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Echt oder Fälschung?

Hat das Turiner Grabtuch tatsächlich den Leichnam Jesu eingehüllt
oder ist es eine mittelalterliche Fälschung?


Sollten Sie sich jetzt fragen, warum ausgerechnet ich dazu in der Lage sein könnte, etwas zu dieser schwierigen Frage beizutragen, würde ich das gut verstehen. Schließlich erwirbt man als Photoshop- Fachmann ? selbst wenn man sich für digitale Fälschungen interessiert ? nicht unbedingt die Kompetenz, etwas zur Authentizität des Turiner Grabtuchs zu sagen.
Allerdings befasse ich mich als Kunstwissenschaftler seit zwanzig Jahren mit diesem Objekt. Eigentlich sollte in diesem Frühling ein Buch zu dem Thema erscheinen, bei dem ich einer der beiden Autoren gewesen wäre. Der andere ist der Herausgeber des Vatican- Magazins. Nicht weiter erwähnenswert, wäre er nicht ? natürlich ?überzeugter Christ und ich Atheist. Da ich über das Erscheinen des Buches im Konjunktiv schreibe, ahnen Sie: Es ist als Gemeinschaftsprojekt schließlich doch nicht zu Stande gekommen; die Differenzen der Ansätze waren zu groß.
Nun ist DOCMA sicherlich nicht das geeignete Forum, um meine Ergebnisse hier ausführlich vorzustellen. Daher möchte ich mich im Anschluss an das Interview mit Hans Weishäupl vor allem auf die derzeit mal wieder ausgiebig diskutierte Frage beschränken, ob das Tuch echt ist (in dem Sinne, dass einst die Leiche Jesu darin eingeschlagen war) oder eine mittelalterliche Fälschung. Zahlreiche Journalisten, ob mit oder ohne Vorkenntnisse, haben sich in den letzten Wochen mehr oder weniger kompetent zu diesem Problem geäußert und dafür die populären Grabtuch- Bestseller quergelesen, die seit vielen Jahren immer wieder dieselben, (zumindest Interessierten) altbekannten Geschichten und Behauptungen aufwärmen.
Zentrale Fragen werden dabei allzu häufig übersehen, ausgeklammert oder einseitig angegangen ? etwa jüdische Rechtsprechung unter römischer Provinzialverwaltung, römisches Strafrecht, jüdische Begräbnissitten, die Topographie Jerusalems im ersten Jahrhundert und so fort. So wäre es bereits äußerst unwahrscheinlich, hätte Roms Präfekt Pontius Pilatus den Leichnam eines Hingerichteten kurz nach dessen Tod zum Begräbnis freigegeben, da das entehrende Hängen am Kreuz Bestandteil der Strafe war. Dies ist nur einer von zahllosen Einwänden.
Gravierende Argumentationsmängel hinsichtlich historischer oder naturwissenschaftlicher Fakten oder logischer Stringenz kommen allerdings nicht nur von Vertretern der Echtheit des Turiner Grabtuchs, sondern auch von Kritikern. Obwohl ich selbst eine skeptische Position einnehme, halte ich es etwa für völligen Unsinn, aus einer kürzlich ? mehr oder weniger überzeugend ? gelungenen Nachahmung des Tuchbildes den Schluss zu ziehen, damit sei wissenschaftlich bewiesen, dass das Tuch eine Fälschung ist.
Diese Behauptung ist etwa so überzeugend, als würde man sagen, die Vermeer- Fälschungen des Holländers van Meegeren, die in den Vierzigerjahren viele hinters Licht geführt haben, seien der Beweis dafür, dass Vermeer nie selbst gemalt habe.
Kritiker, die das Tuchbild für ein Gemälde des 14. Jahrhunderts halten, sind offenbar wenig vertraut mit gotischer Kunst. Wenn jedoch ? wie etwa auch im Buch von Martinez und Weishäupl ? festgestellt wird, es könne gar nicht gemalt sein, weil man keine Farbpigmente gefunden habe, so ist das falsch. McCrone hat 1979 solche nachgewiesen, wenn auch nicht unwidersprochen, aber sie lassen sich ohne Weiteres als Übertragungen beim Auflegen von Kontaktreliquien erklären ? gemalten Tüchern, die so etwas von der Heiligkeit des Originals aufnehmen sollten.
Ebenso wenig stimmt die in diesem Buch aufgestellte Behauptung, im Mittelalter habe es keine Kreuzigungen mehr gegeben. Richtig ist, dass Konstantin sie als Todesstrafe abgeschafft hat; die Muslime setzten sie zur Zeit der Kreuzzüge aber durchaus noch ein.
Phantasievolle Schlüsse werden von Echtheits-Befürwortern aus der Beobachtung gezogen, dass die Färbung des Tuchs gewisse ?3D-Informationen? enthalte. Richtig daran ist, dass die hellen und dunklen Stellen ? insbesondere nach Negativumkehrung und Kontraststeigerung ? in Höhen und Tiefen umgesetzt werden können (Bild oben, siehe dazu auch die Vorgehensweise in Photoshop Extended auf Seite 50). Ich habe solche Analysen bereits 1994 mit CyberMesh vorgenommen und publiziert.
Richtig ist, dass das Tuchbild bei einer 3DUmsetzung anders reagiert als ein Foto oder Gemälde, das Licht- und Schatteninformationen zeigt und nicht, wie wahrscheinlich das Grabtuch, die Entfernung zwischen Körper und Bildträger in Helligkeitswerte umsetzt. Allerdings können Sie selbst leicht mit Photoshop Extended ausprobieren, wie stark das Bild vorab retuschiert, gefiltert und bearbeitet werden muss, bis ein halbwegs überzeugendes Gesicht entsteht (Bild oben).
Um abschließend kurz meine Hauptthese anzureißen: Es gibt weder historische noch naturwissenschaftliche und schon gar keine logischen Gründe dafür, dass das Turiner Tuch entweder ?echt? ist (also den Leichnam Jesu eingehüllt hat) oder eine (mittelalterliche) Fälschung. Das wäre ? als grobe Analogie ? etwa so, als entdecke man ein Gemälde im Stil von Rembrandt und böte nur die beiden Alternativen an: entweder von der Hand des Meisters geschaffen oder später als Rembrandt-Fälschung betrügerisch produziert ? ohne daran zu denken, dass es von einem seiner Schüler stammen könnte, entstanden ganz ohne jede böse Absicht.
Die Begründungen für meine These wären für einen DOCMA-Artikel zu umfangreich. Aber vielleicht schreibe ich ja irgendwann doch noch mal ein Buch zu diesem Thema.


Ein Interview mit Hans Weishäupl zu seinem Projekt ?Son of God? mit einer fotografischen Rekonstruktion des Manns in Grabtuch und zahlreichen Abbildungen dazu finden Sie in der aktuellen DOCMA-Ausgabe ab Seite 122.


Hat das Turiner Grabtuch tatsächlich den Leichnam Jesu eingehüllt oder ist es eine mittelalterliche Fälschung?

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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