Blog

Realitätsbeobachtung: Ebay-Ratings

Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, wie es kommt, dass Ebay-Kunden so enorm begeistert von ihren Verkäufern sind? Christoph Künne ist einer Erklärung ungewollt auf die Schliche gekommen.

100% positive Bewertungen sind bei kleineren Ebay-Anbietern keine Seltenheit, aber auch „Power-Seller“ mit vielen 100.000 Transaktionen kommen meist auf Werte zwischen 98 und 99,8 Prozent positives Kunden-Feedback.
Ich bin immer davon ausgegangen, die Händler seien so erfolgreich, weil sie so gut bewertet werden. Ich selbst treffe Entscheidungen zwischen zwei Offerten zum ähnlichen Preis oft auch aufgrund der Menge an positiven Bewertungen. Denn bei mir gibt es positives Feedback nur für außergewöhnlich guten Service. Werde ich einfach zufriedenstellend bedient, spare ich mir die Zeit für das Bewertungsprocedere. Also ging ich bisher davon aus, dass eine so hohe Bewertung mit enormer Kundenzufriedenheit gleichzusetzen ist. Man sollte da besser nicht von sich auf andere schließen.

Die Vorgeschichte
Hinter die Fassade dieser schönen neuen Online-Einkaufswelt musste ich kürzlich etwas unfreiwillig blicken: Mein in die Jahre gekommenes Auto zeigt ständig irritierende Fehlermeldungen an. Ich wollte ein Gerät erwerben, mit dem ich die Fehlercodes auslesen kann, um zu sehen, ob und wie häufig sie sich wiederholen. Passend für mein Smartphone fand ich einen Adapter, der sowohl die Kommunikation mit meiner marktanteilsschwachen Automarke als auch mit meinem spezilellen Modell versprach. Im sehr ausführlich gehaltenen Begleittext stand, der Adapter käme mit einer Gratis-Software und ich könnte damit die Standardcodes auslesen und „optional“ auch tiefer in die einzelnen Baugruppen einsteigen. Da mich letzteres wenig interessierte, kaufte ich den Adapter in Erwartung von Grundfunktionalitäten. Bei der Inbetriebnahme musste ich festestellen, dass vor dem Zugriff aufs Auto ein „In-App-Purchase“ nötig war, um sowohl die Grund- als auch die als „optional“ etikettierten Zusatzfunktionen freizuschalten. Ich kaufte auch die Software und es funktionierte wie versprochen. Dennoch war ich verärgert, weil der Software-Zukauf nocheinmal mehr als halb soviel gekostet hatte wie der Adapter und der Adapter ohne die Software nutzlos war.
Ich war zwar verärgert, wollte aber das Produkt weder reklamieren noch zurückgeben. So entschloss ich mich bei Ebay eine Bewertung zu hinterlassen, dass der Verkaufstext irreführend formuliert sei und ich über diese Nachlässigkeit verärgert bin. Gedacht sowohl als Warnung für andere Kunden wie auch als Hinweis für den Verkäufer, sein Produkt in Zukunft besser zu beschreiben.

Reaktion und Gegenreaktion

Als ich das Angebot auf Ebay erneut aufrief, um die Transaktion zu bewerten, erwarteten mich zwei Überraschungen. Zur Begründung meiner Bewertung räumte mir Ebay nur ein paar wenige Textzeichen Erklärungsraum ein und nach dem Versuch den Negativ-Bewerten-Button zu klicken, teilte mir das System mit, ich müsste zur Abgabe neutraler und negativer Bewertungen sieben Tage verstreichen lassen.
Es beschlich mich der Eindruck, negative Bewertungen seien weder vom Verkäufer noch von Ebay selbst erwünscht. Vielleicht bremsen sie ja die Kunden in ihrer Kaufwut und sind damit geschäftsschädigend. Doch dann könnte man logischerweise gleich ganz auf die Möglichkeit einer negativen Bewertung verzichten.
Ich wartete also bis die Frist verstrichen war, gab mein Urteil ab und schon am nächsten Tag meldete sich der Anbieter, um mir einen Vortrag zu halten. Er sagte, ich hätte rechtich betrachtet die Pflicht gehabt mit ihm zu sprechen, wenn ich unzufrieden sei und das Produkt reklamieren möchte und ich könne nicht einfach eine negative Bewertung abgeben.
Meine Einwände, dass ich mit dem Produkt nicht unzufrieden wäre und es gar nicht zurückgeben wolle, sondern mich explizit über die uneindeutige Beschreibung und die damit verbundenden Zusatzkosten geärgert habe, ließ er nicht gelten. Ich müsse das schließlich verstehen, dass ihn keine Schuld trifft und die Negativ-Bewertung zurücknehmen. Ich erwiederte, ich müsse das nicht verstehen, woraufhin er mir androhte, er werde die Sache, weil es sich um üble Nachrede handle, einem Rechtsanwalt übergeben. Ich legte auf.
Ein bedrohliches Anschreiben
Knapp zwei Wochen später erfolgte die nächste Kontaktaufnahme über eine nicht unterzeichnete Email: 
„Hallo Herr Künne Christoph, mir wurde von Herrn (…) Ihr Vorgang übergeben. (…) Denke Missverständnisse können erwachsene Menschen friedlich und menschlich ordentlich miteinander klären. Würde gerne Abmahnungen, Schadensersatzforderungen (…) vermeiden und den Vorgang friedlich miteinander lösen Des weiteren besitzt Ihre Homepage www.kuennes.net keinerlei Impressum etc. Die Rechtlichen Grundlagen bei der Homepage fehlen komplett. Habe mir dies nun als Screenshot gespeichert.
Ich möchte Ihnen nichts Böses aber wenn Sie unfairer weiße austeilen (haben Ihnen nichts getan!) werden wird dies ebenfalls tun. Hoffe Sie können dies nachvollziehen und der Vorgang lässt sich ohne „Rosenkrieg“ beilegen“

Was soll man dazu sagen? Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt: Das alles wegen einer negativen Bewertung auf einer Online-Plattform, bei einem Händler, der dieses Jahr schon über 44.000 Artikel verkauft hat. Ob er vielleicht ein ganzes Heer von Sachbearbeitern beschäftigt, die Kunden einschüchtern, um die gemessenen 99,8% positiven Bewertungen zu erzwingen? Der Jurist in mir ist bei der Beurteilung solcher Anschreiben gespalten zwischen den Vorwürfen „Nötigung“ und „Erpressung“. In den Geschäftsbedingungen Ebay fand ich dann den passenden Terminus: „Bewertungserpressung“.
Mal sehen, wie sich die Angelegenheit weiter entwickelt. Eins weiß ich aber jetzt schon: Guten Bewertungen in Handels-Plattformen schenke ich so bald keinen Glauben mehr. Zustimmung von 99% erinnert die Älteren von uns ja ohnehin ein wenig an die Wahlen im untergegangenen Ostblock.
Ganz tief im Innern frage ich mich: Wo soll das hinführen, wenn wir keine Kritik gegenüber einem Unternehmen mehr äußern dürfen – ohne mit der Androhung von Abmahnungen und Schadensersatzforderungen rechnen zu müssen?
Nach einem zarten Hinweis auf diesen Blog-Artikel hat sich Ebay gemeldet und den Missbrauch des Bewertungssystems anerkannt. Jetzt ist der Adapter Chefsache:
"Wir werden den Vorgang daher durch unsere Kollegen vom Office of the President überprüfen lassen."
"Office of the President" – das muss man den US-gesteuerten Unternehmen lassen, sie haben ein Händchen für großartige Titel. In den untereren Rängen gibt man sich im ebenso unpersönlich und unterzeichnet solche Schreiben folgendermaßen: "Mit freundlichen Grüßen eBay Unternehmenskommunikation".

Zeig mehr

Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

Ähnliche Artikel

Kommentar

  1. Das erinnert mich im Moment sehr stark an FB mit den velen Gruppen „likes und ehrlichen dauerhaften relikes“. Was soll ich da noch von 5000 und mehr likes halten? Bin sehr gespannt was sich da noch raus entwickelt. Sowohl in diesem Fall hier, wie auch bei FB. Ich persönlich finde es sehr gut, dass solch „interessantes Verhalten“ auch mal öffentlich gemacht wird.
    Viele Grüße Franco

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Das könnte Dich interessieren
Close
Back to top button