Blog

Lügenpresse

Fotos und Montage: Doc Baumann

62 Luegenpresse

Mit Bildbearbeitung hat Doc Baumanns aktueller Kommentar nichts zu tun – höchstens insofern, dass er sich fragt, wie zutreffend das Bild ist, das wir uns aufgrund der Medienberichte von der Welt machen. Ist der Vorwurf „Lügenpresse“, der von vielen Wählern der AfD erhoben wird, tatsächlich zutreffend?

Die Erfolge der AfD bei den letzten Landtags- und Kommunalwahlen haben viele Menschen beunruhigt. Mich auch. Aber obwohl ich diese Partei, ebenso wie die Pegida-Bewegung, zu meinen politischen Gegnern zähle, denke ich nicht, dass Menschen plötzlich zu Rechtsradikalen geworden sind, die – wie Analysen der Wählerwanderungen zeigen –  bei der vorausgehenden Wahl SPD, Grüne, Linke und auch CDU gewählt hatten und nun  ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. Ich habe es von Anfang an für einen gravierenden Fehler gehalten, Menschen sofort in die Neonazi-Ecke zu stellen (und damit in diese Richtung zu treiben), die Ängste und Bedenken wegen der vielen zu uns kommenden Flüchtlinge haben.

Dass die nun AfD wählen oder bei Pegida mitmarschieren, sollte ein Signal sein, endlich mit ihnen zu reden, ihre Ängste ernst zu nehmen, mit Argumenten darauf zu antworten und für menschliche Zuwendung sowie moralische und politische Verantwortung zu werben – für Flüchtlinge, die nicht zum Spaß mit einem Rucksack voller Habseligkeiten ins kalte Deutschland gekommen sind, sondern weil ihnen in ihrer zerbombten Heimat der Tod droht.

Neben dem vagen Gefühl, von den Politikern nicht ernst genommen zu werden, teilen viele AfD-Wähler und Pegida-Anhänger die Ansicht, auch der Presse könne man nicht vertrauen. Als Journalisten – auch, wenn wir wissen, dass unsere Leser/innen uns durchaus ernst nehmen – macht mich das natürlich besorgt. Denn ich sehe durchaus ein paar Beispiele:

Vor ein paar Tagen wandte sich der Politiker Volker Kauder öffentlich gegen Antisemitismus und zunehmende antijüdische Ausschreitungen. Das finde ich gut. Er verschwieg nicht, dass diese Anti-Haltung auch bei vielen arabisch-stämmigen Männern zu finden ist. Das deutlich zu benennen, finde ich ebenfalls gut. Und er erklärte, natürlich dürfe man die Politik des Staates Israel kritisieren – was ich ebenfalls nur unterstützen kann. Aber, so ergänzte er, allzu oft sei diese Kritik nur ein Vorwand für Antisemitismus.

Da kann ich ihm zwar auch noch zustimmen – aber in der Praxis sieht es leider allzu oft danach aus, als würde einer Kritik an der israelischen Politik nicht mit Argumenten begegnet (oder ihr gar zugestimmt), sondern reflexartig wird Kritikern umgehend verbrämter Antisemitismus vorgeworfen. Und das finde ich gar nicht gut – vor allem, nachdem ich mir dort selbst ein Bild der Lage gemacht habe.

Vertritt man etwa die Position, das Beschneiden männlicher Kleinkinder sei eine archaische Genitalverstümmelung (genug Beschnittene beklagen später diesen Eingriff, gegen den sie sich nicht wehren konnten und der ihr Sexualleben beeinträchtigt), so wird nicht auf das Argument eingegangen, sondern entgegnet, ohne diesen Akt sei jüdisches (oder muslimisches) Leben in Deutschland nicht möglich. Dabei wird doch das Recht auf körperliche Unversehrtheit ganz vorn im Grundgesetz gewährleistet, in Artikel 2.

Würden die Christen tatsächlich kleine Kinder verspeisen – würde dann die Ausübung ihrer religiösen Praxis höher bewertet als der gesetzliche Schutz des Lebens? (Die Behörden im römischen Reich missverstanden Gerüchte über das Abendmahl so und waren ob dieser Barbarei entsetzt.)

Was hat das alles mit „Lügenpresse“ zu tun? Nun – ebenso, wie es den meisten Medien vor den Kölner Übergriffen auf Frauen durch arabische Männer als unangemessen erschien, über solche Ereignisse mit Nennung des Hintergrunds der Täter zu berichten, sieht es mit der Kritik an Israel noch immer so aus.

Das bedeutet nicht, dass menschenrechtswidrige Aktionen der Israelis generell verschwiegen würden. Es ist eine Frage der Symmetrie. Über jeden Angriff von Palästinensern mit Messern oder Schusswaffen auf Israelis wird in den deutschen Medien mehr oder weniger ausführlich berichtet. Dass solche Angriffe verurteilt werden, ist völlig in Ordnung, diese Kritik teile ich. Was können schließlich x-beliebige Passanten für die Politik ihrer Regierung (auch, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sie gewählt hat)?

Aber wie häufig erfahren wir aus den Medien darüber, dass der Staat Israel wieder einmal palästinensisches Land annektiert hat, eine neue völkerrechtswidrige Siedlung baut oder genehmigt, weitere Grenzmauern Menschen von ihrem Land trennt, oder wenn Siedler Palästinenser aus ihren Häusern vertreiben, sie verletzen, ihnen ihr Land rauben, ihre Ölbäume fällen? Diese Aktionen – die die UN immer wieder verurteilt hat – sind die Hauptursache dafür, dass junge Männer ohne Hoffnung und Lebensperspektive solche Anschläge verüben, wohl wissend, dass sie dabei erschossen werden.

Wenn man über das eine regelmäßig berichtet, darf man das andere nicht verschweigen. Diese Praxis ist zwar nicht direkt eine Lüge, weil ja nicht bestritten wird, dass es diese rechtswidrigen Enteignungen gibt – aber das Verschweigen der ganzen Wahrheit ist jedenfalls nichts, das die Medien glaubwürdiger machen würde. Die Befürchtung, ansonsten den Antisemitismus zu stärken, ist ehrenvoll – ich denke jedoch, langfristig wird er dadurch eher gestärkt.

Ob die Medien zuverlässig berichten, kann man nur beurteilen, wenn man den Gegenstand eines Berichts selbst sehr genau kennt. Erlauben Sie mir daher (nicht aus Narzissmus, sondern weil diese Voraussetzung bei Artikeln über die eigene Person in höchstem Maße gegeben ist), meine eigenen Erfahrungen heranzuziehen: Unter den zahlreichen Artikeln, die im Laufe der Jahre über mich erschienen sind, gab es kaum einen, der von A bis Z korrekt gewesen wäre. Damit meine ich, sofern das vorkam, keine Werturteile – die seien jedem Journalisten unbenommen. Aber fast immer gab es sachlich falsche Aussagen; nicht aus Bosheit oder weil sich eine Redaktion gegen mich verschworen hätte, sondern aus Selbstüberschätzung, weil etwas im Gespräch scheinbar verstanden worden war und der Nachfrage nicht bedurfte, was aber nur den Erwartungen des Journalisten entsprach und nicht aus dem folgte, was ich gesagt hatte.

Machen Menschen und Gruppen wiederholt diese Erfahrung, was ihre Darstellung in den Medien betrifft, so liegt die kurzschlüssige Annahme, dahinter stecke eine böse Absicht, nicht fern. Manche Forderungen von Pegida in der Anfangszeit erschienen mir durchaus diskussionswürdig; die Radikalisierung dürfte auch damit zu tun haben, dass sich kaum jemand dieser Diskussion gestellt hat. Dass das vorläufige Programm der AfD genug Punkte enthält, die ich erschreckend reaktionär finde, ist eine andere Sache. Ich glaube kaum, dass viele der Wähler, die sich vom sozialen Abstieg bedroht sehen, diese Aussagen vorher gelesen haben, die ihren Interessen zuwiderlaufen. Sonst hätten sie kaum AfD gewählt und wären zu Hause geblieben. (Auch für mich gibt es keine Partei, deren Liste ich mit Begeisterung ankreuze. Seit ich wahlberechtigt bin, habe ich notgedrungen immer das kleinere Übel gewählt. Aber gewählt habe ich.)

Um noch einmal auf die „Lügenpresse“ zurückzukommen: Viele AfD- und Pegida-Anhänger stört ja eigentlich weniger, dass die Medien etwas verschweigen oder etwas ihrer Ansicht nach Falsches verbreiten, sondern dass sie das nicht mit der politischen Haltung  tun, die sie selbst vertreten. Es gibt ja genug rechte und konservative Publikationen, die eben das schreiben, was bei der „Lügenpresse“ vermisst wird, und die ihrerseits das verschweigen oder angreifen, was nicht ins rechte Weltbild passt.

Die Ernsthaftigkeit von Aussagen sollte man immer an der Praxis derer messen, die sie äußern. Nun, wie sieht es mit der publizistischen Wahrheitsliebe der AfD aus? Kürzlich musste sie kleinlaut eine Unterlassungserklärung abgeben, weil ihre Ortsgruppe Nürnberg eine Schlagzeile der dortigen Zeitung so zitiert hatte: „Polizei erwischt Linksextreme bei Brandstiftung in Asylbewerberheim“. Tatsächlich hatte dort aber gestanden: „Jugendliche wollten Flüchtlingsheim in Brand stecken“. „Lügenpresse – halt die Fresse!“ Na eben!

Zeig mehr

Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

Ähnliche Artikel

10 Kommentare

  1. Ist es schon eine Lüge wenn etwas nicht gesagt wird? Haben Journalisten überhaupt die Zeit jedes und alles zu recherchieren über das sie schreiben wollen oder müssen? Ich stecke ja nicht im Journalismus drin, kann mir aber vorstellen, dass auch auf den Journalisten ein ständiger Druck herrrscht etwas liefern zu müssen. Das darf natürlich keine Entschuldigung sein für laxe Recherche. Aber dieser Druck führt ja auch dazu, dass schon mal etwas von anderen Quellen einfach übernommen wird. Wenn Ross und Reiter nicht, oder nur unzureichend genannt werden, erlaubt es den Lesern immer Raum mit eigenen Interpretationen auszufüllen. Und über nicht Gesagtes lässt sich trefflich diskutieren und interpretieren.

    1. Erstens habe ich ja eben nicht geschrieben, Verschweigen sei eine Lüge, sondern: „Diese Praxis ist zwar nicht direkt eine Lüge, weil ja nicht bestritten wird, dass es diese rechtswidrigen Enteignungen gibt – aber das Verschweigen der ganzen Wahrheit ist jedenfalls nichts, das die Medien glaubwürdiger machen würde.“
      Und zweitens ist es gewiss mehr als Zufall und Folge von Zeitdruck, wenn regelmäßig über jedes Palästinenser-Attentat berichtet wird, aber – abgesehen von Grundsatzartikel, fast nie über illegale Enteignungen und Siedlungsneubau im Einzelfall. Es ist diese Asymmetrie, gegen die ich mich wende und die ein falsches Bild der politischen Lage bewirkt. (Doc)

  2. Muss man jetzt wirklich auch schon in einem Magazin, dass sich hauptsächlich um Photoshop und Fotografie drehen sollte, über politische Themen informiert werden?

    Lieber Herr Baumann, ihre Meinung in allen Ehren und diese können Sie auch gerne über alle ihre sozialen Netzwerke verbreiten, aber selbstdarstellerische Politiktiraden haben auf einer Seite eines Bildbearbeitungsmagazins soviel verloren, wie eine Restaurantkritik auf Amazon.

    1. Ich stimme dem voll zu.
      Ich war erschrocken, mir das gleiche Gefasel, in einer Zeitschrift wie dieser anzuhören oder zu lesen.
      Ich höre viel Radio und sehe Fernsehen, da glaube ich das es voll reicht.
      Ich will mich voll entspannen und mein Hobby nachgehen, und werde dann wieder mit allen
      politischen Meinungen belästigt.
      Jetzt bin ich weiter am überlegen, solch eine
      Foto- oder politische Meinungszeitung zu abonnieren.

  3. Bildfehler!
    Die Spruchblase müsste perspektivisch sein, das
    zum hinteren Rufer zeigende „Zipfelchen“ entsprechend kleiner.
    Und wo ist der Schatten, den die Spruchblase wirft?
    Wie bitte? Das hier ist gar nicht die Rubrik „Bildfehler“ ?!
    Dz dz dz, immer diese Missverständnisse…

  4. Bildfehler 2
    Diese Bildmontage ist einem Magazin vom Kaliber Docma unwürdig. Wenn schon alles braun eingefärbt wird, dann aber bitte in einer Qualität die wir hier gewohnt sind. Die Ränder sind mit Verlaub sehr schlampig bearbeitet. Der Kragen im Nacken, also wirklich! 😉

  5. erst einmal ein freundliches hallo an alle denn so viel zeit muss sein.sicherlich ist das gezeigte titelbild nicht die arbeit eines profis, im kern geht es um etwas ganz anderes.
    politik ist schlimm…doc baumann ist schlimm…seine montage ist schlimm…alles schlimm „ironie off“
    schlimm finde ich wenn ich über fotos stolpere wo ich mich fragen muss „ist das wirklich so“
    vielleicht habt ihr ja lust euch das mal etwas genauer anzuschauen.achtet mal auf den baum im hintergrund, die stromleitungen, und ein gebäude. so viel zum bildaufbau.
    schwarze ränder an den flammen.
    ich möchte jeglichen politischen hintergrund hiermit meinerseits ausschließen.es geht mir an dieser stelle nur um die foto’s.
    vielen dank doc baumann für jahrelanges vermitteln von fachwissen, meinen dank auch an die redaktion…ihr macht einen guten job.
    so und hier zu den link’s

    Selbstverbrennungs-Versuch in Idomeni
    http://www.oe24.at/welt/Selbstverbrennungs-Versuch-in-Idomeni/228936666

    Zwei Flüchtlinge zünden sich an
    http://www.tagesspiegel.de/politik/verzweiflung-in-idomeni-zwei-fluechtlinge-zuenden-sich-an/13354642.html

    was meint ihr dazu???
    viele grüße aus berlin

  6. @pueppimaus: …du stimmst „voll zu“, und du möchtest dich „voll entspannen“ und du bist „am überlegen“… wenn ich so ein schreckliches Deutsch lesen muss, vom Inhalt ganz zu schweigen – der bleibt dir unbenommen, dann kriege ich Pickel!
    Der Artikel von Doc Baumann ist kein Gefasel, sondern seine Meinung, die er fundiert zum Ausdruck bringt. Das macht guten Journalismus aus. Ich lese gerne diese Fachzeitschrift bei der ich weiß, wes Geistes Kind dahinter steht. @Doc Baumann: Weiter so! LG

  7. riah: „…Der Artikel von Doc Baumann ist kein Gefasel, sondern seine Meinung, die er fundiert zum Ausdruck bringt. Das macht guten Journalismus aus. Ich lese gerne diese Fachzeitschrift bei der ich weiß, wes Geistes Kind dahinter steht. @Doc Baumann: Weiter so! LG…“

    DIESEN SÄTZEN KANN ICH MICH VOLL UND GANZ ANSCHLIESSEN.
    LG

  8. Herzlichen Dank für Ihre differenzierten Gedanken zu unsere Medienlandschaft.
    Ihre kritische Auseinandersetzung mit unserer Presse, zu der als wesentliches Element das Bild/Foto gehört, sollte durchaus einen Platz in DOCMA haben. Das Bild/Foto ist Teil unserer Medienlandschaft und durchaus nicht unpolitisch und fern jeglicher Möglichkeit, damit „Meinung zu machen“ oder gar zu manipulieren.
    MfG ?

Schreiben Sie einen Kommentar

Bitte melden Sie sich an, um einen Kommentar zu schreiben.

Das könnte Dich interessieren
Close
Back to top button