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Alles so schön bunt hier

21.0 Aufmacher
Spektralexperimente lassen sich auch ohne Dunkelkammer mit Photoshop realisieren | alle Bilder: Doc Baumann

Ein Spektrum ist scheinbar eine einfache Angelegenheit: Sie schicken weißes Licht durch ein Prisma, und hinten kommen aufgefächert die bekannten Regenbogenfarben heraus. Einfarbige Strahlen dagegen werden im Spektrum nur erneut abgelenkt, behalten aber ihre Farbe bei. Doch haben Sie schon mal Schwarz oder Weiß in einem Spektrum gesehen?

Alles, was Sie für dieses kleine Experiment brauchen, ist ein Prisma – gibt’s etwa bei Ebay für rund 20 Euro –, einen Monitor und Photoshop (nun gut, für diesen Zweck reicht ausnahmsweise auch ein Gratis-Bildbearbeitungsprogramm).

Bereiten Sie ein Bild vor, das aus einem kleinen Quadrat auf einem großen Quadrat besteht. Um beide möglichst einfach umfärben zu können, setzen Sie das kleine auf eine neue Ebene – oder noch einfacher: Erzeugen Sie eine zweite Ebene, auf der eine Ebenenmaske das kleinere Quadrat in der Mitte frei lässt.

21.1 Schwarz auf weiß
Abb. 1  Schwarz auf weiß

Beginnen Sie mit einem schwarzen Quadrat auf weißem Grund (Abbildung 1, linke Seite). Halten Sie nun Ihr Prisma vor den Monitor, und zwar so, dass seine breite Seite ungefähr parallel zur Bildschirmfläche ausgerichtet ist; schauen Sie dann durch die untere Seite des Prismen-Daches. Was Sie dort sehen, zeigt Ihnen Abbildung 1 auf der rechten Seite: Am oberen Rand erblicken Sie ein türkis-violettes Spektrum, am unteren ein rot-gelbes. Drehen Sie das Prisma ein wenig um seine waagerechte Achse, erscheint das Quadrat – und mit ihm die Spektren – in die Länge gezogen.

21.1.1 Dunkelkammer
Abb. 2  Wie in der Dunkelkammer

Diese Art von Spektren nennt man Kantenspektren. Sie sind weitaus einfacher zu erzeugen als solche in einer Dunkelkammer mit gerichteten Lichtstrahlen und Projektionsschirmen. Allerdings lässt sich ein solcher Aufbau auch am Monitor nachahmen, wie Bild 2 zeigt: Erzeugen Sie auf schwarzem Grund (der der Dunkelkammer entspricht) einen schmalen waagerechten weißen Banken und bearbeiten Sie ihn mit dem »Gaußschen Weichzeichner« so, dass seine Mitte gerade noch weiß bleibt. Der Blick durchs Prisma gleicht dann weitgehend dem in der Dunkelkammer auf den Projektionsschirm (rechte Hälfte).

Da der Schirm bei dieser Art von Experiment durch Ihr Auge ersetzt wird, spricht man von einem subjektiven Experiment. Das hat aber nichts mit einer persönlichen oder willkürlichen Sichtweise zu tun; es ist genauso reproduzierbar wie die objektive Version. Außerdem lässt sich das Bild, wie Abbildung 8 zeigt, durchaus auch durch das Prisma fotografieren – wenn die Farben hier auch nicht so schön sind wie die der in Photoshop nachvollzogenen Spektren.

21.2 Weiss auf Schwarz
Abb. 3  Weiß auf Schwarz

Invertieren Sie Bild 1, wird aus dem weißen Quadrat auf schwarzem Grund ein schwarzes auf weißem (Bild 3). Die Kantenspektren wechseln ihren Platz: Rot-Gelb wandert nach oben, Türkis-Violett nach unten.

21.3 Betr.d.Spektren1
Abb. 4  Spektrum durchs Prisma betrachtet

Am Monitor ist es wesentlich einfacher als in der Dunkelkammer, das entstandene Spektrum seinerseits durch ein Prisma zu betrachten (Bild 4). Die Farben bleiben erhalten, aber die Höhe des Spektrums verdoppelt sich.

21.4 Blau auf Gelb
Abb. 5  Blau auf Gelb

Statt der schmalen Spektren-Bänder können wir in Photoshop leicht Quadrat und Hintergrund selbst großflächig färben und schauen, was dann passiert. In Bild 5 liegt ein blaues Quadrat auf gelbem Grund; die entstehenden Kantenspektren sind oben Grün-Schwarz, unten Magenta-Weiß! Da haben Sie also Schwarz und Weiß in einem Spektrum. (Weist man die Farben nur per Sichtkontrolle zu und nicht exakt numerisch in Photoshops »Farbwähler«, können statt Schwarz und Weiß schmutzige Mischfarben entstehen (wie beim CMYK-Druck ohne K-Komponente).

21.5 Tuerkis auf Gelb
Abb. 6 Türkis auf Gelb

Machen Sie (Abbildung 6) das Quadrat türkis, werden die Spektren einfarbig: oben grün, unten weiß. Bei Rot auf Blau (Abbildung 7) erhalten Sie oben Magenta, unten Schwarz, also die Komplementärfarben.

21.6 Rot auf Blau
Abb. 7  Rot auf Blau
21.7 Fotografiert
Abb. 8  Durchs Prisma fotografiert

Abbildung 8 zeigt, wie das Spektrum von Magenta auf Gelb aussieht, wenn nicht die gesehenen Farben des Kantenspektrums in Photoshop reproduziert, sondern direkt durch das Prisma fotografiert werden.

 

Auf diese Experimente bin ich übrigens nicht von allein gekommen, sondern weil ich für die kommende DOCMA 66 eine Rezension des Buches „Mehr Licht. Goethe mit Newton im Streit um die Farben“ von Olaf L. Müller vorbereite. 320 der 544 Seiten habe ich bewältigt – kein ganz einfacher Stoff. (Die Spektren-Experimente wurden angeregt durch die dort erwähnten – analogen – Versuche von Ingo Nussbaumer 1995). In einem Satz zusammengefasst geht es in Müllers Buch um die Frage, ob Spektralfarben tatsächlich beweisbar aus der Aufsplittung weißen Lichts entstehen oder – ein höchst ungewöhnlicher Gedanke –  ob das, was optisch eine Rolle spielt, vielmehr die Dunkelheit ist.

Man kann Bildbearbeitung auch dann erfolgreich betreiben, wenn man ein ganzes Berufsleben lang keine Minute an die in diesem Buch beschriebenen Experimente und Thesen verschwendet. Aber gelegentlich über den Tellerrand zu schauen – in diese oder jene Richtung –, hat noch niemandem geschadet.

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Doc Baumann

Doc Baumann befasst sich vor allem mit Montagen (und ihrer Kritik) sowie mit der Entlarvung von Bildfälschungen, außerdem mit digitalen grafischen und malerischen Arbeitstechniken. Der in den Medien immer wieder als „Photoshop-Papst“ Titulierte widmet sich seit 1984 der digitalen Bildbearbeitung und schreibt seit 1988 darüber.

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