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Und wer denkt noch an Snowden?

14 NSA
Foto und Montage: Doc Baumann

Stellen Sie sich vor, Sie werden von einem unauffälligen Herrn angesprochen (Sonnenbrille, tief ins Gesicht gezogener Hut, Trenchcoat mit hochgeschlagenem Kragen, merkwürdige Beule im Mantelstoff unter der linken Achsel, Zigarette im Mundwinkel), der Ihnen ein Geschäft vorschlägt: Sie nutzen Ihre besonderen Möglichkeiten, um in den Ihnen zugänglichen Quellen nach Stichwörtern Ausschau zu halten wie „Auswahl“, „Retusche“, „Ebenenmaske“, „Photoshop“, „Pinsel-Werkzeug“ und Ähnlichem.

Harmlose Angelegenheit – warum sollten Sie da nicht mitmachen? Ein paar Jahre später kommt heraus, dass der Herr für die NSA tätig war, und dass der Bereich, den Sie abgrasen sollten, mit digitaler Bildbearbeitung zu tun hat. Mit was? Digitaler Bildbearbeitung?! Jetzt mal ehrlich – da wären Sie doch nie drauf gekommen! Oder?

Sehen Sie, und ebenso ging es den Mitarbeitern unseres bundesdeutschen Nachrichtendienstes, des BND. Mit dem Unterschied, dass man dort wusste, dass die Amtshilfe-Bitte von der NSA kam. Ein weiterer Unterschied war, dass sich die Suchbegriffe auf europäische – auch deutsche – Politiker und Wirtschaftsunternehmen bezogen. Also im Klartext, dass der deutsche Geheimdienst dem US-amerikanischen gesetzwidrig dabei geholfen hat, europäische und deutsche Interessen zu verletzten. (Da wir alle im Unterricht nicht aufgepasst haben, haben wir immer gedacht, der Geheimdienst hätte im Gegenteil die Aufgabe, das Ausspionieren unseres Landes von außen zu verhindern. So kann man sich irren.)

Aber wir täuschen uns in solchen Fragen ja ständig. Wir setzen etwa voraus, der Verfassungsschutz hätte irgendetwas damit zu tun, die Verfassung oder verfassungsmäßige Ordnung zu schützen, zum Beispiel gegen Neonazis und Rechtsextremisten. Wie der NSU-Prozess und die entsprechenden Untersuchungsausschüsse zeigen: Noch so ein Irrtum. Der damalige hessische Innenminister, dem V-Mann-Schutz vor Mordaufklärung ging, ist heute Ministerpräsident. (Man könnte darüber spekulieren, ob der „Abschuss“ von Edathy als Politiker irgendetwas damit zu tun hatte, dass er als Obmann dieses Ausschusses so viele unbequeme Fragen stellte.)

Alle paar Wochen kommen neue Schweinereien der Geheimdienste ans Tageslicht. Was diejenigen Skandale anbetrifft, bei denen die NSA ihre Hände im Spiel hat, so wird am Rande zwar immer mal wieder erwähnt, dass sich das aus der Auswertung des Materials ergeben habe, das Edward Snowden den Medien zugänglich gemacht hat. Viele Staaten profitieren von diesen Erkenntnissen – aber noch immer wagt es niemand, dem, der das alles aufgedeckt hat, Asyl zu gewähren. Ausgerechnet Russland bleibt ihm als – derzeitiger – Aufenthaltsort. Wie viele Vertrauensbrüche der USA müssen eigentlich noch ans Tageslicht kommen, bis europäische Staaten daraus die Konsequenz ziehen, dass nicht Snowden der Verbrecher ist? Dass er Schutz verdient, aus Prinzip und als Dank für seine Leistungen. Das Bundesverdienstkreuz sollte auch noch drin sein.

Die Geheimdienste haben bisher kaum Beweise dafür geliefert, dass es ihrer Tätigkeit zu verdanken ist, wenn es im Westen wenige Anschläge radikal-islamistischer Gruppen gegeben hat. Die Ankündigungen von ISIS & Co verlangen zweifellos Gegenmaßnahmen, und wer, wenn nicht die Geheimdienste, soll solche Erkenntnisse über geplante terroristische Anschläge aufspüren? Nur würden wir uns wesentlich besser fühlen, wenn wir wüssten, dass die abgeschöpften Daten tatsächlich für solche Zwecke verwendet werden und nicht der gewaltigen Vorratsdatenspeicherung dienten, um Demokraten, Gegner multinationaler Konzerne und kritische Gruppen in den eigenen Ländern zu bespitzeln. Ohne das Vertrauen der eigenen Bevölkerung können Geheimdienste auf Dauer einpacken – und das haben sie längst verspielt.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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