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Calvin Hollywood, Autodidakten, Schrottbilder und Spottpreise

Unsere neue Workshop-Reihe von Calvin Hollywood im DOCMA-Magazins soll ambitionierten Amateuren Schlüsseltechniken der Bildbearbeitung vermitteln, ohne zu sehr auf die technische Seite einzugehen. Zu diesem Konzept erreichte uns ein sehr kritischer Leserbrief, den Doc Baumann hier beantwortet.

Sehr geehrte Damen und Herren,
Workshops von, mit und für Profis gern, aber diese arbeiten nondestruktiv und wissen, was warum gemacht wird. Calvin Hollywood verkauft sich gern und erfolgreich als derjenige, der unsere Branche beim Kunden lächerlich macht und suggeriert, dass jeder Dank seiner DVDs und Youtube-Tutorials qualifizierte Grafiker ersetzen und ihnen den Marktwert kaputtmachen kann. Viele Kunden glauben mittlerweile gerade wegen solcher Leute, dass wir uns Spottpreise diktieren lassen müssen, weil so viele Halbwissende sich jetzt mit vielen bunten Bildern auf den Markt stürzen, technisch aber Schrott verkaufen. Wenn Calvin Hollywood, der selbst sagt, dass er ungelernter Autodidakt ist, sich selbst zum Profi hypen kann und das hier auch noch aus technischer Sicht Pfusch unterstützt und durch Veröffentlichung als amtlich abgenickt wird, zweifle ich daran, dass sich Docma tatsächlich an Profis richtet und vielmehr in die Posaune bläst: seht her, nach dem Tutorial könnt ihr euch auch Designer nennen und Preise und Ruf einer Branche kaputt machen.
Das ist doch nicht wirklich der Anspruch?! (www.freiefotografie.org/freie_fotografie/wasser_zu_wein)

Robin Preston und ähnliche Liga gerne.

Claas Peters
Sehr geehrter Herr Peters,
das ist eine interessante Sichtweise, die Sie da von Calvin Hollywood und seinem möglichen Einfluss auf die Branche haben – ich muss zugeben, dass ich das so noch nie gesehen habe. Und ich habe bisher auch noch nie gehört, dass seine Art zu arbeiten oder sich zu präsentieren auf diese Weise rezipiert würde. Was nicht bedeutet, dass Sie unrecht hätten; ich weiß es einfach nicht.
Das erinnert mich an die Anfänge des DTP – ich habe 1986 das erste Buch in Deutschland mit dieser Technik gemacht –, da hat Apple noch damit geworben, nun könne jede Sekretärin professionelle Druckwerke gestalten. Was ist seitdem geschehen? Zahllose Machwerke auf Schülerzeitungsniveau werden produziert, aber das hat nicht dazu geführt, dass es keine hochwertige Typographie und Layouts mehr gäbe. Schülerzeitungen und kleine Einzelhändler würden ohnehin nie teure Layouter engagieren können, und dank der schlimmen Machwerke lernt man, den Unterschied zu guter Typo zu erkennen und zu schätzen. Auch die schlechten Layouter sehen den wohl irgendwann und entwickeln sich weiter (wenn auch nicht alle).
Calvin Hollywood – mit dem ich anfangs allein seines schillernden Künstlernamens wegen durchaus meine Probleme hatte – ist Autodidakt, OK. Aber bedeutet das allein schon etwas? Ich gelte als Photoshop-"Papst" – aber was digitale Bildbearbeitung betrifft, bin ich ebenfalls Autodidakt. Klar, ich habe ein abgeschlossenes Kunststudium und bin promovierter Kunstwissenschaftler, aber das allein hilft beim Umgang mit Photoshop wenig. Wer hätte mir da auch 1984 etwas beibringen sollen? Ich habe mich eingearbeitet, mein Wissen praktisch und theoretisch vertieft und ab 1987 selbst als Autor begonnen, andere zu "belehren". (Viele, die heute erfolgreich mit Photoshop arbeiten, als Autodidakten oder mit anderer Basisqualifikation, haben ihre "Ausbildung" mit meinen Workshops und Büchern begonnen, lange vor DOCMA. Autodidakt zu sein ist also an sich nichts Schlimmes – und wenn ich mir manche "Lehrer" in diesem Bereich anschaue, die ausbilden und Wissen zertifizieren …)
Mit den Schrottpreisen ist es bei der Bildbearbeitung wie bei dem oben erwähnten DTP: Einerseits verbreitet sich das Know-how durch immer einfacher zu handhabende Werkzeuge auch bei Laien, die damit Ergebnisse erzielen, die früher erheblichen professionellen Aufwand erfordert hätten. Vieles davon ist Mist, anderes Durchschnitt, manches hervorragend. (Man sieht das bei den Einreichungen des DOCMA Awards, was die Selbsteinstufung in die Teilnehmerklassen betrifft. Durchaus nicht jeder "Meister" ist besser als ein guter "Lehrling".) Wer kein Geld für Bildbearbeitungsaufträge hat, macht das selber oder lässt den Bekannten ran – würde aber nie einen Profi beauftragen.
Dennoch sind Ihre Überlegungen nicht falsch. Natürlich gibt es einen Preisverfall, ebenso, wie es erhebliche Probleme für Fotografen gibt, seit preisgünstige Bilddatenbanken Fotos für ein paar Euro anbieten. Ich verwende für einen Workshop doch auch lieber ein Bild für 6 Euro, als das  Zehn- oder Hundertfache auszugeben, ohne dass es um diesen Faktor – für meinen Zweck – besser wäre. Die eine Gruppe leidet unter dieser Entwicklung, die andere profitiert davon. Längst bieten asiatische Firmen für ein paar Euro brauchbare Freistellungen an. Man mag diese Entwicklung und die Zeichenknechte bedauern, aber das hält das Rad der Geschichte nicht auf.
Wir haben in den letzten 15 Jahren immer wieder die Erfahrung gemacht, dass viele der von Ihnen genannten Profis oft wenig Wert auf tiefschürfende Tutorials legen, wie DOCMA sie anbietet und weiter anbieten wird. Angesichts des Produktionsdrucks suchen viele nach leicht und schnell umsetzbaren Rezepten, ohne den Anspruch, unbedingt zu verstehen, was da gerade geschieht und warum das Ergebnis so aussieht. Diesem Bedürfnis kommen wir zum Beispiel mit dem von Christoph Künne entwickelten Raw-System nach. Ich persönlich schätze diesen Rezeptcharakter wenig und habe keinen Bezug zu den so entstehenden "Looks" – aber es gibt zahllose begeisterte Anwender, darunter viele Profi-Fotografen, die mit diesem Raw-System und 300 Looks/h sehr glücklich sind und denen es bei der zügigen Abwicklung ihrer Aufträge hilft.
Von daher gibt es also durchaus auch bei Profis ein deutliches Bedürfnis nach Tutorials dieser Art – wobei für uns zudem zu bedenken ist, dass eine leichte Mehrheit unserer Leser keine Profis, sondern ambitionierte Amateure und zum kleineren Teil auch Einsteiger sind. Auch denen müssen und wollen wir umsetzbare und verständliche Verfahren vorstellen. Und dazu passen die Bilder und Anregungen von Calvin Hollywood durchaus. (Daher der Rubrikenname "Schlüsseltechniken".)
Ihre Befürchtung, dass durch Schrott der Ruf der Branche leidet, teile ich nicht. Der Ruf der Literatur leidet auch nicht unter Groschenheftchen; es gibt eben gute und schlechte Texte. Wie ich in meiner Bildkritik leider in jedem Heft aufs Neue vorführen muss, sind es aber immer wieder die von großen Konzernen in Auftrag gegebenen und von ausgebildeten Grafikern/Fotografen in anerkannten Agenturen umgesetzten Anzeigenmontagen, die aus meiner Sicht tatsächlichen Schrott sind und den Ruf der Branche leiden lassen könnten. Denn diese Leute schätzen sich selbst eben nicht als "ungelernte Autodidakten" ein, sondern als "Profis" – man sollte die Anwender nicht allein nach ihre Ergebnissen beurteilen, sondern auch an ihrem Anspruch messen.
Wie gesagt, diese Überlegungen laufen nicht notwendig darauf hinaus, dass Ihre Anmerkungen falsch wären – aber sie relativieren sie doch ein wenig. Oder?
Mit freundlichem Gruß
Doc Baumann
Meine Antwort an den Absender kam umgehend als nichtzustellbar zurück, da die angegebene Mail-Adresse nicht existiert. Ich weiß daher nicht einmal, ob das Aschreiben tatsächlich von Herrn Peters kommt oder ob jemand unter fremdem Namen seinen Unmut rauslassen wollte. Egal – meine Antwort darauf gilt so oder so.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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