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Vorbildlich daneben

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Kupferstich von William Hogarth: Die Tücken der Perspektive

 

Immer wieder muss ich in meiner „Bildkritik“ auf Montagemängel eingehen. Man sollte denken, dass sich nach fast 15 Jahren Kritik die dafür verantwortlichen Bildbearbeiter ein paar Grundregeln der Bildlogik angeeignet hätten – aber noch immer reicht es leider in jedem Heft für drei Seiten. Doch diesmal geht es um zwei schrecklich schöne Beispiele, bei denen die Mängel nicht aus Unachtsamkeit zustande kamen.

Kürzlich konnte ich unerwartet günstig bei eBay einen Kupferstich aus der Mitte des 18. Jahrhunderts ersteigern, den ich von Reproduktionen schon lange kannte und gelegentlich auch zitiert habe; er stammt von William Hogarth und trägt die Bildunterschrift „Wer Bilder ohne Kenntnis der Perspektive macht, wird in der Lage sein, solche Absurditäten zustande zu bringen wie in dieser Illustration“. (William Hogarth ist übrigens nicht mit einem anderen brillanten Zeichner gleichen Namens zu verwechseln, der zwei Jahrhunderte nach ihm lebte: Burne Hogarth, dem Schöpfer der Tarzan-Comics, der in späteren Jahren bemerkenswerte Lehrbücher über dynamisches Figurenzeichnen verfasste.)

Dass es diesen Stich von William Hogarth zu den Tücken der Perspektive gibt, beweist, dass bereits seine Zeitgenossen Mitte des 18. Jahrhunderts ihre Probleme mit korrekten Perspektivkonstruktionen hatten. Wie viele solcher Mängel sich in diesem Stich verbergen, dürfen Sie selbst herauszufinden versuchen – es sind etliche. Ohne Anlass wäre diese Bildkritik seinerzeit ins Leere gelaufen. Hogarth war nicht nur als ernsthafter Maler bekannt, sondern vor allem für seine scharfen Satiren – die gab es also damals schon. Ob er wohl auch von Kollegen verklagt wurde, die sich dadurch beleidigt fühlten?

In den Werken, die in Museen hängen oder in teuren Kunstbänden abgedruckt sind, werden Sie solche Beispiele mangelnder Bildlogik nur selten finden. Und wenn Kunsthistoriker sie doch einmal in den Gemälden großer Meister entdecken, tun sie sich schwer damit, sie als offensichtliche Fehler zu benennen – wenn das von einem anerkannten Künstler stammt, kann und darf es einfach kein Betriebsunfall sein, sondern muss einen tieferen Sinn haben. Dieses „Er wird sich schon etwas dabei gedacht haben“ hört man ja noch heute, wenn sich jemand einfach nicht vorstellen kann, wie in Anzeigen von Firmen, die Milliardengewinne machen, Bildfehler gelangen (und durch alle Kontrollinstanzen bleiben), die kaum übersehbar sind.

Ganz so schlimm wie in Hogarth’ Stich sind unsere Anzeigenbeispiele zum Glück nie, obwohl sich viele Bearbeiter Mühe zu geben scheinen, Falsches auf Falsches zu häufen. Schließlich gibt es nicht nur Fehler der Perspektive, sondern ebenso welche in Bezug auf Beleuchtung, Schlagschatten, Farbstimmung, Unschärfe oder Plausibilität – vom lieblosen Freistellen ganz zu schweigen.

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Aktuelle Werbung für Snickers

Vor einiger Zeit schickte mir mein Kollege Christoph Künne eine moderne Entsprechung zu Hogarth’ Stich, die wir in der aktuellen DOCMA-Ausgabe vorstellen. Dass es sich dabei um eine Werbeanzeige handelt, erkennt man erst, wenn man rechts unten das winzige Snickers-Logo erkannt hat. Zuerst entdeckte ich die überflüssige Hand auf der Schulter des Models, dann nach und nach den geteilten Horizont, das fehlende hintere Bein, den verschobenen Nabel, den vergessenen Taschengriff und so fort. „Das kann ja wohl nicht sein!“, dachte ich. Mehrere Fehler in einer Anzeige, das kennt man. Aber so viele? Erst dann las ich den Text: „Bildretuscheure werden verwirrt, wenn sie Hunger haben.“ Aha!

Es ist also tatsächlich eine echte Entsprechung zu Hogarth – nicht Unwissenheit und Schlamperei, sondern Absicht: Seht her, Kolleginnen und Kollegen – so geht’s ja nun gar nicht! Würden wir einen Bad Pixel Award für die beste absichtlich daneben gegangene Montage vergeben: Snickers hätte hervorragende Chancen. Denken Sie daran: Wir freuen uns über alle Einsendungen schräger Montagen aus den Medien (bitte immer in ausreichender Größe und mit Herkunftsbezeichnung einsenden!). Auf den Einsender oder die Einsenderin des Bildes, das von der DOCMA-Award-Jury als schlimmstes Machwerk ausgewählt wird, wartet wieder eine wertvolle Gewinnprämie.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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