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Keine Angst vor Aliens

Während wir uns derzeit mit extrem kleinen Angreifern auseinandersetzen müssen, die man überhaupt nur im Elektronenmikroskop deutlich sehen kann, könnte man es sich fast wünschen, wir hätten es mit den bevorzugten Gegnern des SF-Genres zu tun: Außerirdischen, die die Erde erobern wollen. Dann könnte man wenigstens wie Ripley (Sigourney Weaver in Alien 1 bis 4) mit der Wumme oder Levinson (Jeff Goldblum in Independence Day) mit dem MacBook gegen sie in die Schlacht ziehen. Aber werden sie überhaupt kommen?

H. G. Wells „Krieg der Welten“ ist der Klassiker des Genres. Mit Außerirdischen vom Mars rechnet heute allerdings niemand mehr.

Zu den vermutlich weniger genialen Ideen des ansonsten natürlich höchst genialen Astrophysikers Stephen Hawking (1942–2018) zählt seine 2010 geäußerte Warnung, wir sollten auf keinen Fall Kontakt zu außerirdischen Zivilisationen suchen. Schließlich können diese daraufhin vorbeischauen und uns unterjochen oder gleich durch Aliens ersetzen wollen. Hawking stellte sich technologisch fortschrittliche Aliens als Nomaden vor, die versuchen würden, alle Planeten zu erobern und zu kolonisieren, derer sie habhaft werden könnten. Hawking bezog sich dabei konkret auf das Beispiel der europäischen Kolonialpolitik, die den Kolonisierten ja durchweg geschadet hätte – teils absichtlich, durch Versklavung der Menschen und Ausbeutung der Bodenschätze, und teils unabsichtlich durch eingeschleppte Krankheitserreger. Der Besuch von Außerirdischen auf der Erde würde ähnlich enden, fürchtete Hawking.

Ein Erfolg dieser Argumentation würde der Suche nach Außerirdischen natürlich schaden. Man stelle sich vor, Tausende von Zivilisationen in unserer Galaxis horchten ins All, um Botschaften von Zivilisationen auf anderen Planeten aufzufangen, aber aus Angst vor diesen Fremden würde niemand Botschaften senden …

Nun macht die Menschheit andererseits schon auf sich aufmerksam, seit sie Radiowellen zur Kommunikation nutzt, denn ein Teil der elektromagnetischen Wellen verlässt die Erde und könnte in einem anderen Sonnensystem aufgefangen werden. Es wäre zwar unwahrscheinlich, dass irgendwo in der Galaxis jemand gespannt auf die nächste Folge von Bonanza wartet – Funkwellen breiten sich ja nur mit Lichtgeschwindigkeit aus, weshalb man von anderen Sternen aus in unsere Vergangenheit blickt. Der Wellensalat unzähliger Sender erschiene aus größerer Entfernung wie Rauschen, aber dass dieses Rauschen keinen natürlichen Ursprung hat, könnte man immerhin mutmaßen. Diese Phase geht aber auch schon wieder ihrem Ende entgegen, denn seit Fernsehsignale über Kabel oder Satelliten statt von terrestrischen Sendern verbreitet und die analogen Signale durch Datenpakete nach dem IP-Protokoll ersetzt wurden, können uns Außerirdische nicht mehr so einfach beim Fernsehen über die Schulter gucken.

Aber wie auch immer Außerirdische auf uns aufmerksam würden – wie stünden die Chancen, dass sie daraufhin mit schlechten Absichten zu Besuch kämen? Um Bodenschätze könnte es ihnen schon deshalb nicht gehen, weil es hier kaum etwas gibt, das man nicht auch anderswo fände. Alle chemischen Elemente, die wir kennen, sind im Laufe der Geschichte des Universums in Sternen erbrütet worden, und das ist praktisch überall passiert. Was immer man sucht, fände man überall. Selbst wenn die Milchstraße eine große Zahl von Zivilisationen beherbergen sollte, wird es auf den allermeisten Planeten kein intelligentes Leben geben – oder noch nicht oder nicht mehr. Sich zur Rohstoffgewinnung ausgerechnet einen Planeten auszusuchen, dessen technologisch nicht völlig unentwickelten Bewohner Widerstand leisten können, ergäbe keinen Sinn. Auf unsere Arbeitskraft können es die Außerirdischen auch kaum abgesehen haben, denn wer nach Lust und Laune durch das All fliegen kann, ist gewiss nicht auf Sklaven angewiesen.

Am plausibelsten wäre noch das Motiv, sich auf der Erde anzusiedeln, weil es zuhause ungemütlich zu werden droht – sei es, weil die Aliens ihren Planeten selbst unbewohnbar gemacht hätten, so wie wir das beharrlich versuchen, oder weil ihr Zentralgestirn unruhig zu werden beginnt. Aber so einfach ist es nicht, sich dann eben einen neuen Heimatplaneten zu suchen.

Alle naslang liest man in den Medien, Astronomen hätten wieder einen erdähnlichen extrasolaren Planeten gefunden. Eine wirkliche „zweite Erde“ war aber bislang nicht darunter. Die Gravitation war zu stark oder zu schwach, die Tage zu lang, der Zentralstern zu instabil – irgendetwas fehlte immer. Astronomen sprechen in Anspielung auf das englische Märchen von der „Goldilocks“-Zone, in der sich ein Planet befinden muss, um Leben zu ermöglichen, wie wir es kennen. Aber auch solche Planeten könnten wir nicht unbedingt besiedeln. Für eine Atmosphäre mit ausreichend Sauerstoff wäre organisches Leben nötig, und das wäre gleichzeitig gefährlich. Außerirdische Äquivalente von Bakterien und Viren sollte man besser nicht einatmen. Die aus Science-Fiction-Filmen vertrauten Sätze wie „Die Atmosphäre ist atembar, ihr könnt eure Helme abnehmen“ würden in der Realität eher nicht fallen. Außerirdische, die sich bei uns ansiedeln wollten, stünden vor demselben Problem. Die Besiedelung fremder Planeten – zu der Stephen Hawking übrigens ebenfalls riet – ist keine sehr realistische Perspektive.

Keine Angst vor Aliens
Wie man sich bei SpaceX die Landung eines Raumschiffs auf dem Jupitermond Europa vorstellt

Überhaupt sind interstellare Raumflüge nicht so einfach, wie man sich das vorstellt. In den Welten der Science Fiction fliegen riesige Raumschiffe von Planet zu Planet und von Stern zu Stern, und es wird kaum einmal erwähnt, dass sie jemals auftanken müssten. Schaut man sich die Raumfahrtmissionen der Menschheit an, funktionierten sie allerdings ein bisschen anders. Die Mondfahrer des Apollo-Programms starteten mit einer 2970 Tonnen schweren Saturn V, der größten bislang gebauten Rakete. Deren ersten beiden Stufen brachte die Astronauten in eine Erdumlaufbahn und ihre dritte in Richtung Mond, aber dort kam nur die Apollo-Kapsel mit ihrem Versorgungsmodul sowie die Mondfähre an, und nur die Kapsel kehrte am Ende zur Erde zurück. Es war so, als würde man mit einem großen Kreuzfahrtschiff starten und mit einem kleinen Motorboot zurückkehren; den Rest des Schiffs hätte man im Laufe der Reise verloren. Und dabei machte dieses Prinzip der Mehrstufenrakete, das Konstantin Ziolkowski mit seiner „Raketengrundgleichung“ begründet hatte, solche Reisen überhaupt erst möglich.

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Der Start von Apollo 11: Eine Rakete von 2970 Tonnen war nötig, um eine Nutzlast von 48,6 Tonnen in eine Mondumlaufbahn zu bringen.

Selbst die Mindestvoraussetzung für eine bemannte Mission, das Raumschiff nicht nur zu einem fremden Himmelskörper, sondern auch wieder zurück zu bringen, ist nicht so einfach zu lösen. Die Rückkehr der Mondfahrer gelang, weil die Masse des Mondes nur 1/81 der Erdmasse beträgt und seine Gravitation daher viel geringer als die der Erde ist; deshalb war in der einen Richtung eine Saturn V nötig, während zur Rückkehr das Triebwerk der Apollo ausreichte. Einer der Gründe, weshalb wir noch nicht zum Mars geflogen sind (dessen Masse etwa ein Zehntel der Erdmasse beträgt), ist eben der, dass beispielsweise SpaceX zwar ein Raumschiff wie das Starship entwickelt, das Menschen auf den Mars bringen könnte – aber dieses Raumschiff taugt nicht für deren Rückkehr, oder jedenfalls nicht, ohne auf dem Mars aufzutanken. Für die Rückreise müssten entweder zunächst etliche unbemannte Tanker-Raumschiffe den Treibstoff für die Rückreise zum Mars bringen (und würden selbst nicht zurückkehren), oder man müsste dort eine Produktionsstätte für Treibstoff einrichten. Mit dem aus Sonnenenergie gewonnenen Strom ließe sich auf dem Mars vorhandenes Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten, und zusammen mit dem Kohlenstoff aus dem Kohlendioxid der Mars-Atmosphäre ließe sich dann Methan herstellen – der Treibstoff des Starship. Wenn die ersten Raumfahrer auf dem Mars daran scheiterten, eine Treibstoff-Fabrik aufzubauen, kämen sie möglicherweise nie mehr zurück.

Ähnliche Probleme gibt es schon bei der doch vermeintlich einfachen Aufgabe, eine Fähre zu bauen, die Astronauten von einer NASA-Station in Mondnähe auf die Mondoberfläche und zurück bringt – SpaceX will dafür eine Variante des Starship einsetzen, das dafür überdimensioniert erscheint. Nachdem die Fähre dann aber ein paarmal diese vergleichsweise kurze Strecke geflogen ist, muss sie erst einmal zurück in die Erdlaufbahn, um von rund acht von der Erde gestarteten Tanker-Raumschiffen wieder aufgetankt zu werden; danach fliegt sie erneut zum Mond, um den Fährbetrieb wieder aufzunehmen.

Man kann sich leicht vorstellen, was für eine Herausforderung es wäre, zu einem mehrere Lichtjahre entfernten Exoplaneten zu fliegen, um schließlich wieder zur Erde zurückzukehren. Für den Rückflug wäre eine gigantische Rakete nötig, und wir müssten eine noch vielfach gigantischere Rakete bauen, um sie dorthin zu bringen. Dabei auch noch größere Mengen geraubter Bodenschätze mitzunehmen, wäre nicht wirklich praktikabel. Vor diesem Problem stünden aber auch Außerirdische, die uns besuchen wollten.

Natürlich kann es sein, dass es eine Lösung für dieses Problem gibt. Vielleicht hat irgendwo im Universum schon längst jemand einen Warp-Antrieb erfunden, oder es gibt tatsächlich Sternentore, durch die man einfach mal zum Zeitvertreib in eine andere Galaxis oder gar in ein anderes Universum reisen könnte. Aber wenn Raumflüge für irgendjemanden einfach wären, dann müssten wir ohnehin damit rechnen, bald Besuch zu kommen, nur ist das bislang nicht passiert – und das bedeutet womöglich, dass die Außerirdischen auch nicht so viel weiter als wir sind, was die Technologie interstellarer Raumflüge betrifft. Falls Stephen Hawking dazu eine Idee hatte, dann hat er sie jedenfalls nicht verraten.

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Michael J. Hußmann

Michael J. Hußmann gilt als führender Experte für die Technik von Kameras und Objektiven im deutschsprachigen Raum. Er hat Informatik und Linguistik studiert und für einige Jahre als Wissenschaftler im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet.

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