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Thilo Gockel Bokeh


Fotografieren mit Offenblende

Perfekter Fokus trotz Offenblende
Eine optimale Bildwirkung entsteht nicht nur durch schönes Bokeh, sondern auch durch das Zusammenspiel der Unschärfe mit bildwichtigen, scharfen Bereichen. Bei vollständig geöffneter Blende wird genaues Fokussieren jedoch immer schwieriger. Woran liegt das und wie kann man dennoch eine gute Schärfe, etwa auf den Augen des Models, erzielen?

Ausgangsbilder, rechtes Bild mit Lensbaby-Objektiv

[1] Ausschnittsvergrößerung: Links: Die 50-mm-Linse liefert hier durch den Fokusfehler (s. unten) ein recht weiches Ergebnis. Rechts: das 70-200 ist überzeugend scharf. Beide Male Center-AF + Recomposing.

[2] Erklärung zum Fokussierfehler beim Recomposing in Abbildung 1: Der Fehler ist bei kleineren Brennweiten bzw. kleineren Gegenstandsweiten und größeren Schwenks größer.

[3] Zerstreuungskreisdurchmesser versus Brennweite und Hintergrundabstand (Quelle: H. H. Nasse / Fa. Zeiss, Hotlink [1])

Zunächst ist die Frage zu klären, wie man in diesem Fall fokussieren sollte. Viele Fotografen verwenden bequemerweise den zentrischen AF-Sensor, peilen an, nutzen die Schärfespeicherung mittels halbgedrücktem Auslöser und wählen erst dann den eigentlichen Bildausschnitt – im Englischen nennt man diese Vorgehensweise „Focus + Recomposing“. Sie ist oft, aber nicht immer, eine gute Wahl, wie Sie in den Bildbeispielen [1] sehen können. Bei kurzen Brennweiten (geringen Gegenstandsweiten) und größeren Verschwenkwinkeln wird der Fehler zu groß, übersteigt die Schärfentiefe und führt dann zur Unschärfe. Bei Telelinsen ab 80 mm kann das Verfahren wiederum zu guten Ergebnissen führen.
Generell ist eine Linse wie das legendäre 50 f/1.2 von Canon offenblendig sehr viel schwieriger zu handhaben als ein gutmütiges 70-200 f/2.8. Neben dem besagten geringeren Winkelfehler kann ein Teleobjektiv auch interessanterweise trotz höherer Schärfentiefe mehr Bokeh aufweisen. Belegt wurde dieser Zusammenhang von Hubert Nasse [3] – danke an dieser Stelle, dass wir die Simulationsergebnisse hier abbilden dürfen.
Und noch ein Effekt spielt hier mit hinein: Wenn man eine kurze lichtstarke und eine längere nicht ganz so lichtstarke Linse auf gleiches Bokeh, also auf den gleichen Zerstreuungskreisdurchmesser, einstellt, wird die Hintergrundunschärfe beim Teleobjektiv durch die andere Perspektive bzw. durch die teletypische Vergrößerung viel extremer wirken. Daraus folgt: Wer viel Bokeh erzielen und  dennoch eine gute Schärfe in den bildwichtigen Teilen erreichen möchte, ist mit folgender Vorgehensweise gut beraten:

1. Zur Sicherheit sollten Sie nach jedem Linsenkauf ein kurz Front- oder Backfocus überprüfen.
Wie das geht, das steht im Focustest-Chart. Sollte die Linse hierbei tatsächlich einen Fehler aufweisen, so muss sie entweder samt Kamerabody zum Service oder im Body muss ein Korrekturparameter abgelegt werden, was allerdings nur bei höherpreisigen Kameras möglich ist.

[4] Hat meine Linse Backfocus? Leicht zu prüfen mit dem Focus Testchart, www.focustestchart.com

2. Verschaffen Sie sich danach auf www.slrgear.com einen Eindruck, wie sich die Linse  offenblendig verhält.
Hier sieht man auch, wieso ein Canon EF 50L f/1.2 sehr viel teurer ist als ein f/1.8: Es liefert auch offenblendig oder fast offenblendig noch eine gute Schärfe. Oft wird das Ergebnis aber sein, dass sich ein Abblenden um 0,5 bis 1 Blenden wirklich lohnt.

[5] Wie gut ist meine Linse offenblendig? Das Canon EF 85 f/1.2L schlägt sich wacker, www.slrgear.com.

3. Starten Sie hiernach eine kurze Versuchsreihe: Wie verhält sich die Linse bei der Verwendung des mittleren AF-Sensors in Verbindung mit anschließendem Recomposing? Das Ergebnis ist von der Brennweite und unter Umständen auch von der Objektivbauart abhängig. Es kann durchaus sein, dass Ihre Linse mit dieser Art der Fokussierung nicht zurecht kommt, und Sie als Fotograf einen passenden AF-Sensor wählen und möglichst ohne Recomposing arbeiten müssen.

Empfehlenswerte Objektive

Für Linsen, die hinsichtlich des Bokehs gut beleumundet sind, kann man beliebig viel Geld ausgeben. Objektive wie die 200-f/2.0- oder 300-f/2.8-Festbrennweiten von Canon und Nikon liefern phantastische Ergebnisse, sind aber sehr teuer und auch recht unflexibel in ihrer Handhabung. Wer nur über begrenzte Mittel verfügt und dennoch einmal den Umgang mit der Unschärfe ausprobieren möchte, der ist mit einer bezahlbaren Kombination aus einer APS-C- oder DX-Kamera und einer preiswerte(re)n 85-f/1.8- oder 50-f/1.8-Linse gut beraten. Beide Brennweiten sind auch am Crop-Format für Porträts gut einsetzbar und liefern offenblendig bereits bei geringem Abstand schöne Ergebnisse. Preiswerte, lichtschwache jedoch brennweitenstarke Tele- oder Telezoom-Objektive sind dagegen nicht sonderlich gut geeignet, und auch eine an und für sich gute Linse wie das Canon EF 24-105L f/4 liefert, auch auf 105 und „offenblendig“ (wenn man bei einer Anfangsblende von f/4 von Offenblende sprechen kann) hinsichtlich des Bokeh eher schlechte Ergebnisse.

Mit etwas mehr Budget ist ein 135 f/2.0 eine gute Wahl, wobei allerdings ein gutes 70–200 f/2.8 mit Bildstabilisator zwar teurer, aber auch wesentlich flexibler ist.

[6] Auch mit einer APS-C-Kamera und einer recht preiswerten 50-f/1.4-Linse kann man bereits ein schönes Bokeh erzielen – wichtig hierbei: Location mit großem Abstand zum Hintergrund aufsuchen, dann nah ans Model rangehen (Fotograf, CAKL: MK 103360, Model: Kiki MK 66855).

Ausblick

Im Themenbereich ‚Gezielte Unschärfe‘ ist derzeit viel Bewegung, und so gibt es mittlerweile auch Verfahren, offenblendige Linsen respektive schönes Bokeh synthetisch durch spezielle Verfahren nachzubilden. Vor allem die Methoden nach Brenizer und Warut (s. DOCMA Nr. 37) sollten hierbei genannt werden. Und auch im Kamerabereich tut sich einiges: Aktuell erlebt beispielsweise die schon ältere Lichtfeldtechnologie eine Renaissance. Sie beruht auf einem Multilinsen-Array vor dem Sensor nebst raffiniertem Algorithmus, und ermöglicht demnächst vielleicht auch im nichtwissenschaftlichen Bereich das nachträgliche beliebige Neusetzen von Fokuspunkt und Unschärfebereich in einer Aufnahme. Zu diesen Themen und zu den angesprochenen Autoren und Websites finden Sie nachfolgend eine umfangreiche weiterführende Linkliste:

1.     H. H. Nasse, Fa. Zeiss: „Schärfentiefe und Bokeh“, Whitepaper

2.     William Castleman: interessante Website mit vielen Tests zu klassischen Porträtlinsen hinsichtlich Bokeh

3.     SLRGear: Umfangreiche Website mit Linsentests, perfekt auch bei der Frage: Wie verhält sich meine Linse offenblendig?

4.     Schröder: Technische Optik – Grundlagen und Anwendungen (10. Auflage). Verlag Vogel Business Media, 2007.

5.     Tilo Gockel: Website und Blog, viele Workshops und Beispiele, auch zu Bokeh und Porträtfotografie

6.     Interessante Flickr-Gruppen und Portfolios zum Thema Bokeh:
http://www.flickr.com
http://www.flickriver.com

7.     Ralph Lambrecht: FotoTV-Beitrag zum Thema Center-AF und Recomposing (Abo erforderlich)

8.     Tim Jackson, Focus Test Chart zum freien Download – gibt Antwort auf die Frage: Hat meine Linse Front- oder Backfocus

9.     Schöne Bokeh-Beispiele:
http://www.thedphoto.com

10.  Diskussionsforen für Anwender hochlichtstarker Linsen wie der Canon 85L f/1.2: Leidensgenossen tauschen Erfahrungen und Fokussiertrick aus:
http://forums.dpreview.com
http://www.flickr.com

11.  Flickr-Gruppen zum Thema Bokeh:
http://www.flickr.com

12.  Firma Lytro, Umsetzung der klassischen Lichtfeld-Technologie. Website, Produktspekrum und Datenblätter:
http://www.lytro.com/

13.  Details zu den Aufnahme-Blitzlichtsetups sowie Vorherbilder zu den Beispielen:
http://fotopraxis.wordpress.com
http://www.sylights.com
http://www.skylights.com

14.  D. Lanman, R. Raskar, G. Taubin: Modeling and Synthesis of Aperture Effects in Cameras. In: Computational Aesthetics in Graphics, Visualization and Imaging (2008).

15.  S. Bae, F. Durand: Defocus magnification, Computer Graphics Forum 26, 3 (2007).

16.  Firma Alien Skin: Videotutorials und Download-Link zu Bokeh II

17.   Tests zu Alien Skin Bokeh: Realität versus Simulation (50 mm f/1.2):
http://www.creativepro.com
http://dl.dropbox.com

18.   Firma OnOne:Videotutorials und Download-Link zur Software FocalPoint: http://www.ononesoftware.de

19.  Photoshop Bokeh Brushes und Effekte:
http://www.photoshopwebsite.com
http://designerbounty.com
http://www.majesticlicks.com

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Johannes Wilwerding

Johannes Wilwerding hat bereits Mitte der Achziger Jahre und damit vor dem Siegeszug von Photoshop & Co. Erfahrungen in der Digitalisierung von Fotos und in der elektronischen Bildverarbeitung gesammelt. Seit 2001 ist er freiberuflicher Mediengestalter und seit 2005 tätig für das DOCMA-Magazin.

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