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Bilder anschauen kann tödlich sein

Es geht, wieder einmal, um die Kennzeichnung digital bearbeiteter Fotos. Diesmal sind es die Franzosen, die in ihrem Kampf gegen den verderblichen Einfluss von Mager-Models der Modebranche die Medien dazu verpflichten wollen, veröffentlichte Fotos, bei denen etwa mit Photoshops „Verflüssigen“ die allerletzten Fettreste abgesaugt wurden, mit einem Warnhinweis zu versehen: „Bearbeitet mit einem Bildprogramm“.

Foto: SL ADV – Fotolia

 

Nun ist ein Bildprogramm nicht ganz das, was die Initiatoren sich darunter vorstellen. Laut Wikipaedia: „Bildprogramm nennt man in der Kunstgeschichte die thematische Unterordnung der Einzelbilder eines Zyklus (…) unter ein Leitmotiv.“ Aber egal, das kann auch ein Übersetzungsfehler sein.

Viel interessanter ist der Kern der Forderung. Wo wir schon gerade bei der Kunstgeschichte sind: Warum verlangt niemand, dass neben Gemälden ein Schildchen hängt „Das hier Abgebildete sieht in Wirklichkeit nicht genau so aus“? Weil der Charakter eines Gemäldes bereits impliziert, dass es sich dabei um die subjektive Sichtweise und Umsetzung eines Künstlers handelt, und weil kaum jemand eine 1:1-Wiedergabe erwartet. Ein Foto ist zwar einerseits auch eine subjektive Interpretation sichtbarer Realität, aber gleichzeitig hat es einen objektiven Charakter und gibt Sichtbares optisch getreu wieder.

Ein digital bearbeitetes Foto jedoch wird in der Regel von den meisten Betrachters unreflektiert vor allem als Foto wahrgenommen; trotz des prinzipiellen Wissens, dass Fotos manipulierbar sind. Gibt es keine erkennbaren oder erwartbaren Hinweise auf Manipulation, gehen die meisten wohl schlicht davon aus: So hat es ausgesehen! Bilder überschlanker Models, bei denen die Beine mehr als die Hälfte der Körpergröße ausmachen, stellen da keine Ausnahme dar.

Es wäre unsinnig zu leugnen, dass solche Bilder (ebenso wie jene Models selbst, die sich auf einen beängstigenden Body-Mass-Index heruntergehungert haben) für viele Frauen und junge Mädchen Vorbildcharakter haben. Was dann zu einem völlig abwegigen Selbstbild und zu krankhaftem Verhalten führen kann, bei dem sich selbst bis auf Haut und Knochen Abgemagerte noch immer als zu dick wahrnehmen. Das sind zweifellos schlechte Vorbilder – im Extremfall mit tödlichen Ausgang. (Bei unserem Bildbeispiel oben ist dürfte der Body-Mass-Index akzeptabel sein – aber wer zieht wo die Grenze?)

Also alles klar? Die bearbeiteten Fotos sollen schließlich nicht verboten werden, nur als solche gekennzeichnet. Alles halb so schlimm. Oder nicht? Denn es stellt sich doch die Frage: Warum sollen von allen manipulierten Bildern ausgerechnet diese mit einem warnenden Zusatz versehen werden? Warum nicht etwa auch Werbeanzeigen, die Produkte und ihr Umfeld schönen? Und warum soll nicht unter allen Wahlplakaten, die glattgebügelte, entfaltete und entwarzte Politiker/innen zeigen, deutlich zu lesen sein: „Bearbeitet mit einem Bildprogramm“?

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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