961 in Schleswig – lebt und arbeitet in Flensburg. Ab 1998 Ausbildung zum Fachkaufmann für Werbung/Kommunikation. Im Anschluss daran Fotograf im Fotostudio der Firma FKA-Media. Seit 2002 eigenes Studio sowie freiberufliche Tätigkeit als Werbefotograf im Raum Flensburg.
 
 

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Johannes Wilwerding

Johannes Wilwerding hat bereits Mitte der Achziger Jahre und damit vor dem Siegeszug von Photoshop & Co. Erfahrungen in der Digitalisierung von Fotos und in der elektronischen Bildverarbeitung gesammelt. Seit 2001 ist er freiberuflicher Mediengestalter und seit 2005 tätig für das DOCMA-Magazin.

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