BildkritikBlog

Wohlvertraut – und dennoch falsch: Plastische Darstellung von Büchern

Wahrscheinlich kennen Sie alle diese plastische Darstellung von Büchern, bei denen man frontal ohne jede Verzerrung das Cover sieht und zugleich den Papierblock seitlich von schräg unten. Eigentlich keine große Sache, über die man viele Worte verlieren müsste. Erst als Doc Baumann kürzlich die Ansicht eines eigenen Buches so gestalten musste, wurde ihm wirklich bewusst, dass wir es auch hier mit einem Perspektivefehler zu tun haben.

Wohlvertraut – und dennoch falsch: Plastische Darstellung von Büchern
Plastische Darstellung von Büchern: Sieht eigentlich ganz unverfänglich aus, ist aber perspektivisch unmöglich

Irgendwann begannen Verlage und Versandbuchhändler damit, ihre Bücher nicht nur mit der schlicht rechteckigen Abbildung der Titelseiten zu bewerben, sondern mit einer perspektivischen Wiedergabe dieser Werke. So wird kommuniziert, dass sich das Produkt nicht auf seine platte Vorderseite beschränkt, sondern dass es ein voluminöses Objekt ist, mitunter ein richtig dicker Wälzer.

Da ich einen nicht unerheblichen Teil meiner Zeit damit verbringe, solche Bücherkataloge durchzublättern und für eine Anschaffung in Frage kommende Titel anzukreuzen, ist mir die beschriebene Art und Weise der Darstellung bestens vertraut. (Ich lasse die Kataloge immer vorsichtshalber erst mal über Nacht liegen, bevor ich mich für eine Bestellung entscheide – am nächsten Tag erscheint mir die Hälfte davon doch verzichtbar, bei einem weiteren Viertel stelle ich fest, dass ich sie bereits besitze, und für den verbleibenden Rest lohnt es sich dann mitunter nicht, extra eine Order aufzugeben. Wieder Geld gespart!)

Wie Sie wissen, beschäftige ich mich einen anderen Teil meiner Zeit damit, bei seltsam erscheinenden Bildern herauszufinden, welche Fehler die Monteure gemacht haben. Neben Beleuchtung, Schattenwurf oder unpassender Schärfeverteilung ist es meist die Perspektive, mit der sie nicht zurecht gekommen sind. Also bin ich eigentlich, was Perspektivemängel betrifft, recht sensibel.

Da hätten wir nun also alles beisammen: Auf der einen Seite die plastische Darstellung von Büchern in den Katalogen – auf der anderen Seite das prinzipielle Wissen, wie korrekt mit Perspektive umzugehen ist.

Und dennoch hat es bei mir bis zur Jahresmitte 2020 gedauert, bis ich die beiden Stränge zusammengeführt habe und mir wirklich bewusst wurde, dass man ein Buch so eigentlich gar nicht darstellen kann.

Jedenfalls nicht ohne Montageaufwand. Ich muss gestehen, dass mir nicht so richtig klar ist, ob es vielleicht mit einem Shift-Objektiv aus großer Entfernung klappen würde, was für ein verwertbares Ergebnis aber wohl an der Auflösung scheitern dürfte. Wissen Sie’s? Wenn das mit einer einfachen perspektivischen Entzerrung zu lösen wäre, müsste man es in Photoshop ja auch hinkriegen. Geht aber nicht – jedenfalls nicht in einem Schritt. Wie die folgende Abbildung zeigt, habe ich drei Schritte gebraucht: Im ersten wurden die linke und die untere Kante ausgerichtet, im zweiten die rechte, im dritten die obere. Wobei jedes Mal die Transformation bestätigt und interpoliert werden musste, was also drei destruktive Eingriffe hintereinander ergibt. (Außerdem ist der Bildband jetzt scheinbar sehr dick geworden – so umfangreich wird er nun doch wieder nicht.)

Wohlvertraut – und dennoch falsch: Plastische Darstellung von Büchern
Drei aufeinanderfolgende Transformationen waren in Photoshop nötig, um aus dem schräg aufgenommenem Buch ein rechteckiges zu machen – doch anschließend wirkt es wegen der vielen Interpolationen flau und der Buchblock ist nun viel zu dick.

Negativ aufgefallen war mir bei der Betrachtung solcher Abbildungen bisher gelegentlich nur, dass sie mitunter fast schon betrügerisch waren: Da erweckte die Werbung visuell den Anschein, man erhalte für sein Geld einen richtig dicken Wälzer – wobei sich erst nach dem Lesen des 6-Punkt-Textes herausstellte, dass das Büchlein gerade mal 128 Seiten hat. Manche Anbieter von modernem Antiquariat verwenden gar für alle angebotenen Bücher dieselbe Vorlage, so dass im Ergebnis ein 1000-Seiten-Handbuch zu InDesign in derselben Stärke auftritt wie ein 150-Seiten-Krimi.

Ich hatte dem Verlag zunächst ein Bild in normal perspektivisch verzerrter Ansicht geschickt – der wollte es aber gern auch in der vertrauten Rechteck-und-dennoch-plastische-Form haben. Um zu einem vernünftigen Ergebnis zu gelangen, begann ich mit dem Foto der Schrägansicht eines Buches mit entsprechender Größe und Stärke, musste dann aber für die Entzerrung die untere und die rechte Seite des Buchblocks gesondert bearbeiten und transformieren, bis es realistisch aussah. Zum Schluss fügte ich auf einer weiteren Ebene meinen Cover-Entwurf des noch nicht existierenden Buches hinzu. (Ja, ich weiß, der Schlagschatten ist nicht korrekt – das ergab sich nachträglich so aus den Anforderungen des Verlagsprospekts.)

Wohlvertraut – und dennoch falsch: Plastische Darstellung von Büchern
Fotomontage aus vorhandenem Buch und geplantem Cover – dies ist eine mögliche Ansicht, sie wirkt aber nicht so gut und benötigt viel Platz

Zu dem Buch selbst und seinem Inhalt will ich heute noch nichts verraten. Es wird demnächst erscheinen, und ich werde Ihnen rechtzeitig zuvor an dieser Stelle ein wenig mehr darüber berichten und Ihnen bei Interesse die Möglichkeit anbieten, es vorab zu einem vergünstigten Subskriptionspreis zu erwerben.

Zeig mehr

Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

Ähnliche Artikel

9 Kommentare

    1. Hallo,
      klingt spannend, könnten Sie evtl. mal ein entsprechendes Foto vorher/nachher hochladen? ich werde das dann gern im nächsten Blog-Beitrag vorstellen.

      Danke und viele Grüße
      DocB

  1. Hallo Herr Baumann, vielen Dank für die interessante Denkanregung bezüglich der „Buchperspektive“.
    Es ist durchaus möglich ein Foto in der gewünschten Art von einem Buch (oder ähnlichen Objekten) aufzunehmen – ohne perspektivischen Nachbearbeitungsaufwand. Die Bedingung hierfür ist, dass sich bei der Aufnahme die Chipebene parallel zur Buchtitelseite befinden muss. Leider ergibt sich dann ein großer Abstand zwischen Buch und Kamera, da Sie das Buch ja seitlich versetzt fotografieren müssen und zugleich die Kamera nicht aus der zum Buch parallelen Position kippen dürfen. Viel besser funktioniert das mit einer Kamera mit horizontal und vertikal verstellbarer Objektivstandarte. Prinzipiell müssten Sie auch hier Chip und Buch parallel zueinander halten und eine seitliche Perspektive zum Buch wählen. Durch die Verschiebung des Objektivs rücken Sie das Buch aber wieder in die Mitte des Chips und können es nahezu formatfüllend aufnehmen.

  2. Die Proportionen stimmen ganz offensichtlich nicht bei der Darstellung von Herr Kules. In der Geschichte gilt er als clever agierend, aber in dem winzigen Kopf der Figur hat kaum Gehirn Platz – von seinem winzigen Gemächt ganz zu schweigen 😉

    1. Nun, so ganz „offensichtlich“, wie Sie meinen, ist das wohl nicht. Messen Sie mal die Kopfhöhe (minus Bart und Locken) und stapeln Sie das dann darunter sieben Mal übereinander. Dann gelangen Sie exakt zur idealen menschlichen Proportion, Körperhöhe = Kopfhöhe mal 8.
      Zwar schreibt auch Plinius in Buch XXXIV, 65 zur Statue des Lysipp, (deren Marmorkopie von Glycon dem Stich von F. Piranesi zugrunde liegt), deren Kopf sei eher klein, er hielt das aber für ein Qualitätsmerkmal.
      Wie ich auch in meinem Buch dokumentiere, galten die Maße des Herkules Farnese über die Jahrhunderte als vorbildlich und es gibt viele Darstellungen und Anatomiestudien, die seine Proportionen als idealtypisch preisen.
      Das zu kleine Gemächt der Statue ist noch relativ normal; in der Antike wurden Genitalien solcher Statuen immer sehr klein dargestellt, Ausnahmen waren etwa Satyrn und andere Wesen, deren sexuelle Zügellosigkeit durch größere – und mitunter wie bei Priapus gewaltige – Genitalien visualisiert wurde.
      Was das Gehirn betrifft: Herkules war nicht nur der Gott des Sieges und Tugendheld, sondern auch Beschützer der Musen – dafür reichte das Gehirn also völlig aus …
      Viele Grüße, DocB

        1. Auf manchen Abbildungen wirken Köpfe von Kolossalstatuen eher zu groß als zu klein. Das hatte einen guten Grund: Als hohe Statue wurden sie von unten betrachtet – der Kopf war weiter entfernt vom Betrachter, und um das perspektivisch auszugleichen, wurde er manchmal leicht vergrößert. Fotografiert man nun eine solche Statue von einem erhöhten Standort aus, damit sie „unverzerrt“ erscheinen soll, wird der Kopf „richtig“ angebildet und mithin zu groß. Es ist also alles ganz schön kompliziert …
          Viele Grüße und danke für die Anmerkungen
          DocB

  3. Das geht übrigens auch ohne diesen großen Aufwand in Camera Raw oder Lightroom problemlos mit den Upright-Hilfslinien. Um zu starke Verzerrungen zu vermeiden, sollte man das Buch aus größerem Abstand mit einem Tele fotografieren.
    Beispielfoto: https://abload.de/img/buch-1lyk05.jpg

    Entspricht prinzipiell dem Rechteck-Tool von DxO oder dem Perspektivischen Freistellwerkzeug von Photoshop.

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Das könnte Dich interessieren
Close
Back to top button