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Mogelpackung

Woran denken Sie beim Begriff Lumix? Ich jedenfalls denke erstmal an handliche Familienkameras nicht ein Fotofestival für Profis.

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff Lumix hören? Ich jedenfalls denke erstmal an handliche Familienkameras. Wenn also ein Fotofestival diesen Namen trägt, vermute ich, es geht hier entweder darum, Knipserbilder auszustellen oder eine große Firma nutzt die Gelegenheit, um sich ausgiebig selbst zu feiern. Kein erkennbarer Grund also, so ein Festival aufzusuchen. Oder doch?
Dass man mit soviel Voreingenommenheit ganz falsch liegen kann, zeigte mir ein Besuch der zweiten Ausgabe dieser Veranstaltung in Hannover. Das Lumix-Festival wird zwar augenscheinlich von Panasonic gesponsored, doch ist der eigentliche Gastgeber die örtliche Fachhochschule, wo ein Ausbildungsschwerpunkt im Bereich Fotografie auf dem Fotojounalismus liegt. Zu sehen gab es eine ganze Reihe interessanter Ausstellungen dieser Disziplin. Leider gehört deren publizistische Blüte in den Printmedien schon lange der Vergangenheit an, daher erklärt sich sicher auch die Suche nach neuen Formen, von denen die in Multimediaformaten animierten Mischungen aus Bild, Film und Ton ? wie man sie etwa bei www.mediastorm.org findet ? in Zukunft das Rennen machen dürften. Ob das wirklich so ist, und wie man sich als Bildjournalist in Zukunft aufstellen muss, wurde in vielen Vorträgen und Podiumsdiskussionen während des Festivals ausgiebig thematisiert.  Außerdem gaben sich mehr oder minder prominente Vertreter der fotojournalistischen Praxis ein Stelldichein und standen den Besuchern Rede und Antwort.
Man kann also festhalten: Trotz des lächerlichen Namens handelt es sich um eine ernstzunehmende Veranstaltung. Eine zudem, die mit höchster Professionalität durchgeführt wurde. Doch das sei nur am Rande bemerkt.

Die Abschreckung durch den Namen hat auch andere Konsequenzen: So fanden sich hier zum Beispiel kaum typische Fotofestivalbesucher. Jene Foto-Nerds erkennt man leicht an den besonders langen Objektiven ihrer Kameras, die sie auf dem gewölbten Wohlstandsbauch vor sich hertragen. Im Gegensatz dazu bestand das anwesende Lumix-Publikumzum Großteil aus jungen Menschen im Alter zwischen Oberstufe und erstem Hochschulabschluss. Seit der letzten Hochschulreform liegt das Ende dieses Lebensabscnitts etwa in den frühen Zwanzigern nicht mehr an deren Ende. Zwischen dem Jungvolk konnte man ein paar förmlicher gekleidete Geschäftsleute ausmachen, die aller Wahrscheinlichkeit nach zum Pool der Aussteller in der Halle zählten sowie die typisch ganz in schwarz gekleideten Berufskreativen. Wer ganz genau hinsah, fand zudem eine große Zahl an älteren Herren, die das karierte Hemd über der Cargohose trugen und sich alle Mühe gaben, mit den jungen Leuten optisch zu verschmelzen. Diese Berufsjugendlichen legten klar Zeugnis davon ab, dass viele der jungen Besucher nicht allein gekommen waren, sondern der Veranstaltung im Klassen- oder Kursverband unter Führung ihrer Lehrer bewohnten. Entsprechend spannend und bisweilen auch unfreiwillig erheiternd waren dann auch die Kommentare, die die Pädagogen ihren Schutzbefohlenen angesichts der ausgestellten Bilder in die Feder diktierten.


Wertet man diese Beobachtungen aus, ergibt sich ein spannendes Bild: Man sieht auf dem Festival das große Interesse der Jugend an dem Thema Fotojournalismus, einer wirtschaftlich ausgetrockneten Kunst. Vielleicht ist dieses Interesse intrinsisch, vielleicht aber auch zu einem nicht unerheblichen Teil der Begeisterung der Pädagogen geschuldet, die ihren Zöglingen mit diesem Medium einen Weg aufzeigen. Schließlich lässt sich die Welt zumindest ein Stück weit verbessern. Und wer möchte das nicht in jungen Jahren? Fotojournalismus erscheint zudem als Weg, dessen Rahmenbedingungen solange ausgesprochen cool und sexy zu sein scheinen, wie man die Frage der Wirtschaftlichkeit ausblenden kann.
Diesem Klischee kommt auch das Gezeigte entgegen. Bei einem Großteil der ausgestellten Bilder lässt sich klar ausmachen, dass hier ein Fotograf die Welt auf von ihm entdecktes Unrecht, Verbrechen an der Menschheit oder die unerhörten Härten des Alltags anderswo aufmerksam machen will. Bei den wenigen Ausstellungen, die etwas freudvollere Themen haben, oder die dargestellten Schrecklichkeiten ansprechender verpacken, dauert es dann auch nur wenige Minuten, bis sich der nächste Pädagoge davorstellt, der seinen Schülern erklärt, hier würde etwa die Ästhetisierung ? so schön sie auch sei ? nur vom Thema ablenken.
Fotojournalismus soll also ? wenigstens in der akademischen Disziplin ? auf Missstände klar und deutlich aufmerksam machen. Da die audiovisuellen Medien ihre Konsumenten zwischen den Werbeeinblendungen fast nur noch mit Berichten über Missstände in Krisenherden unterhalten, darf meines Erachtens durchaus die Frage gestellt werden, wer genau denn diese Bilder braucht, die von noch mehr Missständen Zeugnis ablegen. Auch wenn es sich dabei oftmals um andere Missstände handelt, die sich zudem weit außerhalb unserer alltäglichen Wahrnehmung befinden.
Ein unangenehmer Nebeneffekt, der sich ? zumindest bei mir ? nach Betrachtung der auf dem Lumix-Festival gezeigten Ausstellungen einstellt, ist der Wunsch, sich diesen Bilder zu entziehen. Man möchte nach den dritten im Bild festgehaltenen Grauen nicht noch genauer hinschauen, wie schrecklich die offenen Krebsgeschwüre afrikanischer Albinos aussehen, wie Menschen in Amerika an der Armutsgrenze hausen, wie ein kleines Mädchen bis zu Ihrem Tod gehen einen Hirntumor kämpft oder ein Erdbeben eine Stadt und ihre Bewohner in ein humanitäres Notstandsgebiet verwandelt hat.
Nicht dass es unwichtig wäre, diese Geschichten zu erzählen. Im Gegenteil. In homöopathischen Dosen genossen, bereichern sie die Weltwahrnehmung um eine wichtige Portion Realismus.
Aber man muss sich fragen, wenn man solche Erzählungen nicht als Freizeitpassion betreiben will, wie sich damit ein Leben finanzieren lässt. Die klassischen Abnehmer solcher Bildstrecken ? Supplements großer Tageszeitungen, kritische Wochen- und Monatsmagazine ? sind längst vom Markt verschwunden oder zumindest so sehr vom Aussterben bedroht, dass sie ihrer noch zahlenden Kundschaft eher weichgespülte Inhalte anbieten, um sie zum Kauf zu bewegen. Was bleibt, ist das Internet, aber hier herrscht in erster Linie eine Umsonst-Kultur. Auch Fotobücher sind kein Ausweg, die monatlichen Rechnungen zu bezahlen, weil die auch kaum jemand kauft.
Ich betone nochmal, dass die fotojournalistische Arbeit an sich wichtig ist, stelle aber in Frage, ob man allein davon überleben kann. Ich befürchte, den "aufrüttelnden Bildern" fehlt das zahlende Publikum, weil es letztendlich aufgrund der Überflutung mit stillen und bewegten Bildern aller Art abgestumpft ist ? Multimedia hin oder her. Auf dem Lumix-Festival setzt man sich mit diesen Problemen auseinander, aber eine Lösung scheint nicht absehbar. Warten wir also gespannt bis zum nächsten Jahr, ob die dritte Auflage des Festivals neue, zukunftsweisende Lösungsansätze bieten kann. Diesmal schien es nicht so.

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Christoph Künne

Christoph Künne ist Mitbegründer, Chefredakteur und Verleger der DOCMA. Der studierte Kulturwissenschaftler fotografiert leidenschaftlich gerne Porträts und arbeitet seit 1991 mit Photoshop.

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