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Grau-sames Design

26 Grau

Typographie und Gestaltung haben – wer hätte das gedacht? – etwas mit Kommunikation zu tun. Also damit, den Betrachtern eine Botschaft zu übermitteln und ihnen deren Aufnahme möglichst leicht zu machen. Angesichts grau-in-grauer Websites und Programmoberflächen beginne ich daran zu zweifeln, ob deren Designer wirklich etwas vermitteln wollen.

 

In der Theorie ist alles klar: Text und Grund sollen einen starken Kontrast zueinander aufweisen, um den Lesern das Erkennen und Lesen der Buchstaben so leicht wie möglich zu machen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Inhalt zur Kenntnis genommen und im besten Fall verstanden wird. (Erinnert sich noch jemand an die frühe MS-DOS-Oberfläche? Hässliche grüne Buchstaben auf schwarzem Grund. Nicht zuletzt deswegen habe ich 1984 einen Mac gekauft, mit klaren schwarzen Lettern auf weißem Grund.)

Nun gibt es durchaus eine Textvariante, die erfahrungsgemäß dieser Regel zuwiderläuft: Solche Texte sind winzig klein, kompress gesetzt, auf durchscheinendes Papier gedruckt, so dass Elemente der Rückseite störend durchschlagen – und natürlich grau gedruckt. Wer macht denn so was, wenn er will, dass sein Text gelesen und verstanden wird? Eigentlich niemand. Weswegen man mit guten Gründen vermuten darf, dass Versicherungsgesellschaften, die ihre Ausschlussklauseln und Vertragsbedingungen dergestalt auf der Rückseite ihrer Vertragsformulare unterbringen, nicht nur Platz sparen wollen, sondern auch alles dafür tun, dass niemand sie wirklich liest.

Mit dieser Absicht im Hintergrund kann das Nicht-Lesen der Versicherungsbedingungen als gelungene Umsetzung der gestalterischen Intention bezeichnet werden. Aber eigentlich sollte das die Ausnahme sein. Wie gesagt: In der Theorie ist alles klar. Doch: „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie und grün des Lebens gold’ner Baum“, wie schon Mephisto zu Faust sagte.

Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, fing diese Design-Mode, Texte möglichst schwer lesbar zu machen, mit Photoshop an. Erfreulicherweise kann man dort noch immer die schlichte, alte Variante der schwarzen Schrift auf hellgrauem Grund einstellen. Bei anderer Software geht das nicht mehr. Vor einiger Zeit erhielt ich ein Programm zum Test, dessen Beschriftung für mich einfach nicht mehr lesbar war. Der Kontrast der etwas-heller-grauen Schrift auf dem etwas-dunkler-grauen Grund war so gering, dass ich einen Screenshot machen musste, ihn in Photoshop öffnete und eine Kontrastkorrektur vornahm. Danach schälte sich wie bei einem alten Pergament langsam Erkennbares heraus.

Da der Umweg über Screenshot und Kontrastkorrektur vielleicht nicht der benutzerfreundlichste Weg beim Umgang mit Software ist, halte ich diese Mode einfach für töricht. Selbst auf der Webseite einer Autorin, die sich beruflich mit Kommunikation befasst, kam ich nicht weiter und rief sie lieber an, weil ich nichts erkennen konnte.

Nun mögen dabei mein Alter und die Tatsache, dass meine Augen nicht mehr die allerbesten sind, eine gewisse Rolle spielen. Aber da ich nicht der einzige Brillenträger weit und breit bin und Rücksichtnahme auf Behinderte allerorten gefordert und mitunter sogar realisiert wird, stehe ich mit meinem Problem wohl auch nicht ganz allein da.

Warum macht man so was überhaupt? Dass man einen N. im Tunnel nicht erkennen kann, ist politisch zwar nicht korrekt, aber dennoch sprichwörtliches Allgemeinwissen. Nun, liebe Designer, ich habe eine sensationelle Neuigkeit für euch: Das gilt nicht nur für schwarz auf schwarz, sondern auch für grau in grau! Und versucht es erst gar nicht in blau auf blau oder rot auf rot, auch das klappt nicht. Grau auf grau soll edel aussehen, hat mir mal jemand gesagt. Aber ob das edel aussieht, wenn ich es trotz – oder wegen – dieses hohen Anspruchs gar nicht erst lesen kann, ist mir ziemlich egal (um meine Ablehnung nicht eindeutiger in Worte fassen zu müssen, die ebenfalls politisch nicht korrekt wären). Für mich ist das einfach schlechte Gestaltung, weil ihr modischer Firlefanz wichtiger ist als Kommunikation. Grau-sam!

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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Kommentar

  1. Mit grau auf grau ist es in der schriftlichen Kommunikation ähnlich, wie mit laut und leise in der mündlichen Unterhaltung. Klar wird ein lautes Wort leicht verstanden.

    Jedoch verliert es genau dadurch auch an Interesse bei den Zuhörenden. Das Gehirn ist nicht soVerfügungordert und sucht sich noch andere Herausforderungen.

    Nicht um sonst lernt man als Dozent deshalb mit der Lautstärke zu spielen und besonders wichtige Inhalte etwas leiser vorzutragen um die Konzentration bewusst zu steigern. Dabei ist es jedoch auch wichtig, dass die Informationen auch auf anderem Wege noch klar zur Verfügung stehen, um z.B. gerade Schwerhörige nicht auszuschließen, sondern diese auf die begleitenden Unterlagen zu lenken…

    Das Problem liegt wie bei allem in der Verallgemeinerung. Wenn ich den kompletten Vortrag leise führe, dann fehlt der Kontrast zu „Normalnull“. Dann verliere ich nicht nur das Interesse der Schwerhörigen, sondern es wir einfach nur müßig, den Informationen zu folgen…

    Gleiches gilt auch für visuelle Kommunikation. Wenn etwas besonderes wie grau auf grau zum Normalfall wird, dann erziehle ich anstatt des Betonens genau den Effekt, den Vertragsformulare mit ihrem kleingedruckten bewusst erzielen möchten, nämlich Informationen nicht zu übermitteln…

    Alles eine Frage der Relation und des Einsatzzwecks. Bei einem Notausgansschild ist grau auf grau sicherlich ungeeignet, bei einer Visitenkarte kann es durchaus auch etwas (nicht alles) betonen…

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